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06.06.09 / Noch viel zu enthüllen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-09 vom 06. Juni 2009

Noch viel zu enthüllen
von Hans-Jürgen Mahlitz

Nein, eine Sternstunde des deutschen Parlamentarismus war das nicht. Eher der triste parlamentarische Alltag: Freitagnachmittag, nur noch vier Tagesordnungspunkte trennen das kümmerliche Fähnlein der letzten Aufrechten vom langen Pfingstwochenende (die meisten MdB sind schon abgereist). Da muß für die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte eine Dreiviertelstunde reichen.

Genau so lange brauchte das Restparlament, um den FDP-Antrag „Inoffizielle Stasi-Mitarbeiter in Bundesministerien, Bundesbehörden und Bundestag [zu] enttarnen“ zu entsorgen. Mit scheinheilig klingenden Begründungen versuchten Union, SPD, Linke und Grüne zu erklären, warum sie das Anliegen, die „Aufarbeitung des Stasi-Unrechts zu stärken“, zwar unterstützten, aber dem Antrag dennoch nicht zustimmen mochten.

Besonders abenteuerlich das Argument aus SPD-Reihen: Schon vor zehn Jahren habe doch der Bundesanwalt erklärt, alle DDR-Agenten seien enttarnt, „Enthüllungen in großem Umfang“ seien folglich nicht mehr zu erwarten.

Wirklich? War die nicht zehn Jahre alte, sondern zehn Tage junge Entdeckung, daß Karl-Heinz Kurras, der Todesschütze in West-Berliner Polizeiuniform, hochrangiger Stasi-Agent war, keine „Enthüllung in großem Umfang“? Dieser jüngste spektakuläre Fall hat ja gerade gezeigt, daß es in Sachen DDR noch sehr viel aufzuarbeiten und zu enthüllen gibt. Es ist doch unbestreitbar, daß die Krake Stasi alles unterwanderte, wo sie nur Zugang fand: Parlamente, Behörden, Verbände, hier auch jene, die wie die Landsmannschaften der Vertriebenen zum gepflegten Feindbild zählten. Natürlich ist vieles heute nur Vermutung; Beweise (und Namen!) aber wird man nur finden, wenn man intensiv danach sucht.

Schon deshalb darf es hier keinen Schlußstrich geben. Es lohnt sich übrigens, genau hinzuschauen, wer da eigentlich – wenn auch meist unausgesprochen – einen solchen Schlußstrich unter sozialistisches Unrecht ziehen will. Oft sind es dieselben Politiker und Meinungsmacher, die ansonsten nicht müde werden, jeden Gedanken an einen Schlußstrich unter nationalsozialistische Untaten massiv zu bekämpfen.

Die Forderung, staatlich organisiertes Unrecht niemals unter den Teppich der Geschichte zu kehren, hat moralisch und rechtlich durchaus ihre Berechtigung. Aber wenn sie gelten soll, dann immer, für jeden und ohne jede Ausnahme. Wer den einen Unrechtsstaat auf immer und ewig geißeln, den anderen aber schon nach nicht einmal 20 Jahren ins nostalgisch verklärte Unenthüllbare entlassen will, dient nicht der Gerechtigkeit und historischen Wahrhaftigkeit, sondern macht sich selber unglaubwürdig. So war die Abwick-lung dieses Tagesordnungspunktes 40 in der 225. Sitzung des Deutschen Bundestages kein guter Beitrag zum 60. Geburtstag unserer parlamentarischen Demokratie.

Foto: Das lange Wochenende war den meisten Abgeordneten wichtiger als die Machenschaften der Stasi: Nur 45 Minuten waren für den entsprechenden Antrag vorgesehen, der dann abgelehnt wurde.


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