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18.07.09 / Tod und Elend auf den Rheinwiesen / Über eine Million Deutsche vegetierten im Sommer 1945 in US-Lagern – Jahrzehntelang tabuisiert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 29-09 vom 18 Juli 2009

Tod und Elend auf den Rheinwiesen
Über eine Million Deutsche vegetierten im Sommer 1945 in US-Lagern – Jahrzehntelang tabuisiert

Zwischen März und Mai 1945 gerieten über drei Millionen deutsche Soldaten in US-amerikanische Gefangenschaft. Die Hoffnung, besser behandelt zu werden als im Osten, erfüllte sich bei weitem nicht für alle. Die Schrecken der Rheinwiesenlager sind bis heute nicht vollständig erforscht.

3,4 Millionen deutsche Soldaten waren nach dem 8. Mai 1945 in US-amerikanischer Kriegsgefangenschaft, manche waren schon im Herbst 1944 in US-Gewahrsam gekommen, weitere 250 000 im Januar 1945 nach dem Scheitern der Ardennen-Offensive. Als am 21. April der Ruhrkessel kapitulierte, nahmen die US-Truppen weitere 325000 Deutsche gefangen. Statt diese vielen Gefangenen ordnungsgemäß unterzubringen und zu verpflegen, wurden sie in improvisierte Lager entlang des Rheins verbracht, die dort seit März auf Weisung von General Dwight Eisenhower eingerichtet wurden.

Deren Schema war simpel: In der Nähe von Dörfern mit Bahnanschluß wurden auf freiem Feld mit Stacheldraht je zehn bis 20 Lagerbereiche für jeweils bis zu 10000 Mann abgegrenzt. Das Wort „Lager“ ist indes bereits eine Beschönigung, weil noch nicht einmal Baracken existierten. Angrenzende Gebäude dienten zur Verwaltung der Camps, anfänglich existierten vielfach weder Latrinen noch Krankenreviere. Da die Gefangenen zu allem Übel auch noch ihre Feldausrüstung abgeben mußten, konnten die meisten der Unglücklichen noch nicht einmal Zelte errichten, sondern vegetierten in Erdlöchern unter freiem Himmel.

Laut verbindlichem Völkerrecht müssen Kriegsgefangene alsbald nach dem Ende der Kampfhandlungen entlassen werden. Nur wenn im Einzelfall der begründete Verdacht auf Mitwirkung an Kriegsverbrechen besteht, kann die Haft fortdauern, die dann aber eher einer normalen Untersuchungshaft entspricht. Der ganze Sinn und die einzige Rechtfertigung der Kriegsgefangenschaft besteht schließlich darin, die entwaffneten feindlichen Soldaten an der Wiederaufnahme des Kampfes zu hindern. Kriegsgefangenschaft nach Kriegsende ist darum ein Widerspruch in sich.

Man kann in der Tat davon ausgehen, daß fast alle Gefangenen des Ruhrkessels die 17 Tage bis zum Kriegsende auch bei minimaler Verpflegung und unter freiem Himmel überlebt hätten. Der massive Völkerrechtsverstoß besteht darin, daß die US-Verantwortlichen nicht nur bei weitem nicht alle Kriegsgefangenen bald nach dem 8. Mai entließen, sondern sogar noch bis Juni 1945 neue Rheinwiesenlager einrichteten. Insgesamt 18 gab es im Sommer 1945, drei davon lagen auf dem Gebiet des späteren Nordrhein-Westfalens, eines bei Heilbronn (es war zugleich das einzige, das nicht im Wortsinne ein „Rhein“-Wiesenlager war), die übrigen 14 im Gebiet des späteren Rheinland-Pfalz.

Nur sehr zögernd besserten sich die katastrophalen Lebensverhältnisse. Manche Lager erhielten erst im Juni überhaupt Latrinen, Küchen und Krankenreviere. Bis zu diesem Zeitpunkt waren schon viele Tausende der über eine Million Insassen dieser Lager elend an Hunger und Seuchen zugrunde gegangen.

Am 12. Juni übergaben die US-Verantwortlichen das Kommando der Lager im Gebiet der britischen Zone an die Briten, bis 12. Juli wurden weitere Lager den Franzosen überstellt. Diese entließen die meisten arbeitsunfähigen Gefangenen und verbrachten die übrigen als „lebende Reparationen“ zur Zwangsarbeit nach Frankreich – Juristen qualifizieren auch das als klaren Völkerrechtsverstoß, zumal viele dort lebensgefährliche Arbeiten tun mußten, etwa beim Minenräumen.

Als fatal erwies sich für die Insassen der Rheinwiesenlager, daß die USA ihnen vielfach den Status als Kriegsgefangene rundheraus verweigerten, sondern die Deutschen als „Disarmed Enemy Forces“ (DEF) einstuften. Ihnen meinte man mit dieser Einstufung den Schutz der einschlägigen Genfer Konvention von 1929 vorenthalten zu können, was um so fragwürdiger ist, als der DEF-Status (dem im britischen Verantwortungsbereich der Status des Surrendered Enemy Personal/SEP entsprach) erst nach dem 8. Mai 1945 erfunden wurde.

Bis heute sind etliche Fragen über die Rheinwiesenlager ungeklärt. Das betrifft zuallererst die Zahl der Umgekommenen. Die Spannweite der Behauptungen und Schätzungen ist hier bezeichenderweise noch größer als im Falle „Dresden“. Offiziell etwa 5000 Tote konzedieren die USA, von 5000 bis maximal 10000 spricht die offiziöse bundesdeutsche Geschichtsschreibung. Am oberen Ende der Skala steht der kanadische Autor James Bacque, der von mindestens 800000 Toten spricht. Diese enorme Zahl würde freilich eine gravierende Manipulation bei den Vermißtenangaben erfordern. Tatsächlich behauptet Bacque, vereinfacht gesagt, daß rund eine Million angeblich im Osten vermißter deutscher Landser in Wirklichkeit im Westen, zumeist eben in diesen Lagern, ums Leben gekommen sei.

Diese Argumentation hat sich nicht durchsetzen können, dennoch halten viele Autoren, darunter die Militärhistoriker Franz W. Seidler und Alfred de Zayas die offiziösen Verlustzahlen für viel zu niedrig – immerhin gibt es Berichte von Überlebenden, wonach in einzelnen Lagern auf dem Höhepunkt des Elends mehrere Hundert Gefangene täglich starben. Die beiden Historiker sprechen darum von Gesamtverlusten in der Größenordung von 50000 bis 100000 Menschenleben. Daß im Bereich der Rheinwiesenlager offenbar bis heute keine Exhumierungen vorgenommen werden dürfen, hat zur Unklarheit beigetragen und auch Spekulationen Vorschub geleistet. Konrad Badenheuer

Foto: Unter freiem Himmel: Deutsche Kriegsgefangene auf den Rheinwiesen in Sinzig bei Remagen


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