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11.07.09 / Von Karlsruhe genötigt / Bei neuen EU-Richtlinien müssen Parlament und Länderkammer gefragt werden

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-09 vom 11. Juli 2009

Von Karlsruhe genötigt
Bei neuen EU-Richtlinien müssen Parlament und Länderkammer gefragt werden

Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes entdeckten die Medien, daß der Gauweiler, den sie stets belächelten, ein Held ist, da er ein Mehr an Demokratie erstritt.

Für die „taz“ war Peter Gauweiler noch bis vor kurzem ein „Querkopf“ für die „Süddeutsche“ ein „streitbarer politischer Außenseiter“ und selbst in seiner eigenen Partei, der CSU, ging man lange auf Distanz zu dem für sie im Bundestags sitzenden Abgeordneten. So richtig mochte keiner den Bayern in seinem Kampf gegen den Lissabon-Vertrag unterstützen. Nur die Partei „Die Linke“ schloß sich seiner Klage gegen den Vertrag vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe an, allerdings aus ganz anderen Motiven. Die Medien belächelten Gauweilers Engagement meistens oder polemisierten gegen ihn, wenn er mal wieder davor warnte, daß der EU-Vertrag die deutsche Souveränität aushöhle.

Doch die Zeiten ändern sich und mit ihr auch die Meinungen, das zeigt der aktuelle Fall derzeit exemplarisch. „Das Lob des Gerichts darf nicht enden ohne ein Lob derer, deren Klage das Urteil erst möglich machte ... in diesem Fall Peter Gauweiler. Der Außenseiter der CSU und seine Mitstreiter quer durch die politischen Lager haben der Demokratie einen Dienst getan“, überschlug sich Heribert Prantl in der „Süddeutschen“ plötzlich mit Lob für den 60jährigen Anwalt. Auch die anderen Medien waren voll des Lobes für die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, den Lissabon-Vertrag erst vom Bundespräsidenten unterschreiben zu lassen, wenn das Begleitgesetz überarbeitet wurde. In seiner eigenen Partei wird Gauweiler jetzt fast als Held gefeiert. Gerade vor der Bundestagswahl hofft Parteichef Horst Seehofer, von dem Erfolg in Karlsruhe zu profitieren. Von so offiziellem Lob hätte Gauweiler vor wenigen Wochen nicht zu träumen gewagt. Noch weniger die vielen, zu EU-Themen so häufig ungefragten Bürger dieses Landes.

Erst vor kurzem verdeutlichte die geringe Beteiligung bei der Wahl des Europa-Parlaments, daß die EU von vielen Deutschen mit Desinteresse oder Skepsis betrachtet wird. Im Rahmen der Wahl gab es vor allen in Leserbriefen Stellungnahmen, die verdeutlichten, daß viele der EU, so wie sie sich derzeit darstellt, nicht mehr folgen können oder wollen. Daß inzwischen bis zu 80 Prozent der Gesetze aus Brüssel kommen, widerstrebt vielen. Dies wissen auch die Politiker, doch da ihr Streben, als Musterschüler in der EU dazustehen, konträr zu den Bedenken der Bevölkerung steht, ignorieren sie diese einfach.

Karlsruhe hat jetzt die Bundesregierung − und auch die meisten deutschen Medien − daran erinnert, wer der Souverän der Bundesrepublik Deutschland ist. Dieser wird vertreten durch die von ihm, dem Volk, gewählten Abgeordneten, die bisher zur EU-Gesetzgebung nicht viel zu sagen hatten und deren Rechte in dem beanstandeten Begleitgesetz allzu stark beschnitten worden wären. „Ein Schweigen von Bundestag und Bundesrat reicht ... nicht aus, diese Verantwortung wahrzunehmen“, heißt es nun in der aktuellen Urteilsbegründung aus Karlsruhe. Bundestag und Bundesrat verpflichteten die Richter sogar, zu überprüfen, ob Brüssel bei neuen Richtlinien seine Kompetenzen überschreitet und ob diese auch mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar sind.

Zwar lobten die meisten Vertreter der Bundesregierung die Karlsruher Entscheidung, mußten aber gleichzeitig schwer schlucken. Von nun an wird Deutschland in der EU nicht mehr als erstes alles Abnicken können, sondern muß auf die Stellungnahme von Bundestag und -rat warten. Das führt möglicherweise dazu, daß EU-Themen plötzlich verstärkt in die öffentliche Debatte geraten und sogar den Bürgern vermittelt werden müssen. Zwar dient das der Demokratie und macht Brüssel endlich transparenter, es schmeckt aber durchaus nicht jedem. Rebecca Bellano

Foto: Äußerst unangenehm: Merkel und Steinmeier müssen das Karlsruher Urteil jetzt in Brüssel erklären.

 

Zeitzeugen

Peter Gauweiler – Der 60jährige Bundestagsabgeordnete (CSU) freut sich über das Urteil: „Was Karlsruhe jetzt festlegt, ist etwas völlig anderes als das, was wir bislang als Abnickprozedur in EU-Verfahren erlebt haben ...“ Der Rechtsanwalt ist geschäftsführender Partner der Münchner Anwaltskanzlei Bub, Gauweiler & Partner.

 

Dietrich Murswiek – „Die Verfassungsbeschwerde Dr. Gauweilers hat zwei weitere Schwerpunkte: die Verletzung des Prinzips der souveränen Staatlichkeit sowie die Verletzung der Menschenwürdegarantie und der einzelnen Grundrechte“, so Peter Gauweilers Prozeßbevollmächtigter vor der mündlichen Verhandlung. Der ebenfalls 60jährige ist nicht nur als Prozeßvertreter, sondern auch als Gutachter und wissenschaftlicher Autor tätig.

 

Andreas Voßkuhle – Der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichtes verkündete als Sprecher das Urteil. Für die Karlsruher Richter ist das „Gesetz über die Ausweitung und Stärkung der Rechte des Bundestages und des Bundesrates in Angelegenheiten der Europäischen Union“ genau das Gegenteil von dem, was sein Name vermuten läßt. Die Bundesregierung muß Bundestag und Bundesrat mehr Rechte bei der EU-Gesetzgebung einräumen, sonst darf der EU-Vertrag nicht ratifiziert werden. Das bedeutet aber auch, daß auch Karlsruhe selbst bei EU-Fragen mitreden darf. Denn dadurch, daß geprüft werden muß, ob alles, was aus Brüssel kommt, auch dem Grundgesetz entspricht, sind auch die Verfassungsrichter gefragt. Auch könnten, sollte das von Karlsruhe gewünschte Prozeßrecht vom Bundestag verabschiedet werden, Bundesbürger beim Bundesverfassungsgericht EU-Normenklagen erheben.

 

Declan Ganley – „Jetzt herrscht in Europa eine Tyrannei der Mittelmäßigkeit“ − und er will Europa mit seiner Parteineugründung Libertas retten: Der 1968 geborene Unternehmer wurde eigentlich in London geboren, nahm aber 2006 die irische Staatsbürgerschaft an. Seine EU-Kritik hat zum Nein der Iren beim ersten, gescheiterten Referendum zum Lissabon-Vertrag beigetragen. Ganleys Engagement wird von einem Skandal über US-Geldgeber überschattet.


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