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11.07.09 / Karriere mit der »Dreigroschenoper« / Berühmte Liebespaare der Kulturgeschichte: Lotte Lenya und Kurt Weill – Sie bewunderte seine Arbeitswut

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-09 vom 11. Juli 2009

Karriere mit der »Dreigroschenoper«
Berühmte Liebespaare der Kulturgeschichte: Lotte Lenya und Kurt Weill – Sie bewunderte seine Arbeitswut

Im Juli 1924 bat Georg Kaiser, Verfasser sozial problematischer Tragödien („Die Bürger von Calais“), die in seinem Haus in Grünheide am Peetzsee wohnende Lotte Lenya, einen jungen Mann vom Bahnhof abzuholen, den er fördern wollte. „Wie sieht er denn aus?“ Unwirsch Kaiser: „Weiß ich nicht. Er ist Jude, aus einer Rabbinerfamilie.“ „Also konservativ“, folgerte Lotte. Sie wählte den kürzesten Weg mit dem Ruderboot über den See. Der Zug war bereits eingelaufen. Ein einzelner Mann im blauen Anzug mit Hut und schwarzumränderter Brille blickte ratlos umher. Der sieht so richtig aus, dachte Lotte und fragte, ob er Herr Weill sei. Er war es. „Ich soll Sie abholen. Wir rudern über den See.“ Sichtlich erschrak er: „Im Ruderboot? Ich kann nicht schwimmen.“ Bissig Lotte: „Rudern können Sie wohl auch nicht?“ „Ich bin Komponist“, glaubte Weill erklären zu müssen. „Und ich bin Schauspielerin. Trotzdem kann ich schwimmen und rudern. Kommen Sie. Sie werden schon nicht absaufen.“ Während der Überfahrt behielt sie ihn im Auge. Er kauerte geduckt im Boot. Jämmerling, dachte Lotte. Weill seinerseits dachte: Wie grob sie ist, undamenhaft.

Nein, „Dame“ war Lotte nicht. Als Karoline Blamauer, im Wiener Wanderzirkus-Milieu aufgewachsen, beschritt sie mit 14 Jahren ihren eigenen Lebensweg. Schauspielerin wollte sie werden. Sie nannte sich Lotte Lenya.

Georg Kaiser hatte Lottes „ruppiges“ Talent erkannt. Diese Art von proletarischem Realismus gab es selten. Er nahm sich vor, sie schauspielerisch auszubilden, ohne ihre Eigentümlichkeit anzutasten. Letzteres galt auch für die Musik Kurt Weills. Sein Vater hatte ihn in geistlicher Musik unterrichtet, doch der 1900 geborene Sohn entschied sich für weltliche Klänge. Es waren schmissige Lieder, aufrührerische Songs – provozierend.

Die anfängliche Abneigung zwischen Weill und Lotte wandelte sich. Sie bewunderte seine Arbeitswut, ihn faszinierte ihr Realitätsbewußtsein. Was lag näher, als eine gemeinsame Bleibe zu suchen? Billig mußte sie sein. Das gab es in Berliner Arbeitervierteln.

Allmählich fand Weills „schräge Musik“ Zustimmung. Gut dotierte Honorare flossen. Eines Abends stellte Weill eine Flasche Wein auf den Tisch. „Krösus“, belustigte sich Lotte. Bevor er das Glas hob, sagte er bedächtig: „Ich habe lange nachgesonnen. Also ich meine, ich denke ...“ Lachend beendete Lotte die langatmige Einleitung mit: „Wir könnten heiraten.“ Erleichtert

nickte Weill. Im Januar 1926 wurden sie getraut. Freunde und Kollegen feierten mit. Die Eltern Weills erschienen nicht. Ihr Sohn heiratete eine Nichtjüdin! Unsäglicheres konnte der Rabbinerfamilie nicht widerfahren.

Weills Karriere schritt unaufhaltsam fort. Sie zogen in die Nähe des Kurfürstendamms. 1927 fand die schicksalhafte Begegnung zwischen Bert Brecht und Weill statt. Freundschaft wurde es nie. Dazu waren ihre Umgangsformen zu verschieden. Doch die Zusammenarbeit sollte beiden ihren Weltruhm sichern. Der leitete sich 1928 mit der „Dreigroschen-Oper“ ein. War es überhaupt eine Oper? Es gab keine Diva, keinen Startenor, keine Arien. „Typen“ aus dem Gangster- und Hurenmilieu agierten und sangen Songs, die keiner geschulten Gesangstechnik bedurften.

„Du singst die Polly“, verkündete Weill der verblüfften Lotte: „Deine Stimme reicht, sie erinnert an Hinterhöfe.“ „Vielen Dank“, erwiderte Lotte. Mit der Rolle der Bettlerchef-Tochter wurde aus Lotte „die Lenya“. Berlin bejubelte ihre „Polly“, die am Hochzeitstag ihrem Mann, dem Gangsterboß Meckie Messer, ein Seeräuberlied singt, in dem ein Schiff kommen wird „mit acht Segeln und fünfzig Kanonen an Bord“.

 Das nächste Projekt war die Ausarbeitung der Oper „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“. Doch keine Bühne wollte die Oper annehmen. Zu brisant schien das Thema über prahlerische Geltungssucht. Das Leipziger Opernhaus faßte Mut.

Am 9. März 1930 war Premiere. Nicht einkalkuliert worden war der politische Szenenwechsel in Deutschland. Hitlers Braunhemden hatten Sitzreihen aufgekauft mit der festen Absicht, Tumult gegen die „Judenoper“ zu entfachen. Beim Finale kam es zum Chaos. Schlägereien vermengten sich mit begeistertem Applaus.

Leipzig bildete lediglich den Anfang. Mit der Machtübernahme Adolf Hitlers 1933 setzte die Verfolgung unerwünschter Bevölkerungsgruppen ein.

1935 entschloß sich Lotte zur Auswanderung. „Warum denn?“ protestierte Weill. „Dieser Hitler ist ein Großmaul, nicht ernst zu nehmen.“

Unnachgiebig Lotte: „Aber ich nehme ihn ernst. Er tickt falsch, da sitzt ’ne Schraube locker. Ich habe die Seereise gebucht.“ Damit rettete sie Weill das Leben.

Jahre später sah er es ein. „Leicht wird es in New York nicht“, hatte er prophezeit. Er behielt recht. Ebenso wenig wie in anderen Staaten waren in Amerika Immigranten willkommen. Nach jahrelangen Rückschlägen gelang es Weill, 1949 am Broadway aufgeführt zu werden. „Lost in the Star“ wurde 281mal gefeiert.

Am 3. April 1950 stellte Weills Herz seine Tätigkeit ein. Ihm zu Ehren sang Lotte 1951 in der New Yorker Town Hall Lieder aus seinen Berliner Theatertagen. Selbstverständlich erklang, daß ein Schiff kommen wird, „mit acht Segeln und fünfzig Kanonen an Bord“.          Esther Knorr-Anders

Foto: Gerettet: Lenya und Weill 1942 in Amerika


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