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30.05.09 / Patient ohne Interessenvertreter / Krankenkassen, Mediziner und die Politik machen ihre jeweils eigene Gesundheitspolitik

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-09 vom 30. Mai 2009

Patient ohne Interessenvertreter
Krankenkassen, Mediziner und die Politik machen ihre jeweils eigene Gesundheitspolitik

Beim unterfinanzierten Gesundheitsfonds mehren sich die Fehlentwicklungen, doch statt gegenzusteuern, soll mehr Geld ins System gepumpt werden: Gesundheitsministerin Ulla Schmidt fordert 25 Milliarden Euro Zuschuß aus dem Bundeshaushalt, bisher waren es „nur“ 14 Milliarden.

„Wir müssen uns von der Illusion verabschieden, daß jeder Patient stets auf alle Leistungen zugreifen kann.“ Aussagen wie die des Ärztepräsidenten Jörg-Dietrich Hoppe sind nicht gerade dazu angetan, den Medizinern Sympathien zu bringen. „Während Hundertausende in diesem Land Angst um ihren Job haben, beschweren sich die Ärztevertreter, daß ein durchschnittliches Honorarplus von zehn Prozent nicht genug sei und fordern zu allem Überfluß auch noch Leistungskürzungen und Zuzahlungen“, konterte Florian Lanz, Sprecher des AOK-Bundesverbandes. Allerdings ist auch er ein Lobbyist im knallharten Kampf der Interessen, und so lag es nicht so sehr in seiner Absicht, den gesetzlichen Versicherten aus dem Herzen zu sprechen.

Lobbyisten gibt es in der Gesundheitsbranche massenhaft. Es werden die verschiedensten Interessen vertreten. Die der Krankenkassen, Ärzteschaft, Krankenhäuser, Pharmaindustrie und der Politik. In jeder Gruppe gibt es zudem viele Untergruppen, so daß selbst im Kleinen nur schwer klare Linien auszumachen sind.
Nur der gesetzlich Versicherte ist Zuschauer in diesem Ringen - dabei geht es doch um seine Gesundheit, die er sich einiges kosten läßt. 167 Milliarden Euro fließen allein in diesem Jahr in den Gesundheitsfonds. Man müßte also davon ausgehen, daß der gesetzlich Versicherte als Kunde und Konsument umworben werden müßte. Doch weit gefehlt.
Obwohl in Deutschland elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes für die Gesundheit ausgegeben werden und wir in Deutschland eine überdurchschnittliche Ärztedichte haben, wächst der Unmut bei den Versicherten.

Das mag auch daran liegen, daß sie sich vor allem von Ärztevertretern, aber auch von der Politik immer wieder anhören lassen müssen, daß sie verwöhnt seien. So gingen die Deutschen viel zu häufig zum Arzt. Durchschnittlich 18 Mal wurden die Deutschen 2007 beim Arzt vorstellig. Um diesen Mißstand zu beheben, wurde vorgeschlagen, 10 Euro Praxisgebühr pro Arztbesuch statt wie jetzt pro Quartal zu verlangen.

Daß viele Arztbesuche keineswegs grundlos sind, stand nirgendwo zur Debatte. Doch welcher gesetzlich Versicherte kennt nicht das Gefühl, daß er nach so mancher Zeit im Warteraum endlich mit Verspätung ins Arztzimmer gerufen wird, um wenige Minuten später wieder mit einem Rezept draußen vor der Tür zu stehen? Während jeder Banker heutzutage eine Bedarfsanalyse machen muß, nehmen sich Ärzte kaum noch Zeit, sich die Beschwerden der Patienten anzuhören. Daß dies auch am System liegt, steht außer Frage, auch wenn Gesundheitsministerin Ulla Schmidt das immer wieder abstreitet. Doch da nur wenige Minuten Beratungsgespräch im Quartal von den gesetzlichen Krankenkassen honoriert werden, ist die Motivation der Mediziner, sich die teilweise umständlich geschilderten Beschwerden ihrer Patienten anzuhören, gedämpft. Das wiederum führt zu Fehldiagnosen, was wiederum dazu führt, daß Patienten mit dem gleichen Problem häufiger beim Arzt erscheinen, als es nötig gewesen wäre. Hinzu kommt, daß bei einer alternden Bevölkerung auch die Krankheiten zunehmen.

Die Unzufriedenheit der Deutschen führt bereits seit Jahren dazu, daß die Alternativmedizin sich über wachsende Nachfrage freuen kann. 60 Prozent der Deutschen haben sich schon mindestens einmal in die Hände von Heilpraktikern begeben. In den USA sind es nur 40 Prozent, in Großbritannien gar nur 20 Prozent. Und auch wenn eine Lücke zwischen der Beliebtheit und der Wirksamkeit der Alternativmedizin klafft, so sind viele Deutsche bereit, in die eigene Tasche zu greifen, um sich die Zuwendung eines Alternativmediziners zusätzlich zu den festen Beiträgen zur gesetzlichen Krankenkasse zu leisten. Schließlich bietet auch der reguläre Mediziner seit Jahren immer mehr Leistungen an, die vom Patienten selbst bezahlt werden müssen. Doch was hier fast überwiegend medizinisch-technischer Natur ist, ist beim Alternativmediziner die Zeit zum Zuhören. Während beim Hausarzt ein Besuch im Durchschnitt keine acht Minuten dauert, ist beim Alternativmediziner zwischen 20 und 90 Minuten alles drin.

Seit kurzem darf das Bundesversicherungsamt Abrechnungen von Kassen und Arztpraxen prüfen. So soll die AOK Niedersachsen Ärzten zehn Euro pro Fall geboten haben, in dem sie eine für die Kasse günstige Diagnose stellen. Leidet ein Patient unter depressiver Verstimmung kostet er die Kasse nur. Gilt er jedoch als depressiv, gibt es eine Sonderzuwendung aus dem Gesundheitsfonds, da Depressionen zu den 80 chronischen Krankheiten zählen, für die es eine Bonuszahlung gibt. Ärzte und Kassen wissen also sehr wohl, wie sie das Gesundheitssystem nutzen können. Auch kommt es in bestimmten Bereichen immer wieder zur Überversorgung. So erwähnt der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, daß es in Deutschland doppelt so viele Röntgenuntersuchungen gibt wie im europäischen Durchschnitt. Das liegt auch daran, daß das deutsche Gesundheitssystem Röntgenaufnahmen überdurchschnittlich honoriert.

Doch anstatt Fehlentwicklungen erst einmal in den Griff zu bekommen, fordert Ulla Schmidt für 2011 25 statt 14 Milliarden Euro als Steuerzuschuß für den Gesundheitsfonds.             Rebecca Bellano


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