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30.05.09 / Niemand skandierte Ga-Ga-Gandhi / Von Klaus Rainer Röhl

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-09 vom 30. Mai 2009

Moment mal!
Niemand skandierte Ga-Ga-Gandhi
Von Klaus Rainer Röhl

Die Enttarnung des Todesschützen Kurras, der im Rahmen eines Polizeieinsatzes den Studenten Benno Ohnesorg erschoß, als langjähriger Mitarbeiter der Ost-Berliner Stasi wühlt zur Zeit die Gemüter auf und bewegt die Phantasie der Zeitungsschreiber, sich auszumalen, wie alles verlaufen wäre, wenn die rebellierenden Studenten gewußt hätten, daß der Todesschütze ein inoffizieller Mitarbeiter des Ministeriums für Staatsicherheit (MfS) war, dazu Mitglied der SED, die man ohnehin verachtete und bekämpfte? Wäre alles anders gekommen? Wurde die Gewalt bei der Studentenbewegung von 1967/68, die schließlich in der Gründung der Terrorgruppe Rote Armee Fraktion (RAF) gipfelte, durch einen Agent Provocateur erzeugt, im Auftrag der DDR? Das ist sehr zweifelhaft.

Über die Gewalt der außerparlamentarischen Bewegung wird heute gern die Legende verbreitet, die Bewegung sei von allem Anfang an im Geiste Gandhis und Martin Luther Kings strikt friedlich gewesen und habe mit gewaltlosen Scherzaktionen und dadaistischen Ulkveranstaltungen nur die „versteinerten Verhältnisse zum Tanzen“, also die Menschen zum Nachdenken über die Änderung des Systems bringen wollen. Dann aber habe die Polizei durch gewaltsame Einsätze, die in der Erschießung von Benno Ohnesorg gipfelten, die Welle der Gewalt erst ausgelöst. („Wir schießen zurück!“, schrieb damals die Berliner Anarchistenpostille „Agit 883“.) Dann sei es noch einmal für eine lange Zeit friedlich weitergegangen, bis ein halb geistesgestörter Bachmann Rudi Dutschke durch Pistolenschüsse lebensgefährlich verletzt habe. So sei alle Gewalt gewissermaßen als „Gegengewalt“ zu verstehen, wie ein damals modischer Ausdruck lautete und ein Leitartikel Ulrike Meinhofs in „konkret“ hieß.

Diese Legende trifft für einen großen Teil der Mitläufer zu – und so (als deren Wunschprojektion) ist ihre große Verbreitung verständlich –, nicht jedoch für die geistigen Führer der Bewegung. Auch nicht für den Moses der 68er, Rudi Dutschke, der später umsteuerte und zum Langen Marsch aufrief. Im Gegenteil. Es ist kein Geheimnis, daß die Wortführer der 68er, auch wenn sie den „gewaltfreien Widerstand“  predigten, von Anfang an mit den militanten Guerillabewegungen in der Dritten Welt sympathisierten, die ihren Erfolg und ihre Anhängerschaft ausschließlich brutal eingesetzter Gewalt verdankten. Ja, sie erlebten die Kriegshelden wie etwa Che Guevara und Ho Tschi Minh als romantische Identifikationsfiguren, deren Namen als Schlachtrufe bei Demonstrationen skandiert wurden. Niemand skandierte Ga-Ga-Gandhi.

Die 68er Bewegung war zu keinem Zeitpunkt nur Gandhi und Luther King verpflichtet, sondern theoretisierte von Anfang an über Gewalt, das Durchbrechen des seit dem Spätmittelalter geltenden Gewaltmonopols des Staates. Das war kein Streitpunkt. Lediglich über den Zeitpunkt und den Ort des Einsatzes der Gewalt wurde heftig gestritten. Nur in der Dritten Welt? Auch in den westlichen Großstädten? Das war in das Belieben der einzelnen Gruppe gestellt. Die Diskussion wurde auch in meiner Zeitung „konkret“ geführt. Bis es zu einem Eklat kam, als mir der Artikel „Die Ärzte von Hue“ untergeschoben wurde, in dem die Ermordung deutscher Mediziner durch den Vietcong noch gerechtfertigt wurde: „Die deutschen Ärzte haben versucht, subjektiv ehrlich und wohlgemeint (!) zu demonstrieren, wie Medizin in ihrem Heimatland betrieben wird und glänzend funktioniert … Die Revolutionäre wissen, daß ärztliche Tätigkeit ohne ein ausgeprägtes gesellschaftliches und politisches Bewußtsein mörderisch ist. Traditionelle medizinische Hilfseinrichtungen in großen Städten sind nichts als ein Alibi für die täglichen Verbrechen des Völkermords. Die geschändeten Bauern, wenn sie als Soldaten der Befreiungsarmee die großen Städte einnehmen, durchschauen nicht die feinen Rationalisierungsargumente der Ärzte hinter den feindlichen Linien. Sie kennen nur die Wut darüber, daß sich die Ärzte nicht den eigentlichen Problemen der Bevölkerung stellen …“ Deshalb also wurden die Ärzte „hingerichtet“. Aus Wut. Herausgeber und für den Inhalt verantwortlich: Klaus Rainer Röhl! Diesen hanebüchenen, lebensgefährlichen und antihumanen Unsinn abgedruckt zu haben bleibt meine Schuld.

