19.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
16.05.09 / Liebe und nichts als Liebe / Berühmte Paare der Kulturgeschichte: Mary und Percy Shelley — Mit einem Horrorroman machte sie Karriere

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-09 vom 16. Mai 2009

Liebe und nichts als Liebe
Berühmte Paare der Kulturgeschichte: Mary und Percy Shelley — Mit einem Horrorroman machte sie Karriere

Welch unseliges Verlangen hatte Mary Shelly (1797–1851) bewogen, anno 1840 – nach 24 Jahren – an den Genfer See zurückzukehren? Ihr jeder Sentimentalität abholder Realitätssinn hätte sie warnen müssen, die Orte ihrer einstigen, unwandelbaren Liebe noch einmal aufzusuchen.

Sehr langsam ging sie den Weg zwischen Weinbergen zu den beiden Anwesen hinauf, welche die befreundeten Dichter George Byron und Percy Shelley einst zur ungestörten Arbeit gemietet hatten.

Byron bewohnte die Prachtvilla Diodati, Shelley das bescheidene Landhaus Chappuis. Mary hielt inne, „kehr um“, befahl sie sich: „Beschwöre nicht die Erinnerung an Menschen, die es nicht mehr gibt. Du allein bist übrig geblieben.“ Sie schluckte: „Percy!“

Am 8. Juli 1822 war er mit seinem Segelboot „Ariel!“ im Golf von Spezia gekentert und ertrunken. War das wirklich vor 18 Jahren geschehen? Nein, es muß gestern gewesen sein. Oder heute! Sie griff zum Halt an die Rebstöcke am Wegesrand ...

Percy Shelley, 1792 in Fieldplace (Sussex) als Sprößling altadliger Familien geboren, litt früh unter schwermütigen Phasen. Mit 16 Jahren begann er zu schreiben, mit 18 verfaßte er das Gedichtwerk „Queen Mab“, das Percys atheistische Grundhaltung offenbarte. An Gottes Liebe zur Menschheit vermochte er nicht zu glauben und schrieb dies in „The necessity of atheism“ ohne Scheu nieder. Er wurde von der Universität Oxford gewiesen.

1811 heiratete er die 16jährige Harriet Westbrook, Tochter eines Bäckermeisters, mit der er nach Edinburgh geflohen war. Die Ehe wurde bald geschieden. Das puritanische England ächtete Shelleys Verhalten. Sein lädierter Gemütszustand ertrug es nicht. Am Genfer See suchte er 1814 Erholung. Aber auch das war eine Flucht. Als Fluchtgefährtin begleitete ihn Mary Godwin, 17 Jahre jung. Sie stammte aus berühmtem Elternhaus, ihre Mutter machte als bekannte und angefochtene Frauenrechtlerin von sich reden. Der Vater schrieb philosophische Essays und verlegte Kinderbücher. Von den Eltern hatte Mary ihre literarische Begabung ererbt.

Weder Percy noch Mary ahnten, daß sie beide in unauflösbarer Liebe verbunden bleiben sollten. Ihre erste Begegnung löste beiderseitiges Erstaunen aus. Die schlichte Eleganz und zurückhaltendes Auftreten bevorzugende Mary musterte Percys luxuriöse Gewandung. Eine Reihe ziselierter Edelmetallknöpfe erregte ihre Aufmerksamkeit. „Die sind aber schön“, rief sie spontan. „Hin und wieder bin ich süchtiger Ästhet“, erwiderte Shelley mit ihm wesensnaher Selbstironie. Seinerseits wuchs sein Staunen mit jedem Satz, den Mary sprach. Dieses kindhafte Mädchen formulierte in literarisch druckreifem Englisch. „Schreiben Sie?“ fragte er. „Oh ja, aber ohne Erfolg“, lachte sie. „Der kommt noch“, war sich Shelley sicher. Von diesem Tag an verfolgte er das Ziel, Mary zu heiraten. Das geschah nach zweijährigem Zusammenleben 1816 am Genfer See.

In jenem regenreichen Sommer schlich sich Langeweile in den Freundeskreis von Diodati und Chappuis ein. So kam man auf die Idee, daß jeder von ihnen eine „Spukgeschichte“ schreiben sollte. Dämonie war erwünscht. Die Idee löste helle Begeisterung aus. Shelley beließ es bei einem Fragment. Aber auch Byron, dessen romantisch-dramatische Verserzählungen seinen Ruhm begründet hatten, fand zu keiner Inspiration.

Doch ein Glanzwerk trat seinen Lauf um die Welt an: Mary Shelleys „Frankenstein“. Bis heute spektakuläres Leseabenteuer. Was wird erzählt? Die Geschichte eines künstlich erschaffenen, monströsen Wesens mit intellektueller Hochbegabung, aber keines Gefühlsempfindens fähig. Das Romansujet erregte damals und erregt in unserer Zeit aktuelles Grausen. Denn es bleibt unsicher, ob Frankensteins Monster nicht eines Tages unter uns weilt. Befragt, wie Mary an ein solches Horrorthema geraten sei, bekannte sie, der gesamte Inhalt sei ihr in einem Alptraum zugefallen.

Noch immer verharrte Mary bei den Rebstöcken auf dem Weg zum erinnerungsverlockenden Landhaus Chappuis. Keinen Schritt weiter konnte sie gehen. Die gefürchtete Stunde vom Juli 1822, den sie in Italien verlebt hatten, drängte sich vor ihre Augen: Percys Tod im Golf von Spezia. Sie war zur Polizeiwache gerufen worden, um einen gelan-deten Leichnam zu identifizieren, der unsäglich entstellt, von Fischen angebissen war. „Ist das Ihr Mann, Sir Percy Shelley?“ Mary taumelte. „Ich weiß es nicht“, stöhnte sie. Der Beamte stützte sie. „Aber vielleicht erkennen Sie ein Stück der Kleidung? Den seltenen Knopf zum Beispiel.“ Es war einer jener Knöpfe, die Mary beim Kennenlernen bewundert hatte. „Es ist mein Mann“, rang sie sich ab. Der Beamte brachte sie zum Wagen.

Ohne sich Chappuis zu nähern, beendete Mary den Erinnerungs-Spaziergang. Im Genfer Hotel buchte sie die Rückreise nach England für den nächsten Tag. Nie wieder betrat sie Schweizer Boden.

Fortan lebte sie allein als europaweit geschätzte Schriftstellerin. Zwei ehrenvolle Heiratsanträge lehnte die 24jährige Witwe ab. Einst hatte sie für Percy notiert: „Liebe und nichts als Liebe – dabei haben wir uns einander versprochen. Und wenn ich nicht Dir gehören kann, werde ich niemandem gehören.“

Esther Knorr-Anders

Foto: Tragische Verbindung: Mary und Percy Shelley


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren