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25.07.09 / Wie zu Kunst stilisierter Müll wieder Müll wurde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-09 vom 25. Juli 2009

Moment mal!
Wie zu Kunst stilisierter Müll wieder Müll wurde
von Klaus Rainer Röhl

Mögen Sie Beuys? Wenn ja, warum? Denken Sie nach, wann Sie zum ersten Mal von Ihrem Lehrer hörten oder in Ihrer Zeitung lasen, dass Joseph Beuys ein Künstler sei. Ein großer Künstler. Ein Zweifel daran wurde nie öffentlich formuliert. Spätestens, als der junge Kunstschüler aus Düsseldorf an der dortigen Akademie Direktor und mit Auszeichnungen überhäuft wurde und die Preise für Beuys-„Kunstwerke“ so in die Höhe schnellten, dass nur noch SPD-geführte Landesregierungen oder reiche Ruhrgebiets-Städte sie bezahlen konnten, und die ersten Spekulanten (im Kunstbetrieb „Sammler“ genannt) auf den Beuys-Kult einstiegen und dadurch die Preise noch mehr in die Höhe trieben, gab es gar keinen Zweifel mehr daran, dass der Mann mit dem Hut ein ganz großer Künstler sei. Kunst ist, wofür einer Geld bezahlt. Große Kunst, wofür einer viel Geld bezahlt. Dazu gibt es eine schöne Parabel von unserem – wider Willen – größten antikommunistischen Dichter Bertolt Brecht. In dem Stück „Mann ist Mann“ soll ein einfältiger Kuli einen Elefanten kaufen. Zuvor haben sich zwei Männer mit einer Wolldecke auf primitive Weise in einen „Elefanten“ verwandelt. Der einfache Mann und auch das Publikum sind überzeugt, dass niemand diese zwei Männer und die Wolldecke je für einen Elefanten halten wird. Aber es tritt ein Käufer auf, der erklärt, dass er für diesen Elefanten viel Geld zahlen würde. Der einfältige Mann traut seinen Augen nicht mehr. Der Handel wird abgeschlossen. „Einer der Verkäufer: Hast Du noch einen Zweifel in bezug auf den Elefanten? Der einfache Mann: Da er gekauft wird, habe ich keinen Zweifel.“

Moderne Kunst und die in ihrem Schatten segelnden Scharlatane hatte es schon vor dem Dritten Reich des Kunstbanausen Hitler gegeben. Nahezu alles war eigentlich schon einmal ausprobiert worden. Dann kam der Zweite Weltkrieg und der Zusammenbruch Deutschlands. Und nachdem der erste Schock über den verlorenen Krieg und seine furchtbaren Zerstörungen überwunden war und alle sich an den Wiederaufbau machten und es wieder das erste richtige Geld gab, tauchten nicht nur Puppenspieler, Jongleure, Feuerschlucker und Gaukler wieder auf, sondern es traten überall junge Leute auf, die den Marx-Spruch „Jeder Mensch ein Künstler!“ in bare Münze umsetzen wollten, und man ließ sie teilhaben am neuen deutschen Wirtschaftswunder. Vielleicht waren sie als Kinder einmal talentiert gewesen und hatten mal im Zeichenunterricht eine Eins gekriegt. Aber das war es auch schon: Fast immer hatten sie in ihren jungen Jahren jede Art von Mühe verschmäht und eine handwerkliche Ausbildung strikt abgelehnt. Erst mal zeichnen lernen? Akt, Stillleben, Landschaft. Womöglich gegenständlich? Bloß das nicht. Warum sich mit der Vorrede aufhalten? Stattdessen wollten sie gleich bei Picasso und Dalí anfangen, weil sie das Gefühl hatten: „Das kann ich auch!“

