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11.07.09 / Anwalt einer friedlichen Weltpolitik / Der Historiker und Politiker Hans Delbrück war als »aufgeklärter Konservativer« seiner Zeit weit voraus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-09 vom 11. Juli 2009

Anwalt einer friedlichen Weltpolitik
Der Historiker und Politiker Hans Delbrück war als »aufgeklärter Konservativer« seiner Zeit weit voraus

Die zivile Geschichtswissenschaft hat sich nicht immer mit der Militärgeschichte beschäftigt. Lange Zeit war das eine Domäne der Soldaten. Sie versuchten, aus der Beschäftigung mit früheren Kriegen Lehren für das Führen zukünftiger zu ziehen. Delbrück war Zivilist und Geschichtswissenschaftler – und beschäftigte sich trotzdem mit der Kriegsgeschichte, die er in die allgemeine einzubinden versuchte. Das mißfiel sowohl Kollegen als auch Militärs.

Der am 11. November 1848 in Bergen auf Rügen geborene Sproß einer angesehenen Beamten- und Gelehrtenfamilie nahm 1868 ein Studium der Geschichte auf, das er in Greifswald, Heidelberg und Bonn absolvierte. 1873 promovierte er bei Heinrich von Sybel über die Glaubwürdigkeit des mittelalterlichen Geschichtsschreibers Lambert von Hersfeld. Ein Verwandter, Otto von Bismarcks rechte Hand und Kanzleramtsleiter Rudolf von Delbrück, besorgte ihm im darauffolgenden Jahr eine Stelle als Erzieher am Hofe des Kronprinzen Friedrich Wilhelm. Bis 1879 erzog er dessen Sohn Waldemar.

Die freie Zeit nutzte er für die Arbeit an einer Habilitationsschrift, die mit dem von ihm bewunderten preußischen Heeresreformer Neithardt von Gneisenau ein militärgeschichtliches Thema hatte. Er beendete die von Georg Heinrich Pertz begonnene Herausgabe des Nachlasses des Feldmarschalls und legte eine Biographie vor. Weitere militärgeschichtliche Veröffentlichungen folgten. Krönung seiner militärgeschichtlichen Studien war sein von 1900 bis 1920 erschienenes vierbändiges Werk „Geschichte der Kriegskunst im Rahmen der politischen Geschichte“. Mit dieser Einbindung der Militär- in die allgemeine Geschichte betrat Delbrück Neuland.

Damit kam er den Militärs ins Gehege, welche die Militärgeschichte als ihre Domäne betrachteten. Delbrück hatte zwar 1870/71 als Freiwilliger am Deutsch-Französischen Krieg teilgenommen, danach aber bewußt auf eine Reserveoffizierslaufbahn verzichtet, gehörte also nicht zu ihnen. Über den grundsätzlichen Dissens hinaus, inwieweit die Militärgeschichte in die von Zivilisten geschriebene allgemeine Geschichte eingebettet gehört, provozierte Delbrück den preußischen Generalstab mit seiner These, daß Friedrich der Große im Gegensatz zu Napoleon keine Vernichtungs-, sondern eine Ermattungsstrategie angewandt habe.

Doch auch bei seinen zivilen Kollegen stieß Delbrück auf Gegnerschaft und Widerstand. Viele Kollegen weigerten sich, die „Geschichte der Kriegskunst“ als Universitätsdisziplin anzuerkennen. So mußte Delbrück nach seiner Habilitation für allgemeine Geschichte im Jahre 1881 über ein Jahrzehnt auf einen Lehrstuhl warten. 1885 wurde er „nur“ außerordentlicher Professor an der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität. 1895 wurde er dann endlich zum Ordinarius berufen, und im darauffolgenden Jahr erhielt er den Lehrstuhl für „Allgemeine und Weltgeschichte“ des im selben Jahr verstorbenen Heinrich von Treitschke.

