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30.05.09 / »Blutgräfin« oder Damenopfer / Der Spielfilm »Die Gräfin« behandelt das Leben der ungarischen Adligen Elisabeth Bathory

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 22-09 vom 30. Mai 2009

»Blutgräfin« oder Damenopfer
Der Spielfilm »Die Gräfin« behandelt das Leben der ungarischen Adligen Elisabeth Bathory

Die ungarische Gräfin Elisabeth Bathory ist für manche eine der schlimmsten Serienmörderinnen der Geschichte, anderen wiederum ein unschuldiges Opfer politischer Intrige. Unbestritten ist zumindest, daß sie 1611 zahlreicher Morde angeklagt und als Folge davon vier Jahre lang in ihren Privatgemächern eingemauert war – und daß mit dem aktuellen Spielfilm „Die Gräfin“ nun ihr Schick­sal auch Eingang in die deutschen Lichtspielhäuser gefunden hat.

War Caesar ein Epileptiker, Alexander der Große homosexuell, Peter der Große ein brutaler Leuteschinder? Litt Napoleon an einer Magenkrankheit? Oder können solche Fragen nur gestellt werden, weil sich jede Generation historische Prominente neu „erfindet“, historische Realität und phantasievolle Fiktion in immer abenteuerlicheren Mixturen aufbereitet?
Das bekannteste Beispiel dieser Chaos-Historiographie ist ein rumänisches Fürstengeschlecht aus dem 15. Jahrhundert, dessen Mitglieder wegen ihrer Zugehörigkeit zum ungarischen „Drachenorden“ den Beinamen „Dracula“ trugen. Sie waren kluge Diplomaten und erfolgreiche Militärs, zogen sich aber durch Zoll- und Steuerforderungen die Gegnerschaft der Siebenbürger Sachsen zu, die in ihren Chroniken ein Horror-Image der Dracula verbreiteten. 1897 veröffentlichte der Schotte Bram Stoker seinen Roman „Dracula“, der aus den edlen Fürsten eine Karikatur machte – blutsaugende Vampire und Karpaten-„Untote“.

Das weibliche Pendant der rumänischen Dracula ist die ungarische Gräfin Elisabeth Bathory (1560–1614), an die derzeit der Kinofilm „Die Gräfin“ erinnert. Die französische Schauspielerin Julie Delpy schrieb das Drehbuch, komponierte die Musik, führte Regie und spielte die Hauptrolle. Mit dieser Omnipräsenz hat sie sich nicht übernommen, vielmehr einen historischen „Krimi“ und ein frühneuzeitliches Sittengemälde vorgelegt, das in Farben und Flair, Dialogen und Anspielungen, Kolorit und Schauplätzen einfach hinreißend inszeniert wurde. Es gibt in diesem Film keine Exaltationen, Überspanntheiten und Extreme, selbst der eigentliche Konflikt ist einfach: Jüngere Witwe verliebt sich in Jüngling, dessen Vater das Verhältnis durch eine Intrige zerstört. Die Frau meint, der Altersunterschied habe ihr den Geliebten entfremdet, und verfällt auf die Wahnidee, das Blut von Jungfrauen verhülfe ihr zu ewiger Jugend und Schönheit. Dazu werden Dutzende junge Mädchen umgebracht, bis am Ende die „Blutgräfin“ und ihr Anhang rächender Gerechtigkeit anheimfallen. Das alles wird spannend und stimmig erzählt, Historienmalerei und zugespitzter Konflikt sind in eine wohlüberlegte Dramaturgie eingebunden, die nichts dem Zufall überläßt: Zugunsten „streng protestantischer Kleider“ (Delpy) verzichtete man auf folkloristische Kostüme – obwohl der Film im damaligen Ungarn spielt.

1611 fand ein Prozeß gegen Gräfin Bathory statt, bei dem ihr Dutzende Morde zur Last gelegt wurden. Von ihrem „Blutdurst“ war noch keine Rede, den hat 1742 der Jesuitenpater Laszlo Turoczi erdacht, als er ihren Prozeß schilderte. Der endete mit einem „milden“ Urteil, Einmauerung in ihrem Privatzimmer. Warum ist sie nicht als Hexe auf dem Scheiterhaufen gelandet? Weil sie keine Hexe war, nur politisches Ärgernis von Gewicht.

Gräfin Bathory gehörte zum reichsten und mächtigsten ungarischen Fürstengeschlecht – ihr Onkel Stephan war König in Polen, ihr Cousin Großfürst von Siebenbürgen, ihr Mann Franz Graf Nádasdy größter Gläubiger des Königs Matthias II.. Ungarn war nach der Schlacht von Mohács 1526 größtenteils unter die Osmanen gefallen, aber die mächtigen Bathorys konnten verhindern, daß Rest-Ungarn zu Österreich kam. Und die kluge Elisabeth Bathory ließ sich von niemandem in die Karten blicken, wenn sie Besitz und Vermögen allein verwaltete und von ihrer nordwestlichen Burg Schächtitz ganz Ober-Ungarn, die heutige Slowakei, kontrollierte. Diese störrische Protestantin gebot zwar über ein Bollwerk gegen die Osmanen, störte aber Habsburger Wege nach Mähren, Schlesien und Galizien. Im Film wird die Gräfin mehrfach zum Teufel gewünscht, was historischer Wahrheit wohl entsprach. Am Morgen des 29. Dezember 1610 wurde Schloß Schächtitz gestürmt, 1611 folgte der Prozeß gegen die Gräfin, am 21. August 1614 ihr Tod. Danach blieb die Burg unbewohnt, diente aber noch als Festung. Um 1670 erlosch das Geschlecht Bathory. Habsburg war eine Konkurrenzmacht los und konnte über das 1686 rückeroberte Ungarn allein gebieten.

Von der alten Burg ist nur noch eine Ruine übrig, im Film aber sind großartige Schlösser und Burgen zu sehen. Man hat sie in den neuen Bundesländern gefunden, als authentische Kulisse in den Film einbezogen, und das ganze Filmteam schwärmte, wie schöne Bauten Deutsche haben und wie pfleglich sie mit ihnen umgehen.
Ebenfalls stilecht wirken die Gewölbe, in denen Julie Delpy die angeblichen Blutorgien der Gräfin Bathory nachspielt – dezent und mit viel heimlicher Ironie. Wenn sie von jungen Mädchen sagt, „sie riechen nach Pferdemist“, dann ist das versteckte Komik. Häuser wie das der Bathorys waren zu ihrer Zeit eine Art Berufsschule für „höhere Töchter“: „weibliche“ Arbeiten wurden gelernt, Heiratschancen verbessert, Aussteuern angesammelt – es war Ehre und Empfehlung, an einem „guten Haus“ gedient zu haben. Die Vorstellung, diese Mädchen wären (wie später der Gräfin angedichtet wurde) anonyme Opfer einer sadistischen „Serienmörderin“ gewesen, ist historisch lachhaft.

Im Zweifel für die Angeklagte Elisabeth Bathory, die zwar fast 400 Jahre tot ist, aber in diesen vier Jahrhunderten in ständig neuen und wilderen Gewaltphantastereien verteufelt wurde. Bis zum Beweis des Gegenteils sollten wir sie als Opfer politischer Ränke sehen. Ein Film wie der von Julie Delpy dient als Fährtenleser – neben dem Sehvergnügen, das er in hohem Maße ist.            Wolf Oschlies


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