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20.06.09 / Der neue alte Traum

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 25-09 vom 20. Juni 2009

Der neue alte Traum von Größe
Die Türkei begibt sich auf die Suche nach neuen Partnern − EU argwöhnisch über Ankaras neues Auftreten

Der neue türkische Außenminister Ahmet Davotuglu betreibt eine „neo-osmanische“ Strategie. Beobachter befürchten eine einseitige pro-arabische, islamistische Außenpolitik.

Auf den ersten Blick ist Ahmet Davotuglu ein eher unscheinbarer Professor, doch das ist nur der erste Eindruck. Der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan sieht nicht von ungefähr in dem 51jährigen seine Wunderwaffe, um die schwindende Gunst der türkischen Wähler zurückzugewinnen. Doch Erdogans politischer Befreiungsschlag in Form einer Kabinettsumbildung am 1. Mai wurde von dem blutigen Massaker in Bilge mit 44 Toten bei einer Hochzeitsgesellschaft überschattet.

Inzwischen hat sich jedoch die Aufregung gelegt, und das neue Kabinett arbeitet bereits fleißig am Machterhalt Erdogans und seiner islamisch-konservativen Partei AKP. Vor allem Ahmet Davotuglu als neuer Außenminister setzt nun seine schon seit Jahren im Hintergrund betriebene strategische Neuausrichtung der Türkei um.

Seit Jahren ist der 1959 im zentralanatolischen Konya geborene Davotuglu außenpolitischer Berater der türkischen Ministerpräsidenten. Bereits unter Erdogans Vorgänger Abdullah Gül gab der Professor für Politik und Wirtschaft die Leitlinien hinter den Kulissen vor. Der Akademiker, der eine deutsche Auslandsschule besuchte, dann an der Bospurus-Universität Ökonomie und Politische Wissenschaften studierte, wurde schon früh von Orient und Okzident gleichermaßen geprägt. Dabei hat er auch die große osmanische Vergangenheit seines Landes im Blick.

„Strategische Tiefe: Die internationale Stellung der Türkei“ lautete sein 2001 veröffentlichtes Buch, das in Fachkreisen für Aufsehen sorgte. Es sieht eine neue, international bedeutendere Rolle für die Türkei vor, an deren Realisierung Davotuglu nun bereits seit Jahren arbeitet. Die Normalisierung der Beziehungen zu Armenien, Vermittlungsbemühungen zwischen Israel und Syrien, Sondierungsgespräche mit der Hamas oder irakischen Kurden − die Türkei gibt sich diplomatisch und erlangt somit in ihrer Region neuen Einfluß. Während der impulsive Ministerpräsident Erdogan nach außen hin das Selbstbewußtsein der Türkei betont und zum Teil noch überzeichnet, arbeitet Davotuglu an der Umsetzung des neuen türkischen Selbstverständnisses.

Doch der ruhige, ausgleichende Mann im türkischen Außenministerium bereitet einigen Türkeibeobachtern mehr Sorgen als der extrovertierte Erdogan. Davotuglus neue „neo-osmanische“ Außenpolitik führt bereits jetzt zu einem rasanten Machtgewinn der Türkei in ihrer Region, aber auch in der islamischen Welt. Es zeichnet sich ab, daß die bisherigen Kräfteverhältnisse sich verschieben. Welche Konsequenzen das auch für Europa hat, ist derzeit ungewiß, doch der Blick aus so mancher europäischen Hauptstadt auf die neue Linie der Türkei ist von Argwohn geprägt. Hatte man das Land doch mit der Aussicht auf einem Beitritt zur EU mehr an den Westen binden wollen, so erkennt man jetzt, daß die Türkei nach Jahren der Hinhaltetaktik massiv nach Alternativen zur EU sucht. Die Alternativen heißen Saudi-Arabien, Irak, Iran, Syrien, Pakistan und Afghanistan, allerdings auch Rußland und USA, so daß die Befürchtung, das Land betreibe eine einseitige pro-arabische, islamistische Außenpolitik, zu kurz gegriffen wäre.

Die Türkei will ihre historische und geographische Identität mit Leben füllen und ist auf der Suche nach einem „ausgewogenen Verhältnis zu allen globalen und regionalen Akteuren“, so Davotuglu. Das klingt aus dem Munde eines türkischen Politikers unerwartet reif und weitsichtig. Die Türkei könne „in Europa europäisch sein und im Orient orientalisch, denn sie ist beides“, erklärt der Außenminister seine Strategie, die er auch lebt. Denn auch wenn die Türkei sich immer intensiver mit ihren Nachbarn beschäftigt, so gibt es bisher keine Anzeichen dafür, daß sie ihren Kurs Richtung Westen verändert. Noch drängt Ankara offiziell stärker in die EU, als Brüssel Ankara umwirbt. Zwar attestieren Beobachter der Türkei eine Beitrittsmüdigkeit, doch bei einigen Reformen wie beispielsweise der Angleichung an das westliche Rechtssystem sind Fortschritte zu verzeichnen.

Je mehr sich Ankara in andere Richtungen orientiert, desto attraktiver wird es aber auch wegen dieser Kontakte in islamische Länder, zu denen Brüssel keinen Zugang hat. Die EU müßte jetzt also aus strategischen Aspekten heraus überlegen, wie sie mit der ohne Zweifel international an Einfluß gewinnenden Türkei weiter zu verfahren hat. Ein Beitritt zur EU verliert mit jedem Tag für die an Selbstbewußtsein zulegende Türkei an Attraktivität. Gleichzeitig wächst der Widerstand innerhalb der ohnehin überdehnten Europäischen Union gegen weitere Mitglieder. Vor allem die islamische, unter riesigen wirtschaftlichen wie gesellschaftlichen Strukturdefiziten leidende Türkei paßt immer wenigen in die sowieso eher ungeliebten Erweiterungspläne, nur will Brüssel das derzeit noch nicht offiziell eingestehen. Das führt wiederum dazu, daß Alternativen zu einem EU-Beitritt der Türkei nicht ernsthaft diskutiert werden. Begriffe wie „Strategische Partnerschaft“ geistern zwar durch die Debatten, auch wird ein ähnlicher Status für die Türkei wie etwa bei Norwegen angedacht, doch alles sind nur Gedankenspiele. Dabei ist vor allem die Norwegen-Variante äußerst attraktiv. Möglich wären verschiedene Privilegien wie visafreies Reisen, die Teilnahme am EU-Binnenmarkt, polizeiliche Zusammenarbeit oder gemeinsame Forschungsprojekte − die EU kann der Türkei einiges Attraktives auch ohne Mitgliedschaft anbieten.       Rebecca Bellanon Foto: Zwischen Orient und Okzident: Die Türkei hat zwei Gesichter.


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