23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
16.05.09 / Aufruf zum Nichtwählen / »Spiegel«-Journalist Steingart stellt eine nicht durchdachte »Machtfrage«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 20-09 vom 16. Mai 2009

Aufruf zum Nichtwählen
»Spiegel«-Journalist Steingart stellt eine nicht durchdachte »Machtfrage«

Gabor Steingart wird bei der nächsten Bundestagswahl nicht wählen gehen. Auf dieser Nachricht von zweifelhaftem Wert baut der smarte „Spiegel“-Journalist ein ganzes Buch auf. Über die Vermarktung von „Die Machtfrage – Ansichten eines Nichtwählers“ muß man sich keine Sorgen machen. An gehörigem Selbstbewußtsein gebricht es dem 1962 geborenen Autor auch nicht. Doch ist dieses Selbstbewußtsein und die für den „Spiegel“ so typische Selbstgerechtigkeit begründet? Zweifel sind angebracht. Denn genauso, wie Steingart heutigen Politikern wenig originell Brandt und Schmidt als leuchtende Vorbilder vor Augen führt, könnte man ihm zurufen: Früher waren die Journalisten ebenfalls besser.

Die rund 200 Seiten sind flott und teils witzig geschrieben. Mit der Kritik an einem erstarrten Parteienstaat trifft Steingart, der mittlerweile für den „Spiegel“ aus den Vereinigten Staaten berichtet, ins Schwarze. Und ob man als guter Staatsbürger einfach mal aus Verdruß über „die da oben“ den Urnengang boykottieren sollte, auch darüber ließe sich trefflich streiten.

Es langweilt allerdings, wenn Steingart zu seinen historischen Exkursen in die Weimarer Republik und die frühe Bundesrepublik ansetzt. Das haben wir schon tausendmal und häufig besser gelesen. So fertigt der bei seinen öffentlichen Auftritten recht eitel wirkende Steingart den Reichspräsidenten Friedrich Ebert mit den Sätzen ab: „Der ehemalige Kneipenpächter und Sattlergeselle, der die begonnene Meisterprüfung nicht zu Ende brachte, ließ praktisch keinen Fehler aus, um die junge Demokratie zu beschädigen.“

Konrad Adenauer, so lesen wir bei Steingart, trat dem Nationalsozialismus nicht entschieden entgegen, sondern „ging zu seinen Rosen nach Hause“. Auch nach 1949 habe der Gründungskanzler nicht viel zustande gebracht. „Adenauers Leistung bestand vor allem darin, einen versöhnlichen Ton anzuschlagen“, behauptet Steingart dreist und historisch falsch.

Merkel und Steinmeier können es natürlich auch nicht. Wer hilft in einer solchen Situation? Richtig, der gute Onkel aus Amerika, der ist schwarz, aber beileibe kein undemokratischer Dunkelmann. So lesen wir andächtig, mit vor Staunen offenem Mund: „Der neue Präsident, Barack Obama, sagt nicht mehr ‚ich will‘, sondern er sagt ‚wir können‘. Er schließt ein, nicht aus. Er hat ein unerhörtes Experiment gestartet: Politik mit Volk.“

Selbstverständlich liegt Herr Steingart nicht immer daneben. Er hat oft recht: Wir müssen uns endlich vom deutschen Verhältniswahlrecht verabschieden, denn dieses „liefert nur die Freifahrtscheine für die grauen Gesellen der Parteipolitik“. Es ist an der Zeit, daß das Volk den Bundespräsidenten direkt wählt. Die Parteibuchwirtschaft bei der Besetzung ausnahmslos aller staatlichen Posten muß aufhören. Wir brauchen mehr Elemente direkter Demokratie und dürfen das Volk nicht weiter von allen wichtigen Fragen ausschließen. Warum geht wohl niemand mehr zur Europawahl?

Und auch Vorwahlen à la Amerika haben ihren Charme und täten unserem verkrusteten System gut. Würden sich dann wohl die deutschen Strippenzieher-Politiker durchsetzen, die sich in Broschüren in den Zustand hineinhalluzinieren, „ganz nah bei den Menschen“ zu sein?

Steingarts Aufforderung, durch massenhaftes Nichtwählen Parteien und Politiker zur Räson zu bringen, ist jedoch höchstens naiv – oder ein guter PR-Gag für den Verkauf seines Buches.

Dann wäre das Abliefern von ungültigen Stimmzetteln, auf denen man vermerkt, daß einem das ganze Angebot nicht behagt, schon sinnvoller. Eine Antwort auf die Frage, wie wir den Parteienstaat zurückdrängen können, weiß die journalistische Primadonna Steingart nicht. Daher hätte er dieses Buch nicht schreiben müssen. Wenn schon Diven, dann lieber Greta Garbo als Garbor Steingart.     Ansgar Lange

Gabor Steingart: „Die Machtfrage – Ansichten eines Nichtwählers“, Piper-Verlag, München 2009, kartoniert, 223 Seiten, 14,95 Euro


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren