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06.06.09 / Die EU ist mehr als eine Wirtschaftsunion

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 23-09 vom 06. Juni 2009

Auf ein Wort
Die EU ist mehr als eine Wirtschaftsunion
von Jörg Schönbohm

Vom 4. bis zum 7. Juni sind rund 375 Millionen Europäer aus 27 Staaten dazu aufgerufen, ein neues Europaparlament zu wählen. Die Bedeutung des Europaparlaments nahm seit der ersten direkten Europawahl im Jahr 1979 kontinuierlich zu. Heute ist das Parlament in Straßburg die größte multinationale Volksvertretung der Welt. Mittlerweile haben die Europa-Abgeordneten ein Mitspracherecht in der Gesetzgebung, sie kontrollieren die Exekutive und verabschieden den EU-Haushalt. Das Parlament hat sich zunehmend von einer rein beratenden Kammer zu einer gestaltenden Bürgervertretung entwickelt, die in den Kernbereichen ähnliche Kompetenzen besitzt wie ihre nationalen Gegenstücke.

Obwohl das Europäische Parlament über die Jahre immer bedeutender und einflußreicher geworden ist, beteiligten sich zunehmend weniger Menschen an den Europawahlen. Bei den letzten Wahlen vor fünf Jahren gingen europaweit gerade einmal 45,6 Prozent aller Wahlberechtigten zur Wahl. Es ist kaum möglich, dies nicht als Zeichen nachlassender Europabegeisterung beziehungsweise vielleicht sogar wachsender Europaverdrossenheit zu werten. Dabei hätte es die EU wahrlich verdient, daß man sich – trotz aller offenkundigen Schwächen – für sie mehr begeistert und einsetzt.

Der Grundstein für die heutige Europäische Union wurde am 25. März 1957 mit der Unterzeichnung der „Römischen Verträge“ gelegt. Sechs Staaten – Belgien, die Bundesrepublik Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und die Niederlande – schlossen sich zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) zusammen. Die EWG war nicht nur die Keimzelle der Europäischen Integration. Durch die Bildung des europäischen Binnenmarktes schaffte sie auch die Voraussetzungen für den wirtschaftlichen Aufstieg unseres Landes. Indem der Binnenmarkt den freien Waren- und Dienstleistungsverkehr sowie die Freizügigkeit der Arbeitnehmer gewährleistet, trägt er wesentlich dazu bei, Arbeitsplätze zu schaffen und Handelsbarrieren abzubauen. Kaum ein Land in Europa profitiert davon so sehr wie die Bundesrepublik. Im Jahr 2007 lag das deutsche Exportvolumen bei 969 Milliarden Euro. Knapp 85 Prozent des Exports blieb innerhalb der Europäischen Union. Ohne die Europäische Union wäre der Wohlstand unseres Landes nicht denkbar.

Gerade in der aktuellen Krise profitieren die Einzelstaaten von der stabilisierenden Wirkung der gemeinsamen europäischen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Vor allem der Euro als gemeinsame Währung hat sich als Segen erwiesen. Ohne diesen Stabilitätsanker stünden wir in der gegenwärtigen Krise weit schlechter da.

Wir dürfen aber nicht vergessen, daß die Europäische Union mehr ist als nur ein Wirtschaftszusammenschluß. Die Europäische Union ist eine Friedensmacht. Sie ermöglichte es, daß „Erbfeinde“ miteinander Frieden schlossen und zu Partnern, ja sogar zu Freunden, wurden. Dies dürfen wir nicht als Selbstverständlichkeit abtun. Vielmehr verdanken wir diese dauerhafte Aussöhnung dem Friedenswillen der europäischen Völker sowie der Tatkraft, dem Vorstellungsvermögen und dem Mut der politischen Entscheidungsträger der Nachkriegszeit. Ohne Männer wie Konrad Adenauer, Charles de Gaulle, Alcide de Gasperi oder Robert Schuman wäre die Europäische Integration nicht denkbar gewesen. Auch für die deutsch-französische Freundschaft, die bis zum heutigen Tag ein wichtiger Impulsgeber für die Europäische Integration ist, spielte die freundschaftliche Beziehung zwischen den jeweiligen Staats- und Regierungschefs – Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt, François Mitterand und Helmut Kohl – eine wichtige Rolle.

