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© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 24-09 vom 13. Juni 2009
Radikaler als die Mullahs Gespannt schaut die Welt zu, wenn am 12. Juni im Iran Präsidentschaftswahlen abgehalten werden. So manches spricht dafür, daß der im Westen als „Irrer von Teheran“ geschmähte Amtsinhaber Mahmud Ahmadinedschad für weitere vier Jahre im Amt bleibt. Aber wer ist dieser Mann eigentlich? Der Mann reist gerne. Zwei Mal im Monat geht der iranische Präsident Ahmadinedschad auch außerhalb von Wahlkampfzeiten auf Inlandsreisen. Volksnahe Politik nach seinem Verständnis: Er verteilt Geschenke, macht Versprechungen, empfängt Würdenträger und hält programmatische Reden, gerne auch zur Weltpolitik. Und er läßt sich von seinen Ministern begleiten, um unterwegs auch Kabinettssitzungen abzuhalten. Natürlich hat der 52jährige Ahmadinedschad bereits alle 30 Provinzen seines Landes zum Teil mehrfach bereist. Als er etwa in Sari am Kaspischen Meer spricht, der Provinzhauptstadt von Masanderan, deutet er auf den neben ihm stehenden Gouverneur und fragt die Menge: „Seid ihr zufrieden mit ihm?“ Die hundertfach gebrüllte Antwort: „Nein.“ Dem Gouverneur passiert nichts. Er ist ein alter Kriegskamerad von Ahmadinedschad und wurde von diesem an Stelle des Vorgängers aus der Zeit des Reform-Präsidenten Mohammed Chatami eingesetzt. Bald nach seinem Amtsantritt im August 2005 hat Ahmadinedschad in fast allen Provinzen Vertrauensmänner aus gemeinsamer Vergangenheit bei den Revolutionsgarden, Geheimdiensten oder bei der Volksmiliz zu Gouverneuren ernannt. Auch seine Auslandsreisen nehmen einen zunehmend größeren Teil seiner Zeit in Anspruch. Eine besondere Vorliebe scheint er dabei für Südamerika entwickelt zu haben – genauer, für linke Regierungen wie etwa in Bolivien und vor allem Nicaragua. Motto: Der Feind meines Feindes (USA) ist mein Freund. Ein Vorgehen, das sogar in der iranischen Presse immer wieder auf herbe Kritik stößt. So schreibt etwa die reformorientierte iranische Zeitung „Etemad Melli“: „Glauben Sie, daß Leute wie Hugo Chávez die strategischen Verbündeten des Iran sein könnten? Diese linken Freunde sind gut für Kaffeehausdebatten. Aber nicht, um unsere Belange bei der Sicherheit, der internationalen und der Wirtschaftspolitik zu sichern.“ Doch Ahmadinedschad bietet seinen Kritikern im Iran weitere, handfeste Angriffsflächen: Im Parlament fragten Abgeordnete nach dem Verbleib von umgerechnet 300 Millionen Euro, welche die Stadt Teheran unter Ahmadinedschad als Bürgermeister ohne Belege ausgegeben hat. Sie bekamen keine Antwort. Ferner gab die Stadt 100000 Euro aus, um Ahmadinedschads Wahlsieg 2005 zu feiern. An Kummer gewöhnt nimmt die unpolitische Mehrheit der Iraner solche Lappalien allerdings kaum wahr. Was sie ärgert, sind vor allem die Lebensmittelpreise. Die sind alleine im letzten Jahr um etwas über 40 Prozent gestiegen. Dennoch genießt der Präsident insbesondere bei den unteren Schichten und der Landbevölkerung nach wie vor hohes Ansehen. Vor seiner Wahl 2005 hat Ahmadinedschad versprochen, er werde Erdöl-Milliarden auf die „Sofreh“ der Armen umleiten. Jene auf dem Boden liegende Matte, auf der in traditionell lebenden Familien die Mahlzeiten serviert werden. Und tatsächlich werden riesige Subventionen verteilt. Alleine für Brot mehr als zwei Milliarden Euro – aber nicht sonderlich durchdacht. Beseelt von seinem eigenen Sendungsbewußtsein, läßt sich Ahmadinedschad von Rückschlägen in keinster Weise beeindrucken. Ein Schlüssel zum Verständnis liegt schon in seiner Herkunft und seinem Namen begründet: Am 28. Oktober 1956 wird er in Garmsar, rund 100 Kilometer östlich von Teheran, als viertes von sieben Kindern eines armen Schmieds geboren. 1957 zieht die Familie dann in den Süden der Hauptstadt. Der Vater läßt den Familiennamen vom handwerklichen Sabordschian („Teppichfärber) zum frommen Ahmadinedschad ändern, was soviel bedeutet wie „tugendhafte Rasse des Propheten“. Der fleißige und unauffällige Mahmud versucht bald, dem großen Namen alle Ehre zu machen. Die Strebsamkeit zahlt sich aus. 1975 erreicht Ahmadinedschad bei einer landesweiten Eignungsprüfung für die Universität den 130. Platz. Er studiert Tiefbau, macht seinen Doktor als Bauingenieur im Bereich Transportwesen und Verkehrsbauplanung. Als Student engagiert er sich in der Anti-Schah-Bewegung. Als Saddam Hussein 1980 den Iran überfällt, geht Ahmadinedschad mit anderen Freiwilligen in die Kurdengebiete des Westirans nahe der irakischen Grenze. Dort kämpft man gegen die Iraker ebenso wie gegen die Aufständischen der Demokratischen Partei Kurdistans. Die jungen Männer werden von Krieg, Kameradschaft und tausendfachem Märtyrertod geprägt. Eine Generation solcher Männer lebt noch im Iran. Viele sind ewige Revolutionäre geblieben, die zu dem reinen, aufopferungsvollen Islam von 1979 und zu der Kameradschaft des Fronterlebnisses zurück wollen. Während die Reformer in den vergangenen Jahren den Iran an den Westen heranzurücken versuchen, wendet sich Ahmadinedschad immer stärker der mystizistischen Lehre vom Mahdi zu, eine Art schiitischer Messiaskult. Der 12. Imam der Schiiten war im Jahr 941 n. Chr. verschwunden. Seither warten die Gläubigen auf seine Wiederkehr. Er wird sieben Jahre lang herrschen, bevor er das Ende der Welt und das jüngste Gericht herbeiführt. Seiner Herrschaft wird großes Leid vorangehen. In seiner Ansprache vor der UN-Generalversammlung 2005 widmete der iranische Präsident vor verdutzten Diplomaten eine Viertelstunde seiner Redezeit dem verborgenen Imam. Immer wieder nimmt er dieses Thema in den folgenden Jahren in seinen Reden auf. Warum? Im Grunde erscheint es wie der verzweifelte Versuch, das Rad der Geschichte auf die Tage nach der Revolution zurückzudrehen. Der Versuch, die Lehre des „wahren Islam“ weiter umzusetzen. Der weltliche Präsident Ahmadinedschad ist diesbezüglich oft radikaler als die meisten Mullahs. Er wird dieses Ziel immer im Auge behalten. Und auch dafür noch so manche Reise antreten. Jörg Schmitz Foto: Sucht die Sympathien der alten Garde: Ahmadinedschad vor einem Chomeini-Bild |
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