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11.07.09 / Selbständiges Handeln als Maxime / Aufbau und Einsatz des deutschen Heeres und des Generalstabes von 1807 bis 1945

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 28-09 vom 11. Juli 2009

Selbständiges Handeln als Maxime
Aufbau und Einsatz des deutschen Heeres und des Generalstabes von 1807 bis 1945

Nicht glanzvolle Siege haben den seinerzeit maßgebenden amerikanischen Militärhistoriker Trevor N. Dupuy für die preußische und deutsche Armee begeistert, sondern die erstaunliche Standfestigkeit der Wehrmacht in den letzten Jahren vor ihrer Kapitulation. Er hatte nämlich durch computergestützte Analysen sehr vieler Schlachten und Gefechte festgestellt, daß im Durchschnitt 100 deutsche Soldaten in allen, für sie meist widrigen Lagen den Kampfwert von 120 amerikanischen und britischen hatten, und sie diesen 50 Prozent mehr Verluste zufügten als sie selbst erlitten. Kriegsveteranen bestätigten ihm: „Natürlich waren die Deutschen bessere Soldaten als wir …“

Für Dupuy liegt dieser Umstand in der Institution des preußischen und deutschen Generalstabs und dessen Auswirkung auf Einstellung und Verhalten der Armee bis hin zum jüngsten Soldaten begründet. Deshalb wählte er den Buchtitel nach Carl von Clausewitz, der „das Wesen des kriegerischen Genius“ als harmonisches Zusammenwirken aller für den Krieg erforderlichen „Kräfte des Verstandes und Gemüts“ sah.

Nachdem Dupuy die Klischees vom kriegerischen, militaristischen und starr disziplinierten Deutschen (teils angreifbar) abtut, folgert er, daß ihre militärischen Leistungen „nicht in den Menschen, sondern in der Struktur der deutschen militärischen Führung“ lägen. Er übergeht das seit dem 19. Jahrhundert beispielgebende deutsche Ausbildungssystem, das die Basis kultureller und zivilisatorischer Höchstleistungen sowie der militärischen Leistungsfähigkeit war. Die Schilderung der Entwick-lung des Generalstabs und der Armee ist durch die Einbettung in die bestimmenden Ereignisse in Frieden und Krieg sehr lebendig geschrieben.

Dupuy schildert, wie in dem durch Napoleon fast vernichteten Preußen erstaunlicherweise ein eher altbackener König durch zumeist Wahlpreußen gegen altpreußischen Beharrungsgeist bahnbrechende Reformen einführen ließ, die auf die politische Beteiligung des Volkes hinausliefen und, Standesschranken durchbrechend, in der Armee ein Führerkorps nach Befähigung und Leistung schufen. Dessen Spitze bildeten, streng ausgewählt und intensiv ausgebildet, die wenigen Offiziere des Generalstabs. Die leistungsorientierte militärische Führung behauptete sich nach dem Sieg über Napoleon auch gegen die Restauration. Von 1828 bis 1857 waren nacheinander gleich zwei aus dem Mannschaftsstand aufgestiegene, geadelte Bürgerliche Chefs des Generalstabs. Seit ihnen wurde es Norm, technische Neuerungen frühzeitig militärisch zu nutzen, wie damals die Eisenbahn. Was sich dann mit dem großen Moltke als Führungssystem etablierte, durchbricht vollends das gängige Bild von unbedingter militärischer Unterordnung in Preußen und Deutschland: Der Chef des „Großen Generalstabs“ erhielt vom König das Recht, ohne seine oder des Kriegsministers Billigung den Truppenteilen Befehle zu geben. Zugleich etablierte Moltke den Generalstabsdienstweg zu den Truppengeneralstäben entsprechend dem durchgehenden Dualismus: Befehlshaber – Chef des Stabes als verantwortlicher Berater. Die Einheit der Führung aus diesem Dualismus wurde das Erfolgsrezept des deutschen Führungssystems. Daraus erwuchs eine erfolgsentscheidende weitere Eigenart: die Führung durch Auftrag, die vom höchsten Befehlshaber bis zum jüngsten Soldaten selbständiges Handeln in einer anderweitig bisher unerreichten Weise verlangte und ermöglichte. Dupuy zeigt auf, wie Auswahl, Ausbildung sowie systematisches und kreatives Arbeiten und Handeln Generalstab und Truppe bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges zu Höchstleistungen brachten.

Gemäß dem Vorwort war „A Genius for War“ 1977 in den USA ein Erfolg und sollte bald auf Deutsch erscheinen. Doch die fertige Übersetzung blieb unveröffentlicht. War es volkspädagogisch unerwünscht, daß ein herausragender amerikanischer Fachmann das deutsche Militär bis 1945 als das beste der Welt lobte? Die jetzt erst in Graz erschienene deutsche Version ist höchst aktuell. Der General und Historiker Franz Uhle-Wettler, der Dupuy seinerzeit beriet, vermittelt durch seine ergänzenden Anmerkungen den heutigen Kenntnisstand. Abweichende Anmerkungen zur amerikanischen Sicht des Autors ergeben einen erhellenden Dialog.       Manfred Backerra

Trevor N. Dupuy: „Der Genius des Krieges – Das deutsche Heer und der Generalstab 1807 bis 1945“, erläutert von Franz Uhle-Wettler, Ares-Verlag, Graz 2009, 440 Seiten, geb., 29,90 Euro


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