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20.06.09 / Russki-Deutsch (22): Kolchos

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-09 vom 20. Juni 2009

Russki-Deutsch (22):
Kolchos
von Wolf Oschlies

Kolchos“ ist ein Akronym, also eine Neubildung aus Anfangssilben, hier von „kollektivnoe chozjajstvo“ (Kollektivwirtschaft). So hießen die Zwangsgenossenschaften, in die russische Bauern ab 1929 gepreßt wurden. Ihr Pendant waren die „Sowchosen“ (sovetskoe chozjajstvo), Staatsgüter, deren Beschäftigte leichter lebten, da sie weniger als Kolchosen vom Ernteertrag abhingen. Dafür durften „Kolchosniks“ kleine „Hofgrundstücke“ bewirtschaften, etwas Vieh halten und auf Kolchosmärkten einen Rest von bäuerlicher Privatwirtschaft betreiben, ohne die die Versorgung mit Nahrungsmitteln zusammengebrochen wäre.

Darum ist das absolute Negativ-Image der Kolchosen nicht ganz gerecht. Landwirtschaftliche Zwangskollektive gab es, Polen partiell ausgenommen, in ganz Osteuropa, aber „Kolchos“ gehört zu den wenigen Sowjet-Neuwörtern, die nirgendwo übernommen wurden. „Kolchos“ stand umgangssprachlich für Schmutz, Primitivität, schludrige Wirtschaft etc., in der DDR auch für Ansammlungen von Menschen, denen man keine große Sympathie entgegenbrachte. So tief wollten die LPGs der DDR dann doch nicht sinken.

Im russischen Wort „chozjajstvo“ steckt die turksprachliche Wurzel „choza“ (Hausherr, zu „chozjain“ russifiziert), die uns aus dem „Hodscha“ bekannt ist, dem islamischen Religionslehrer. Der russische „chozjain“ wurde im Deutschen sehr frequent, da er der inoffizielle Titel Stalins war. Ein bezeichnender Titel, denn ein echt russischer „chozjain“ war Herr über Besitz, Leben und Tod seiner Untergebenen. Stalin wußte das, akzeptierte nur eine einzige „chozjajka“ über sich – seine Tochter Swetlana Allilujewa, wie diese 1966 in „20 Briefe an einen Freund“ bekundete.

Worterklärungen müssen manchmal umständlich sein, von „Kolchos“ zu „chozjain“ und zurück. In Stuttgart existiert eine lose Vereinigung von Pop-Musikern, die sich „Kolchose“ nennt. Viel älter sind die abfälligen Bezeichnungen „Tatarskoe selo“ (Tataren-Dorf) und „objedinnjonny kolchoz“ (vereinigter Kolchos), die die stolzen Petersburger für Mos-kau prägten. Nur in diesem Verdikt wird der „Kolchos“ überdauern, nachdem es die Institution „Kolchos“ längst nicht mehr gibt.


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