Natürlich war der Weg Europas zu dem, was es heute ist, nicht immer nur von Erfolgen geprägt. Immer wieder geriet der europäische Einigungsprozeß ins Stocken. Bisweilen kam es auch zu Rückschlägen oder Stillstand („Eurosklerose“). Bereits 1954 scheiterte der ehrgeizige Versuch, eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft zu gründen. Ebenso konnten sich die europäischen Staaten lange Zeit nur schwer mit dem Gedanken einer gemeinsamen Währung anfreunden. Obwohl die Idee bereits in den sechziger Jahren erstmals aufgekommen war, konnte sie erst im Jahr 2002 verwirklicht werden. 

Spätestens mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 bekam die europäische Einigung jedoch eine neue Dynamik. Plötzlich äußerten auch die Länder des ehemaligen Ostblocks Interesse an einem EU-Beitritt. Rasch öffnete sich die Union den neuen Beitrittskandidaten. Es war immer klar: Diese Länder sind nicht nur unsere Nachbarn; sie sind Teil von Europa. Ohne sie würde die Europäische Union nur auf einem Lungenflügel atmen. Durch die Aufnahme von zehn mittel- und osteuropäischen Staaten am 1. Mai 2004 und zweier weiterer Staaten am 1. Januar 2007 wurde ein wesentlicher Beitrag zur dauerhaften Überwindung der Teilung Europas geleistet.

Die Osterweiterung war jedoch nicht nur eine einmalige historische Chance; sie war ebenso eine enorme politische Herausforderung. Es ist daher jetzt die wichtigste europäische Aufgabe, die Integration zu vertiefen und die Dynamik und die Impulse, die von den neuen Mitgliedsstaaten  ausgehen, zu nutzen. Das Ziel ist, die Integration überall dort voranzutreiben, wo es gemeinsam erfolgreicher und besser geht als alleine.

Doch auch über dem schwierigen Prozeß des Zusammenwachsens dürfen wir unsere Vision von einem gemeinsamen Europäischen Haus nicht aus dem Auge verlieren. Wir brauchen ein starkes und handlungsfähiges Europa. Wir brauchen ein geeintes Europa freier Menschen und freier Völker. Wir brauchen ein Europa, das als politisches Schwergewicht am Frieden auf der Welt mitwirkt und überall in der Welt für seine Interessen und für die Ideale der Freiheit und Menschenrechte eintritt. Wir brauchen ein Europa, das ein verläßlicher Partner ist – gegenüber unseren Nachbarn, gegenüber unseren amerikanischen Freunden und gegenüber allen Nationen auf der Welt. Es wird eine zentrale Aufgabe des neuen Parlaments sein, an all diesen Themen gestaltend mitzuwirken.

Durch den Fall des Eisernen Vorhangs ist das wiedervereinigte Deutschland vom Rand in die Mitte Europas gerückt. Deutschland liegt nun wieder im Herzen des Kontinents. Als größter und bevölkerungsreichster Mitgliedsstaat der EU kommt der Bundesrepublik eine besondere Verantwortung zu – nicht zuletzt den kleinen und neuen EU-Staaten gegenüber. Deutschland muß ein Motor der europäischen Integration bleiben. Deutsche Sonderwege darf es nicht mehr geben.  

Unser Kontinent lebt von der Vielfalt der unterschiedlichen Nationen und Volksgruppen. Die verschiedenen Kulturen und einzigartigen Traditionen machen das reiche Erbe Europas aus. Dennoch verbinden uns dieselben christlich-abendländischen Werte. „In Vielfalt geeint“ lautet daher auch der Wahlspruch der Europäischen Union.

Wir haben im vergangenen halben Jahrhundert viel erreicht, stehen aber jetzt vor neuen Problemen und neuen Herausforderungen. Diese dürfen wir nicht als Hindernisse auffassen, sondern müssen sie als Herausforderungen begreifen. Darum müssen wir auch mitbestimmen, welche Parteien und welche Abgeordneten im Europäischen Parlament vertreten sein werden. Als Bürger der Europäischen Union sollten wir das Parlament unterstützen und durch die Stimmabgabe am Wahltag den weiteren Weg Europas mitbestimmen. Wir brauchen ein starkes Europa für die großen Herausforderungen unserer Zukunft.


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