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13.06.09 / Die Stasi und die Studentenrevolte / Neue Enthüllungen über den DDR-Agenten Kurras – Die Geschichte der 68er muß umgeschrieben werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-09 vom 13. Juni 2009

Die Stasi und die Studentenrevolte
Neue Enthüllungen über den DDR-Agenten Kurras – Die Geschichte der 68er muß umgeschrieben werden

Scheibchenweise kommen neue Fakten über die tödlichen Schüsse des Stasi-Agenten Karl-Heinz Kurras am 2. Juni 1967 ans Licht. Noch gibt es keine Beweise für einen Liquidierungsauftrag der Stasi, doch es zeichnet sich ab, daß die Geschichte der Studentenrevolte in Teilen neu geschrieben werden muß.

Die neuen Veröffentlichungen im Fall des Stasi-Spions Karl-Heinz Kurras, der den Studenten Benno Ohnesorg 1967 erschoß, lassen erschauern. Wer war dieser Mann, der ein Doppelleben als West-Berliner Polizist und DDR-Spion führte und bis zum Mauerfall Überläufer und Fluchthelfer verriet? Die Kurras-Akten Teil 2 zeigen einen Mann, der sogar noch nach dem Mauerfall 1989 aktiv geführt wurde. Die Geschichte der Studentenbewegung der 68er muß im Lichte dieser Enthüllungen umgeschrieben werden.

Nachdem Kurras seinen tödlichen Schuß auf Ohnesorg abgefeuert hatte, stand er weder moralisch geächtet da noch wurde er von der Stasi-Zentrale der DDR „abgeschaltet“. Kurras war ein überaus aktiver Informant, der mit seinen Aktivitäten 17 Ordner füllte, die von 1955 bis in das Jahr 1989 reichen. Die „zweite Akte Kurras“, aus der die „FAZ“ jetzt zitiert hat, besteht aus nur sechs Seiten, die aber dennoch aufschlußreich sind. Aus dem Jahr 1976 wird über eine konspirative Kontaktaufnahme mit einem DDR-Führungsoffizier in einer Gaststätte in Ost-Berlin berichtet. Noch Ende 1987 legte die Bezirksverwaltung Berlin des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) einen „Sicherungsvorgang“ für Kurras an. Als Tarnung wird dort nicht mehr der in den 50er und 60er Jahren gebräuchliche Deckname „Otto Bohl“, sondern „Vorstoß“ verwendet. Erst am 29. November 1989, Wochen nach dem Fall der Mauer, verfügte das MfS dann die „Archivierung des Vorgangs“.

Eilfertig haben in ersten Reaktionen Politiker und Journalisten die Bedeutung der Enthüllungen bestritten. So der Autor der linken „Tageszeitung“, Christian Semler, der „ein groß angelegtes Manöver der historischen Mystifikation“ vermutete. Semler ist persönlich involviert, er war von 1966 bis 1970 führendes Mitglied des Sozialistischen Sudentenbundes (SDS) und gründete 1970 mit Jürgen Horlemann und Peter Neitzke die maoistische KPD (AO), deren Vorsitzender er später auch war.

Auf einen geheimdienstlichen Hintergrund der tödlichen Schüsse deuten neben dem offenkundigen Interesse des SED-Regimes an einer möglichst starken, linken Studentenbewegung verschiedene Indizien hin. So verschwand das Schädelstück Ohnesorgs mit dem Einschußloch spurlos. Daraus hätte man Schlüsse auf den Tathergang ziehen können. Darauf wies jetzt Otto Schilly hin, der die Familie Ohnesorg damals als Nebenkläger vertrat und später Bundesinnenminister wurde. Aufschlußreich ist auch die Entdeckung, daß nicht nur Kurras, sondern auch der Fotograf der Tat, Jürgen Hentschel, DDR-geführt war. Hentschel arbeitete im Auftrag der „Wahrheit“, einer Zeitung des SEW, dem West-Berliner Ableger der SED. Der DDR kam die Ermordung Ohnesorgs jedenfalls sehr gelegen. Sie schlachtete den Fall gründlich aus und ließ sogar FDJ-Gruppen fähnchenschwenkend an der Straße stehen, als der Leichnam Ohnesorgs von Berlin durch die DDR in die Bundesrepublik überführt wurde.

