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18.07.09 / Statt Umfragehörigkeit ist politische Führung gefordert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-09 vom 18 Juli 2009

Gastkommentar:
Statt Umfragehörigkeit ist politische Führung gefordert
von Philip Baugut

Merkel oder Steinmeier, Schwarz-Gelb oder Rot-Rot-Grün? Im Super-Wahljahr 2009 hat die Demoskopie Konjunktur. Was aus der Küche der Meinungsforscher kommt, interessiert machthungrige Politiker ebenso wie spekulationsfreudige Journalisten, die den Bürgern die neuesten Zahlen servieren. Die Berichterstattung über die angebliche Stimme des Volkes hat sich seit dem Jahr 1980 mehr als verzehnfacht.

Für Aufregung, Glückshormone und Depression sorgt regelmäßig die sogenannte Sonntagsfrage nach der Parteipräferenz. Doch die Ergebnisse sind mit Vorsicht zu genießen, weil die Parteibindung der Wähler stark abgenommen hat, sie also unberechenbarer sind. Davon zeugen falsche Vorhersagen, etwa zur Bundestagswahl 2005, nach der die Demoskopie in der Kritik stand. Daß Wahlforscher heute dennoch ständig gefragt sind, verdanken sie ihren wichtigsten Auftraggebern, den Medien. Im selben Boot sitzen die ARD und Infratest dimap, das ZDF und die Forschungsgruppe Wahlen, der „Stern“ und Forsa, die „FAZ“ und Allensbach.

Die Institute sollen das Material für spektakuläre Exklusivmeldungen liefern. So läßt sich mit einer einzigen Umfrage der Niedergang der SPD eindrucksvoll und mühelos thematisieren. Die Momentaufnahme, wer im Parteien- und Kandidatenwettbewerb führt, verspricht den Medien auch mehr Aufmerksamkeit als der inhaltliche Streit, der die Wahlkampfberichterstattung jedoch prägen sollte. Unter ökonomischem Druck schielen Journalisten somit verstärkt auf aktuelle Umfragen. „Diese ersetzen die eigene Sicht“, kritisiert die Berliner „Tagesspiegel“-Korrespondentin Tissy Bruns die journalistische Bequemlichkeit.

Angesichts der Partnerschaft von Medien und Meinungsforschung besteht die Gefahr, daß Journalisten die Schattenseiten der Demoskopie übersehen. Noch immer werden Erhebungen mit weniger als 1000 Befragten veröffentlicht, obwohl diese nicht alle Wahlberechtigten repräsentieren. Und selbst bei dieser Mindestzahl beträgt die statistische Fehlerspanne 2,6 Prozentpunkte nach oben oder unten. Problematisch ist auch die vorherrschende Methode der Datenerhebung, das Telefoninterview. Zwar sind so täglich schnell und billig Ergebnisse erhältlich, doch die Auskunftsbereitschaft der Wahlberechtigten ist größer, wenn sich die Gesprächspartner in die Augen schauen. So aufwendig erhebt aber nur Allensbach seine Daten. Deutschlands ältestes Meinungsforschungsinstitut ist anders als die meisten seiner Mitbewerber nicht auf Gewinnmaximierung angelegt.

Die Unabhängigkeit der Forschung ist gerade bei der viel beachteten Sonntagsfrage wichtig, weil die Meinungsforscher die ermittelten Rohdaten noch interpretieren müssen. Wie entschlossen die Befragten zur Wahl einer bestimmten Partei sind, ist so eine Frage, die jedes Institut nach einem geheimen „Schlüssel“ beantwortet. An dieser Stellschraube können die Institute drehen, um ihren Auftraggebern aus den Parteien entgegenzukommen. So verwundert nicht, daß Meinungsforscher zur Zielscheibe von Kritik werden. Als „Giftmischerin vom Bodensee“ beschimpfte der damalige SPD-Bundesgeschäftsführer Günter Verheugen Allensbach-Gründerin Elisabeth Noelle-Neumann, die Grande Dame der Demoskopie, deren Rat Altkanzler Helmut Kohl schätzte.

