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18.07.09 / Wirtschaft braucht Wahrheit / Papst Benedikt fordert in der neuen Enzyklika einen anderen Lebensstil – Ungewöhnlich viel Zustimmung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-09 vom 18 Juli 2009

Wirtschaft braucht Wahrheit
Papst Benedikt fordert in der neuen Enzyklika einen anderen Lebensstil – Ungewöhnlich viel Zustimmung

Selten war das Lob über ein Lehrschreiben des Papstes so einhellig wie bei der jüngsten Sozialenzyklika von Papst Benedikt XVI. Das pünktlich zum G 8-Gipfel in L’Aquila erschienene Dokument mit dem Titel „Caritas in Veritate“ (Liebe in Wahrheit) fand bei Politikern aller Couleurs, bei Protestanten wie Katholiken zustimmende Aufnahme.

Am Tag nach dem G 8-Gipfel in den Abruzzen besuchte der amerikanische Präsident Barack Obama den Papst. Gleich nach dem Erscheinen des Lehrschreibens lobte der Präsident den Papst. Obama sei beeindruckt von dem Text, erklärte sein Sicherheitsberater Denis McDonough. So war die Enzyklika bei den beiden Männern, die die höchste politische und moralischen Autorität der Welt repräsentieren, sogleich ein Gesprächsthema. Nachdem sich der amerikanische Präsident in den ersten Monaten wegen seiner Lockerung des Lebensschutzes und der Stammzellforschung durch die katholische Kirche hart kritisiert sah, sorgte das Thema einer gerechteren Welt für breitere Übereinstimmung.

Bei so viel ungewohnter Einigkeit quer durch alle politischen oder religiösen Lagers entstand bei Beobachtern schnell die Frage, ob in der Enzyklika nur Unverbindliches, Unkonkretes stehe. In der Tat fehlen in dem Lehrschreiben Vorschläge finanzieller, wirtschaftlicher oder gesetzlicher Art. Seit die Päpste Ende des 19. Jahrhunderts begannen, den Prozeß der Industrialisierung mit Lehrschreiben zu begleiten, haben sie zwar Konkretionen vermieden, aber immer wieder auf grundlegende Werte, falsche Alternativen und gravierende Mißstände hingewiesen. Papst Leo XIII. war in dieser Reihe mit seinem Schreiben „Rerum Novarum“ (1891) der erste Inhaber des Stuhles Petri, der vor den Mißständen des Liberalismus und Sozialismus warnte und für die soziale Absicherung der Arbeiterschaft plädierte. Die päpstlichen Rundschreiben „Populorum Progressio“ von Papst Paul VI. (1967) oder „Centisimus An-nus“ von Papst Johannes Paul II. (1991) setzen diese Linie fort, auf der nun auch Benedikt XVI. seine Enzyklika aufbaut. Das Streben nach Universalität, dem Einschluß aller Menschen „guten Willens“ ist die Basis aller dieser Lehrschreiben der letzten 120 Jahre. Daraus gewinnen sie ihre Autorität und Langzeitwirkung. Die päpstlichen Enzykliken entwickeln auf diese Weise eine nicht zu unterschätzende, globale Langzeitwirkung.

Die universale Haltung Benedikts hat kürzlich ein Kommentator die Logik des „und“ genannt: der Papst schweiße Glaube und Vernunft zusammen; ebenso das Ja zum technischen Fortschritt wie die Steuerung desselben durch Moral und Religion. Benedikt befürworte Globalisierung und lokale Teilhabe, Marktwirtschaft und Planung, Gewinnstreben und die Berücksichtigung des Gemeinwohles, Naturschutz und Menschenschutz, den interkulturellen Dialog und das Festhalten an lokalen Identitäten.

Eine solche vermittelnde Position im Zeichen von „Liebe“ und „Wahrheit“ läßt fast unvermeidlich dem Mißbrauch eine weite Tür offen. So war zu lesen, daß der Papst „die Gier“ geißele, er verabreiche ein „Gegengift zum Absolutheitsanspruch der Technik“, sage dem „ungezügelten Kapitalismus“ ab oder rufe nach „Offenheit für das Absolute“. Wer die (durchaus lesbare) Enzyklika im Original studiert, entdeckt schnell, daß es sich hier nur um halbe Wahrheiten handelt.

So wundert es nicht, daß selbst die papstkritische italienische Zeitung „La Republica“ Benedikt nun gar mit einem „grünen Gesicht“ sieht. Auch der DGB-Vorsitzende Michael Sommer fühlt sich der päpstlichen Forderung nach einer „politischen Weltautorität“ nahe. Bundeskanzlerin Angela Merkel findet sich in ihrer Forderung nach einer sozial verantwortlichen Welt ermutigt. Der protestantische Landesbischof Friedrich Weber lobte die Enzyklika für ihre differenzierte Sicht, für den „Geist der Aufgeschlossenheit“. Selbst katholische Bischöfe, die sich zuweilen gerne mit ihren papstkritischen Äußerungen in den Medien profilieren, geizten nicht mit Lob. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Erzbischof Robert Zol-litsch nannte das Lehrschreiben „ein großartiges Werk“. Das Schreiben betone die ganzheitliche Sicht des Menschen und stelle einen wichtigen Beitrag zu den Vorteilen und Gefahren der Globalisierung dar.

Auffällig ist in den letzten Wochen, wie angesichts der gegenwärtigen Wirtschaftskrise die theologischen und kirchlichen Gesprächspartner zunehmend Gehör finden. Daß das Wirtschaftsleben viel mit Psychologie und daher auch mit Vertrauen und Glauben zu tun hat, galt bei Börsianern schon immer als Binsenweisheit. Nun kommen die von Theologen und Kirchenvertretern schon jahrelang benannten Mißstände auch bei den Wirtschaftsvertretern an. Das zeigte sich letzten Mittwoch in Berlin, als Unternehmer und Manager erklärten, daß eine „neue Wertorientierung der Wirtschaft“ nötig sei, die sich nicht mehr „nur am Shareholder-Value, sondern auch am Gemeinwohl orientieren muß“, wie sich der Vorsitzende des Arbeitgeberverbands der Versicherungsunternehmer, Josef Beutelmann, ausdrückte.

Oder, daß es „Spielregeln und Regulierungen auf den Finanzmärkten“ geben müsse, wie Anton F. Börner vom Bundesverband Großhandel erklärte. Oder, daß sich „der zügellose Kapitalismus auf den Finanzmärkten als brandgefährlich offenbart“ habe, weshalb der Staat ein „starker Regelgeber“ sein solle, wie Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sagte.

Auch der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, dessen Chef Josef Ackermann von Landesbischof Huber in der Vergangenheit öfters unsachlich angegriffen worden war, zeigte sich tief beeindruckt von der Enzyklika. Gewinne müßten immer einem Zweck zugeordnet sein, erklärte er in einem Interview der „Tagespost“. Die „ausschließliche Ausrichtung auf Profit“ laufe Gefahr, Vermögen zu zerstören und Armut zu schaffen − nämlich dann, wenn Profit auf ungute Weise erzielt würde und sein Endzweck nicht das Allgemeinwohl sei.                         Hinrich E. Bues

Foto: Unstimmigkeiten überwunden: US-Präsident Barack Obama mit Gattin zu Gast beim Papst


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