Ein zweiter Aufsatz, „Gewalt in den Metropolen“, beschäftigte sich mit den ersten Opfern, die auf Demonstrationen durch Steinwürfe ums Leben gekommen waren. Er liest sich, im Juni 1968, wie eine theoretische Vorbereitung der Baader-Meinhof-Gruppe: Ein Aufruf zum bewaffneten Kampf: „In prinzipieller Hinsicht endet die Frage nach der Gewalt in der Frage, ob wir entschlossen sind, unsere Ziele zu erreichen. Wir wollen endgültig verhindern, daß die Menschen hier an Geist und Körper zu Krüppeln geschlagen werden, die nur noch arbeiten, kaufen und hassen können. Wir werden damit nicht warten, bis noch eine Generation und noch eine Generation kaputtgemacht wird, sondern wir wehren uns jetzt. Den Sozialismus werden wir nur bekommen, wenn wir unsere Feinde wissen lassen, daß wir alle Mittel (Hervorhebung vom Verf.) anwenden werden, die nötig sind, ihn zu bekommen …“.
Ich habe diese ersten überraschend offenen Gewaltdiskussionen, die eigentlich nichts anderes waren als Aufrufe zur Gewalt, nicht ernst genug genommen. Wußte noch nicht, daß Worte direkt in 9mm-Geschosse übergehen könnten, die Schönheit der Utopie in die über Leichen gehende Ungeduld. Ich habe alles veröffentlicht, bis mir selber die Scheiben eingeschlagen, die Haustür eingetreten, die Telefonleitungen durchschnitten, meine Kinder entführt und die Mutter meiner Kinder – mitgegangen – mitgefangen wurde.

Wir waren noch ahnungslos. Niemand hat damals protestiert, keiner unserer Mitarbeiter sprang nach der Lektüre des Aufsatzes über die „Ärzte von Hue“ ab, alle liberalen Zeitungen äußerten Verständnis, die großen liberalen Verlage boten Höchstpreise für Cohn-Bendit und andere Gewaltapostel. Noch machte man einen Unterschied zwischen der Gewalt gegen Sachen und der gegen Personen. Doch wenige Monate später bewies Andreas Baader durch seine mit der Pfarrerstochter Gudrun Ensslin ausgeführte Kaufhausbrandstiftung, daß die Grenzen fließender wurden. Befragt, ob sie das Warenhaus auch angezündet hätten, wenn darin das Hausmeisterehepaar anwesend gewesen wäre, antwortete Ensslin: „Ja!“

Diese Äußerung wurde nie veröffentlicht. Die Interviewerin war Ulrike Meinhof, die kurze Zeit darauf die Kaufhausbrandstiftung in einem Leitartikel zu rechtfertigen suchte. Von da bis zur Gründung der RAF war es nur noch ein Schritt. So wie der wirklichen Brandstiftung die scheinbar spielerischen Verse der Kommune vorangegangen waren, gingen Worte oft den Handlungen voraus. („Burn, warehouse, burn“, schrieben diese 1967 in einem Flugblatt. Staatsanwälte und Journalisten, die dies als Aufforderung zur lebensgefährlichen Brandstiftung sahen, wurden von einem bekannten liberalen Publizisten verspottet, weil sie die literarische Ironie nicht verstanden hätten.)

Die Gewalt brauchte einen Vorwand. Ein Mitarbeiter der Stasi oder ein schießwütiger Waffennarr lieferte den Vorwand. Die Gewaltfrage war Bestandteil der Bewegung. Die RAF war – nach ihrem eigenen Verständnis – nur die Folgerung aus den Diskussionen im SDS.

 

Klaus Rainer Röhl war Chefredakteur von „konkret“. Seine Geschichte beschreibt er in „Mein langer Marsch durch die Illusionen – Mein Leben unter Hitler, der KPD, den 68ern, der RAF und Ulrike Meinhof“.


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