Mit Treitschke hatte er bereits ab 1883 die „Preußischen Jahrbücher“ herausgegeben, die 1858 von Vertretern des konstitutionellen Liberalismus gegründet worden waren. In ihnen kommentierte er jeden Monat innen- wie außenpolitische Ereignisse. 1889 kam es jedoch über unterschiedliche Anschauungen hinsichtlich der Sozialpolitik zum Bruch zwischen den beiden Herausgebern. Einer Anekdote zufolge soll Delbrück deshalb in jenem Jahr den Verleger darum gebeten haben, ihn von seiner Aufgabe zu entbinden. Daraufhin habe der Verleger sich aber nicht von ihm, sondern von Treitschke getrennt. Tatsache ist, daß Delbrück tatsächlich fortan bis 1919 alleiniger Herausgeber war.

Den Schlußpunkt der wis­sen­schaf­tlichen Karriere Hans Del­brücks bildete seine von 1924 bis 1928 veröffentlichte fünfbändige Weltgeschichte. Große Aufmerksamkeit gewann sie nicht mehr. So sehr Delbrück mit der universitären Anbindung der Militärgeschichte seiner Zeit voraus war, so sehr hinkte er ihr mit seiner Universalgeschichte hinterher. Wissen und Wissenschaft machten mittlerweile derart große Fortschritte, daß die Zusammenfassung der Erkenntnisse einer ganzen Disziplin in einem einzigen Werk nicht mehr möglich war.

Delbrück war jedoch nicht nur Historiker. Wie viele seiner damaligen Kollegen und auch andere Honoratioren engagierte er sich für das Gemeinwesen, war er Politiker. Delbrück verstand sich denn auch nicht als Berufspolitiker, sondern als „Gelehrter in der Politik“. Im politischen Spektrum verortete er sich selbst als „aufgeklärter Konservativer“. Als damaliger Privatdozent nicht voll ausgelastet, saß er für die Freikonservativen erst von 1882 bis 1885 im  Preußischen Abgeordnetenhaus und dann von 1884 bis 1890 im Deutschen Reichstag.

Ungeachtet seines konservativen Selbstverständnisses stand Delbrück in manchen Fragen den Kathedersozialisten nahe. So vertrat er mit der Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts sowie in der sozialen Frage eher sozialdemokratische Standpunkte. Dieses galt auch für die Nationalitätenpolitik, die ihn in Gegensatz zu den Alldeutschen brachte. Auch in der Flotten- und Weltpolitik setzte er sich von den Alldeutschen ab. Ihm schwebte eine „friedliche Weltpolitik“ in Anlehnung an Großbritannien vor. Im Gegensatz zu den Alldeutschen wollte er nach dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges auch nicht das europäische Gleichgewicht durch eine deutsche Hegemonie ersetzen. Nach dem Kriegs­ende nahm er die Weimarer Republik gegen den Vorwurf des „Dolchstoßes“ in Schutz. Für „Verderber“ des Deutschen Reiches hielt er vielmehr Alfred von Tirpitz und Erich Ludendorff, den er als Sachverständiger in einem Untersuchungsausschuß des Reichstages über die Gründe der Kriegsniederlage scharf angriff.

Mit gleicher Klarheit sprach sich Delbrück gegen die Versailler These von der deutschen Alleinschuld am Ersten Weltkrieg aus. Und den Krieg gegen Rußland bezeichnete er in einem gemeinsam mit Max Weber unterzeichneten Memorandum als Verteidigungskrieg. Wenn Delbrück – wie er es dezidiert tat –  gegen Konservative Stellung bezog, dann war seine Kritik systemimmanent. Im Gegensatz zu den Sozialdemokraten wollte er durch sein Tun die politische Ordnung nicht umstürzen, sondern vielmehr durch Reformen ihren Fortbestand sichern. Vor 80 Jahren, am 14. Juli 1929, starb Hans Delbrück in Berlin. Manuel Ruoff

Foto: Hans Delbrück: Pionier der zivilen Militärgeschichtswissenschaft


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