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18.07.09 / Das giftige Erbe der Verdrängung / Tausende Stasi-Veteranen sind noch im öffentlichen Dienst – Brandenburg besonders betroffen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-09 vom 18 Juli 2009

Das giftige Erbe der Verdrängung
Tausende Stasi-Veteranen sind noch im öffentlichen Dienst – Brandenburg besonders betroffen

Selbst hochgradig belastete Stasi-Kader könnten noch heute im Polizeidienst stehen, heißt es aus Potsdam. Wegen früherer Versäumnisse aber kann man sie kaum mehr belangen.

Ganze 17000 einstige Mitarbeiter der Stasi arbeiten bundesweit weiterhin im öffentlichen Dienst, berichtet die Tageszeitung „Financial Times Deutschland“. Auch Polizei und Justiz beschäftigen demnach Tausende mehr oder weniger belastete Alt-Kader. Darunter seien Personenschützer von Angela Merkel und sogar Mitarbeiter des Staatsschutzes, jener Polizeieinheit, die sich mit der Verfolgung politischer Straftaten befaßt. Besonders betroffen ist offenbar Brandenburg: 201 ehemals hauptamtliche Stasi-Spitzel arbeiten in der gesamten Landespolizei, 58 davon beim Landeskriminalamt und neun beim Staatsschutz.

Mitarbeiter des brandenburgischen Innenministeriums verweisen in Sachen alte Stasi-Kader auf lange          zurückliegende Entscheidungen. „Das war alles bekannt, jetzt wird es skandalisiert, da fürchte ich doch, daß viele sich nicht mit den Fakten vertraut gemacht haben“, so Innenminister Jörg Schönbohm (CDU). Seit 1999 im Amt, hat er die betroffenen Staatsdiener also „geerbt“. Das Thema sei zu brisant, man wolle aber anders als Schönbohms Vorgänger offen damit umgehen und sich den Fragen stellen, so ein Vertrauter des Ministers.

Vorgänger Alwin Ziel (SPD), von 1990 bis 1999 Innenminister, gilt in Potsdam als Galionsfigur des sogenannten Brandenburger Wegs. Ein Weg, so ein Vertrauter Schönbohms, der zur Vergangenheitsverdrängung beigetragen habe. Zwar richte Schönbohm nicht rückblickend, sagen Mitarbeiter seiner Pressestelle, doch in den Abteilungen ist man weniger diplomatisch: Unter Ziels Ägide habe eine Schlußstrich-Mentalität geherrscht. Im Bildungswesen, der Justiz und eben auch bei der Polizei seien Stasi-Verstrickungen vom Kabinett Manfred Stolpe (SPD, einst stellvertretender Vorsitzender des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR) in den 90ern ausgeblendet worden. Stolpe selbst hatte laut Prüfbericht der Evangelischen Kirche zu DDR-Zeiten Kontakte zur Stasi in einem Ausmaß, das nicht durch den Auftrag der Kirche an ihn gedeckt war.

Es ärgert Schönbohms Truppe, jetzt als Sündenböcke für Ziels und Stolpes Versäumnisse herhalten zu müssen. Als einer der letzten Verfechter klassischer Rechtsstaatlichkeit sah Jörg Schönbohm bei Amtsantritt keinen Grund, an der Rechtmäßigkeit der vor ihm erfolgten Übernahmen von Mitarbeitern zu zweifeln. Die Polizei Brandenburgs sei nicht „stasidurchsetzt“, kontert er die Attacken.

Mehrfach ließen seine Vorgänger nach einheitlichen Kriterien prüfen, so das Ministerium: 1990 mit Personalfragen an alle Polizeibediensteten und ab Frühjahr 1991 durch eine überwiegend aus Kirchenvertretern bestehende Kommission, die sogenannte „Bischofskonferenz“. 2004 schließlich wurden die Führungskräfte noch einmal anhand der aus den USA zurück­gekehrten „Rosenholz“-Dateien überprüft. Die „Bischofskonferenz“ empfahl bei 100 von seinerzeit 10000 Polizisten die Beschäftigung zu beenden, was auch geschah.

Besonders problematisch ist, daß trotz teils mehrfacher Prüfung nach dem Kollaps der DDR offenbar auch hochgradig belastete Stasi- und SED-Funktionsträger in der Polizei verblieben sind. Man könne nicht ausschließen, daß Täter des unmittelbaren Repressionsapparats heute noch bei der Polizei seien, so die Pressestelle des Potsdamer Innenministeriums. Angehörige der Hauptabteilung IX („Untersuchungsorgan“) der Stasi könnten somit auch heute noch ihren einstigen Opfern dienstlich begegnen. Zudem vererbte die konspirativ arbeitende K1-Abteilung der Volkspolizei Brandenburgs Polizei mit Sicherheit Personal. Brandenburgs Justiz übernahm unter Justizminister Hans Otto Bräutigam 55 Prozent der Staatsanwälte und dazu 45 Prozent der Richter aus DDR-Dienst – darunter Personal mit einschlägiger SED-Vergangenheit. In Berlin konnten dank Wartestandregelung nur elf Prozent der Richter und zehn Prozent der Staatsanwälte ihre Karrieren nach dem Ende der DDR fortsetzen.

Dabei hätten die Behörden in Brandenburg in den 90ern noch alle juristischen Mittel zur Aufarbeitung der Vergangenheit verdächtiger Staatsdiener gehabt – auch der bereits verbeamteten. Heute sind im Gegensatz zu damals zwar mehr Stasi-Akten erschlossen – nur die Rechtslage hat sich radikal geändert. Die Innenminister der Länder dürfen nicht mal mehr beim Verdacht böswilliger Falschangaben von Mitarbeitern deren Stasi-Akten einsehen oder Stellungnahmen der Birthler-Behörde einfordern. Politiker der neuen Länder lehnen jetzt auch deshalb erneute Prüfungen ab.

Einzelgespräche mit Belasteten und eine wissenschaftliche Aufarbeitung an der Polizeiakademie Oranienburg sollen nach Schönbohms Willen bis Herbst Klarheit schaffen, um letzte Belastete zumindest aus sensiblen Bereichen entfernen zu können. Doch das seien keine personalrechtlichen Maßnahmen, so das Innenressort, die wären rechtswidrig. sg

Foto: Sogar beim Staatsschutz, der „politischen Polizei“, arbeiten ehemalige Angehörige des „Ministeriums für Staatssicherheit“ der DDR: Stasi-Akten, viele noch unerschlossen, in der Berliner Birthler-Behörde


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