Kurras, so viel steht bereits heute fest, war kein untergeordneter Stasi-Spitzel. Vielmehr war er in hochbrisante Vorgänge verwickelt,  etwa im Zusammenhang mit der Verschleppung von Robert Bialek. Nur sechs Tage nachdem der Ul-bricht-Gegner und abtrünnige Kommunist von einem Stasi-Kommando betäubt und von West- nach Ost-Berlin verschleppt worden war, unterrichtete Kurras seinen Führungsoffizier über die Ermittlungen der Kripo. Wie der „Spiegel“ schreibt, lieferte Kurras auch Informationen über festgenommene Spione der Stasi, über Fluchthelfer und Fluchtwillige. Wie viele Menschen auf Grund der Angaben von Kurras in Gefängnissen der DDR eingesperrt wurden, ist nicht bekannt, weil die Namen entsprechender Personen in den freigegebenen Kopien der Akten geschwärzt sind.

Eine lebhafte Debatte ist inzwischen darüber entbrannt, ob die Enttarnung von Kurras als Stasi-Mann und SED-Mitglied ein grundsätzlich neues Licht auf die Ereignisse von 1967 und 1968 wirft. Der Wissenschaftler Jochen Staadt, der an der FU Berlin über den SED-Staat forscht, sagte dazu: „Ich finde es schon komisch, daß viele jetzt gleich sagen, diese Entdeckung ändere gar nichts. Natürlich gab es in allen westlichen Ländern Reformstaus, und das führte zur Jugend- und Studentenbewegung. Aber die spezielle Form, die das in Deutschland angenommen hat, etwa in der Radikalisierung nach dem 2. Juni: Die wäre anders ausgefallen, wenn man gewußt hätte, daß Ohnesorg von einem SED-Mitglied erschossen worden ist.“

Stefan Wolle, ein weiterer Wissenschaftler an diesem Forschungsprojekt, argumentierte kürzlich: „Wenn man fragt, wem der Tod Ohnesorgs genutzt hat, dann kommt man schnell zu der Antwort: Walter Ulbricht. Denn das lenkte von den Mauertoten ab, nahm die DDR aus der Kritik heraus. Und man konnte nun wunderbar Propaganda treiben: Seht her, in West-Berlin erschießen sie auf offener Straße Studenten.“ Wichtiger aber sei dem damaligen Staatschef der DDR noch etwas anderes gewesen. Er habe immer das Ziel verfolgt, West-Berlin vom Bund zu trennen und der DDR zuzuschlagen. Bei seinem politischen Ziel, der Destabilisierung West-Berlins, habe ihm ein Mann wie Kurras nur nützlich sein können.

Ein direkter Auftrag zur Ermordung von Benno Ohnesorg ist (bisher) nicht nachweisbar. Ein solcher Nachweis in den Akten wäre allerdings auch unwahrscheinlich – es gibt Dinge, die auch selbstsichere Geheimdienste kaum ihren eigenen Akten anvertrauen. Dennoch wußte Kurras als Agent bei der politischen Abteilung der Polizei, daß die Desavouierung der West-Berliner Polizei ein wichtiges Ziel seiner Partei war. Auch ohne Tötungsauftrag, den die Stasi in anderen Fällen nachweislich gegeben hat, hat er also im Sinne seiner Auftraggeber gehandelt.         Hinrich E. Bues

Foto: Abgrundtiefe Heuchelei: An der Transitstrecke standen FDJ-Delegationen Spalier für den erschossenen Benno Ohnesorg. Heute ist klar, daß die Stasi in den Fall verwickelt war − unklar ist nur noch, wie tief.


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