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27.06.09 / »Ich kann Kanzler« − aalglatte Sieger ohne Profil

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 26-09 vom 27. Juni 2009

Moment mal!
»Ich kann Kanzler« − aalglatte Sieger ohne Profil
von Klaus Rainer Röhl

Freitag nacht kamen sie um kurz nach 1 Uhr müde und gähnend aus dem Bundestag. Schnell hatten die Abgeordneten der großen Koalition noch Steuersenkungen und andere Entlastungen für eben mal 13 Milliarden Euro beschlossen. Entlastungen für Versicherungsnehmer (9,5 Milliarden Euro), für Firmen des Mittelstands (3 Milliarden), für die Bauern. Für die kostet der Liter Diesel nur noch 25 Cent statt bisher 47. Bringt den Bauern 285 Millionen Euro. Prognose des Finanzministers Steinbrück für 2010: 86,1 Milliarden neue Schulden. Nach uns die Sintflut.

Während dessen lief im Zweiten Deutschen Fernsehen die Blödelschau „Ich kann Kanzler!“ Eigentlich sollte es gar keine Blödelschau werden, versicherten die Veranstalter des ZDF, sondern eine unterhaltsame Sendung wie „Deutschland sucht den Superstar“ mit Dieter Bohlen, bei dem junge Erwachsene sich melden und in langen Auswahlverfahren vorsortiert werden, und dann – nach umfangreichen Vorbereitungen, in einem Live-Auftritt das Publikum überzeugen können – bleibt am Ende nur eine kleine Gruppe übrig, und aus dieser Spitzengruppe werden am Ende alle herausgewählt – bis auf einen, das ist Deutschlands neuer Superstar. Auf ihn warten Schallplattenverträge und Konzerte. Ganz ähnlich funktioniert Heidi Klums „Germany’s Next Topmodel“ – auch da werden endlose Fernsehabende lang (unterbrochen von reichlich Werbung) aus zahllosen Bewerberinnen Mädchen ausgesondert, die dann zum Kampf um Deutschlands schönstes Model antreten dürfen. Auch hier besteht die Chance für einen Werbevertrag. Die Nation macht sich in langen Diskussionen Sorgen um die jungen Dinger, die sich vielleicht durch mörderische Diäten zum Topmodel durchgehungert und -trainiert haben.

Aus diesem an sich schon stark blöden Konzept hatten die unermüdlichen Fernseh-Macher des ZDF – nach einem Vorlauf in Kanada – eine „Politik-Blödelschau“ entwickelt mit dem aus einer Mischung von Türkendeutsch und Obama-Slang gebildeten Titel „Ich kann Kanzler!“

5000 Jugendliche waren aufgefordert worden, ihre Bewerbung einzureichen und nach langwierigen Prüfungen auch hier in die engere Wahl zu kommen und der Gewinner von „Ich kann Kanzler“ zu werden. Natürlich winkte dem Sieger diesmal nicht eine Stellung als Bundeskanzler, immerhin aber, neben dem Fernsehauftritt, ein Monatsgehalt der Kanzlerin: 19000 Euro.

Sechs Bewerber, zwei Frauen und vier Männer, waren am Ende übriggeblieben, um vor den strengen Blicken und indiskreten Fragen der Jury ihre Fähigkeiten zu produzieren.

Neben Publikumsliebling Günter Jauch und dem ehemaligen SPD-Bürgermeister von Bremen Henning Scherf war da noch die oft wohlwollend als „Ulk-Nudel“ bezeichnete Anke Engelke in der Jury. Deren Markenzeichen ist ein mädchenhaft kokettes Grinsen, seit sie als sechsjähriger Kinderstar von Udo Jürgens entdeckt wurde. Offenbar hatte jemand dem Kind erzählt, daß so ein „Näschenkrausziehen“ den Onkels aller Altersklassen gefällt, und tatsächlich sah das damals, vor 31 Jahren, auch sehr niedlich aus. Das eigentliche Wunder ist, daß „Anke“ es schafft, immer wieder von irgendjemand engagiert zu werden. Nun also für „Ich kann Kanzler“, wo sie der Sendung den letzten Rest von Ernsthaftigkeit nahm, die der Moderator und die Kandidaten angespannt-lässig zelebrierten: Die „Glaubwürdigkeit der Politik“, die „Verantwortung für die Jugend“, die Zukunft, die Migranten, keine Phrase aus dem Phrasenlexikon, die nicht geölt aus dem Mund der Kandidaten perlte. Was auch nur einen Zentimeter über den Durchschnitt ragte, wurde unbarmherzig abrasiert, selbst die gebildete – und schöne – türkischstämmige Migrantin schien noch zu originell für den Bundeskanzlerjob, ebenso die alleinerziehende Hartz-IV-Empfängerin mit vier Kindern und gar der der CSU nahestehende Besitzer eines Autohauses, der sich gemeldet hatte, „um nicht die ganze Sendung den Roten und Grünen zu überlassen“, standen auf aussichtslosem Posten. Übrig blieben zwei junge Männer, Jusotyp der eine mit echt jungenhaftem Lachen und Bart, Typ Traum-Schwiegersohn, und ein langer, schlaksiger CDU-Mann der andere. Bei beiden hatte Anke Engelke es „im Bauch, der wird es“, und Henning Scherf flippte schier aus über die gute Vorbereitung und das glatte Rüberkommen der beiden. Diese Jugend von heute! Jedes Volk hat den Bundeskanzler, den es verdient.

Kein Dutschke und kein Cohn-Bendit in Sicht, nicht einmal ein Joschka Fischer. Man lag 100prozentig auf der Linie der Großen Koalition: Das schafften die Jurymitglieder und der Moderator mit sanfter Regie, das meldeten die Voraussagen und das wählten schließlich auch die 120000 Telefon-Wähler. Sie entschieden sich mit aalglatter Mehrheit für die politische Korrektheit und die geläufigsten Phrasen, und der redegewandte CDU-Kandidat siegte auch nur mit einer Nasenlänge: Wirklicher Sieger war die Große Koalition.

Bleibt die Frage nach unserer realen Kandidatin für das Kanzleramt im September. Kannst du Kanzler, Angie?

Will Angela Merkel diesmal Bundeskanzlerin Deutschlands werden und die Richtlinien der Politik bestimmen, wie es sich gehört? Und nicht Kanzlerin einer Großen Koalition? Ich glaube, eher nicht. Sie wird sich weiterhin lieber als die Kanzlerin der Großen Koalition denn als Kandidatin der Union profilieren. Sie hat in den letzten vier Jahren nach besten Kräften nicht Unions-Politik, sondern Koalitions-Politik gemacht – also auch SPD-Politik. Wenig blieb vom Wahlprogramm der Union. Die Konservativen – und die Vertriebenen – blicken nicht vertrauensvoll auf die Kanzlerin, sondern sorgenvoll.

 

Klaus Rainer Röhl war einst Chefredakteur von „konkret“. Seine Lebensgeschichte beschreibt er in dem Buch „Mein langer Marsch durch die Illusionen – Mein Leben unter Hitler, der KPD, den 68ern, der RAF und Ulrike Meinhof“, München 2009.

Foto: Phrasen statt Profil: Kandidaten der ZDF-Show „Ich kann Kanzler“ imitierten blutleer die echten Politiker.


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