Das Verhältnis von Forsa-Chef Manfred Güllner zur SPD ist besonders brisant. Bei den Genossen stand er mit seinen Zahlen einst hoch im Kurs. Altkanzler Gerhard Schröder versorgte das Institut seines Freundes aus Juso-Zeiten mit lukrativen Aufträgen. „Der Güllner sagt mir heute, was die Menschen in sechs Wochen von uns denken“, lobte er den Soziologen, der im Kanzleramt ein und aus ging. Dieser revanchierte sich gelegentlich mit der passenden Umfrage für die SPD, die er mehrere Jahre im Kölner Stadtrat vertrat. Doch seit der Abwahl von Rot-Grün liegt Güllner mit seiner Partei über Kreuz. Bei Forsa schneiden die Sozialdemokraten so schlecht ab, daß der Dresdner Kommunikationswissenschaftler Wolfgang Donsbach von einer „systematischen Abweichung“ spricht. Auch weil er nicht mehr mit Aufträgen aus dem Willy-Brandt-Haus rechnet, knöpft sich der 67jährige nun führende Genossen vor. Parteichef Franz Müntefering sei ein „stalinistischer Apparatschik“, dessen Vorgänger Kurt Beck eine „Witzfigur“. Dem schleswig-holsteinischen SPD-Spitzenkandidaten Ralf Stegner bescheinigt der Forsa-Chef, er werde „von den Menschen als Kotzbrocken wahrgenommen“. Die Grenze vom Meinungsforscher zum Meinungsmacher hat Güllner damit weit überschritten.

Die Institute sollten jedoch gerade in Wahlkämpfen darauf achten, sich nicht parteipolitisch vereinnahmen zu lassen. Will die Partei „Die Linke“ den gesetzlichen Mindestlohn propagieren, darf sie nicht noch den Wortlaut der Umfrage bestimmen, die sie in Auftrag gibt. Weil bei komplexen Themen leicht manipuliert werden kann, liegt die demoskopische Qualitätskontrolle in den Händen der Journalisten. Doch der Stuttgarter Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider resümiert mit Blick auf die Wahlkampfberichterstattung der Jahre 2002 und 2005: „Den genauen Fragewortlaut, die statistische Fehlerspanne und die Art der Befragung erfahren die Leser und Zuschauer nur sehr selten.“ Auch Dieter Roth, der Chef der Forschungsgruppe Wahlen, kritisiert, daß die Zahlen „in einem nicht zu vertretenden Absolutheits-charakter in die Öffentlichkeit gelangen“.

Der unkritische Umgang mit Umfragen ist insofern nicht dramatisch, als ihre Veröffentlichung den Wahlausgang nicht entscheidet. Daß Wähler auf der Seite der Umfragesieger stehen wollen, ist wissenschaftlich ebenso wenig erwiesen wie die Behauptung, die Zurückliegenden profitierten von einem Mitleidsbonus. Nur die kleine Gruppe der politisch hochinteressierten taktischen Wähler fällt auf der Basis von Umfragen ihre Entscheidung. Dabei spielen Koalitionsüberlegungen und die Fünf-Prozent-Hürde eine Rolle. Um die FDP darüber zu hieven, gaben ihr schon viele Unionsanhänger sogenannte Leihstimmen. Entscheidend für die Wirkung von Wahlumfragen aber ist, was Journalisten daraus machen.

Die Demoskopie ist ein seriöses Geschäft, solange die Meinungsforscher der Versuchung widerstehen, ihre Kunden aus Politik und Medien mit spektakulären und geschönten Zahlen zu erfreuen. Die Stärke der Meinungsforschung ist nicht die tägliche Stimmungsabfrage, sondern der fundierte Blick zurück: Analysen von Wahlmotiven und Wählerwanderungen sollten daher mehr Aufmerksamkeit erhalten als der krampfhaft anmutende Versuch, sich einem entfernten Wahltermin zu nähern.

Die Demoskopie muß von kritischem Journalismus begleitet werden. Je skeptischer die Öffentlichkeit Umfragen begegnet, desto schwerer haben es Populisten à la Lafontaine, ihre plumpen Positionen als Mehrheitsmeinung zu verkaufen. Nur wenn die Güte von Umfragen erkennbar ist, sollte die ermittelte Bevölkerungsmeinung bei den Politikern überhaupt Gehör finden.

Politische Führung bedeutet, sich nicht der öffentlichen Meinung zu unterwerfen. Dafür sind die Wähler zu „volatil“, wie Demoskopen deren Unberechenbarkeit nennen. Gut so, denn in einer Umfragedemokratie blieben Politiker die unangenehmen Antworten auf die Fragen der Zukunft schuldig.


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