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11.07.09 / Lust auf Abenteuer / Gespräch mit dem Schauspieler Winfried Glatzeder: Aus Beobachtungen und Konfrontation Figuren bauen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-09 vom 11. Juli 2009

Lust auf Abenteuer
Gespräch mit dem Schauspieler Winfried Glatzeder: Aus Beobachtungen und Konfrontation Figuren bauen

Mit der „Legende von Paul und Paula“ wurde Winfried Glatzeder, geboren am 26. April 1945 in Zoppot, ausgebildet an der Hochschule für Film- und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg, einer der Stars von DEFA, DDR-Fernsehen und Berliner Volksbühne. Der rbb widmete Glatzeder jetzt ein Porträt in seiner Reihe „Ost-Legenden“. Die PAZ sprach mit dem Schauspieler.

PAZ: Fühlen Sie sich als „Ost-Legende“?

Winfried Glatzeder: Immerhin habe ich in der DDR von 1965 bis 1982, also 17 Jahre, diesen Beruf ausgeübt. Aber was heißt „Ost-Legenden“ im vereinten Deutschland? Eine Legende ist der, der nicht durch eigenes Verschulden in den Köpfen der Leute ist, sondern durch eine günstige Konstellation der Zeit. Angelica Domröse und ich sind mit „Paul und Paula“ oder Manfred Krug durch „Spur der Steine“ im Gedächtnis der Leute. Insofern ist das berechtigt.

PAZ: Sie sind Jahrgang 1945, ihre berufliche Biographie hat immer wieder Brüche, die parallel zu den Brüchen der DDR-Geschichte liegen.

Glatzeder: Als pubertierender Jugendlicher habe ich wie die DDR geglaubt, eine Utopie Realität werden zu lassen, eine Gesellschaft ohne Bankenkrise, ohne Wettbewerb. Ich war genauso naiv, wie die Konstrukteure des Sozialismus auf deutschem Boden. Dann wurde ich etwas aufmüpfiger und habe gemerkt, daß diese Utopie auf Kosten vieler Leute geht. Aus dem Arbeitsleben habe ich mich nach der Lehre sehr schnell entfernt. Meine Hochachtung für alle Arbeiter, die das durchgehalten haben bis zum Schluß. Seit Mitte der 1960er Jahre hatte ich ein traumhaftes Leben in einer Nische.

PAZ: In der alles glatt lief?

Glatzeder: Ich habe in Babelsberg eine grandiose Ausbildung genossen, weil durch das 11. Plenum des ZK der SED 1965 viele Filmschaffende der DEFA zur Hochschule gekommen sind, die sonst nicht mehr arbeiten durften. Sie war ein Schmelztiegel kreativer Leute. Ich bin anschließend sofort in Berlin engagiert worden. Daher war keine Veranlassung, nur einen Moment daran zu denken woanders hinzugehen. Ich war total ausgelastet, habe meinen Beruf bis 1980 mit großer Leidenschaft hier ausgeübt und zu Hause die Windeln gewechselt. Durch meine Auslands-Gastspiele wußte ich auch, daß mich kein Paradies erwartet, wenn ich in der DDR meine Zelte abbreche. Aber es war für mich lebensnotwendig, Luft zu kriegen und was anderes zu machen, was wohl die gesamten aufmüpfigen DDR-Leute 1989 gedacht haben. Die meisten wollten in dem Sinne endlich leben, daß sie die Mangelwirtschaft hinter sich lassen können. Das war nicht mein Traum. Ich komme heute noch mit relativ wenig aus. Das Leben erfüllt sich nicht im Kaufen, sondern im Produzieren, im Träume erfüllen und dabei immer wieder auf die Fresse fliegen.

PAZ: War Hollywood eigentlich ein Thema unter Schauspielern in der DDR?

Glatzeder: In meinem Kopf war die Möglichkeit wie in einem Traum vorhanden, den man als Kind haben kann. Wenn man in diesem Beruf das Wahnsinnigste erreichen will, will man mit den besten Leuten arbeiten, mit Regisseuren wie Roman Polanski und Milos Forman. Aber wir waren hier in der DDR. Und ich bin froh, daß ich hier zwei, drei Filme gemacht habe, die ein bißchen im Gedächtnis der Leute geblieben sind.

PAZ: Hatten Sie keine Gedanken an Flucht während Ihrer Gastspiele im Westen?

Glatzeder: Nein, aber manchmal habe ich geträumt, ich buddle mich wie ein Maulwurf unter der Mauer durch oder fliege wie ein Kranich, um der Ungerechtigkeit zu entfliehen, daß ein paar alte Männer darüber entschieden haben, daß wir alle eingesperrt sind, und mein Leben von der Wiege bis zur Bahre bevormunden. So habe ich es empfunden, denn in Berlin stand für mich, bis ich 16 war, keine Mauer. Andererseits hatte ich bis zu einem bestimmten Zeitpunkt das Gefühl, hier hervorragend arbeiten zu können. Vor allem hatte ich zu dem Zeitpunkt, als wir in Rom, Paris oder London aufgetreten sind, und ich später durch die Fürsprache meines Intendanten, des Schweizer Kommunisten Benno Besson, ein Visum hatte, um mir Theateraufführungen im Westen anzuschauen, eine Familie. Ich wäre nie auf den Gedanken gekommen, sie in Ostberlin zurückzulassen.

PAZ: In der Dokumentation des rbb frotzelt Ihr Freund Henry Hübchen, Sie hätten jetzt weniger Arbeit als Sie sich wünschten. Wie sieht’s aus?

Glatzeder: Ich habe viel zu tun, aber meine Sehnsucht ist noch nicht gebrochen, etwas Außergewöhnliches zu machen. Etwas wie „Filumena“ am Potsdamer Theater, ein großes Glück, daß mir widerfahren ist. Ich will auch bis zu meinem Lebensende die Hoffnung auf wahnsinnige Begegnungen nicht verlieren. Das ist mein Beruf, aus der Beobachtung von Menschen zu schöpfen, um die Figuren aus meinem Material, meinen Beobachtungen und in Konfrontation mit den Kollegen und den Regisseuren wie in einem Buddelkasten zu bauen, in dem man sich streitet und Lust auf abenteuerliche Dinge hat.

Katharina Dockhorn/Ricore

Foto: Wiederbegegnung eines Traumpaares: Winfried Glatzeder mit Angelica Domröse auf der Bühne des Potsdamer Hans-Otto-Theaters in „Filumena" von Eduardo De Filippo


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