Statt Kunst „Aktionen“. Statt Bildern Happenings. Statt Plastiken „Installationen“ oder „Objekte“. Was früher in Rembrandts oder Rubens’ Ateliers als Fehler und Ungeschicklichkeit gegolten hätte wie das Verschütten von Farbe auf dem Fußboden, ein verrutschter Pinselstrich, ein verunglückter Kreis, ein misslungenes Porträt, ein verschmiertes Stillleben, eine falsch gemischte Farbe, eine fehlende oder ins Grobe verzerrte Perspektive – das alles hieß jetzt Avantgarde oder wie Joseph Beuys es einmal nannte – „Antikunst“, eine neue Fiktion, über die abenteuerliche Theorien in den Feuilletons aufgestellt wurden, mit immer weniger nachprüfbaren Behauptungen. Etwa ab 1962 versuchten „Aktions-Künstler“ wie Joseph Beuys die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Jeder Mensch kann Kunst.

Was nicht alle auf Anhieb konnten, war die Vermarktung ihrer Werke. Gute Freunde waren dabei unerlässlich. Die meist aus der gleichen Generation kommenden Kunstkritiker (Jeder Mensch ein Kritiker!) machten es möglich: Die „Werke“ oder „Installationen“ des von der Kritik gepriesenen Künstlers werden dann von der Stadt angekauft, er erhielt Preise und schließlich, wie Beuys, eine Professur. Der ermutigte die weniger Erfolgreichen, seinem Beispiel zu folgen, und nahm neue Schüler ohne Aufnahmeprüfung an der Kunstakademie auf.

Ob er ein großer Künstler war? Jedenfalls wurde er dafür gehalten, mit Ehrungen überhäuft und seine Werke (beziehungsweise Objekte) wurden zu guten Preisen verkauft. Er selbst hatte keinen Zweifel an seiner Bestimmung. Joseph Beuys, der auf der Dokumenta VI immerhin einen ganzen (immobilen) Eichenwald pflanzte, hinterließ uns eine unübersehbare, kaum zu katalogisierende Menge an „Objekten“ wie Filzjacken, Fettecken, verschmutzte Badewannen, überquellende Aschenbecher und angeweste Tier-Kadaver zum Nachdenken und Interpretieren. Die meisten davon waren aus seinen Lieblingswerkstoffen Filz, Margarine oder Talg. Er schuf auch Riesen-Objekte wie weiträumig ausgebreitete, verrostete Eisenbahnschienen und Balken, die er kunstvoll nachlässig drapierte, Objekte, die zu ihrer Ausstellung ganze Fabrikhallen brauchen (solche Objekte kauften dann später staatliche Museen). Beuys, der in Köln eine alte romanische Kirche mit Filz, Holz und kleinen verformten Gebrauchsgegenständen dekorierte, die „von seiner tiefen Religiosität zeugen“ (Werbetext), nannte sich selber schon mal einen Schamanen. Einen Zauberer also, der vorgibt, Verbindung zu der Welt der Geister zu haben. Von da ist es nicht weit zum Scharlatan, fand ich, einem Marktschreier, der vorgibt, Wunder zu vollbringen und Menschen zu heilen.

Ebensowenig wie sein Kollege Otto Muehl. Oder Hermann Nitsch, der bei seinen sechstägigen „Orgien-Mysterien-Festspielen“ in Prinzendorf bei Wien bis heute ganze Kolonnen von Nackten, Gekreuzigten und frisch geschlachteten Tieren in blutüberströmten Prozessionen herumführt. Ein ganz Großer. Alle haben ihr fe-stes Publikum – und ihren Preis.

Tatsächlich habe ich lange gedacht, dass Joseph Beuys auch so ein Scharlatan sei wie seine Kollegen Nitsch, Muehl und die anderen tausend, deren „Objekte“ die deutschen Städte und Länder in der guten Zeit für Milliarden Deutsch-Mark eingekauft haben. Ich und die Reinemachefrau in Düsseldorf, die seine „Fettecke“ (einen halb mit einer Art Wagenschmiere bedeckten Stuhl) auf den Müll warf, und ein Damenkränzchen im Wuppertaler Museum, dessen Mitglieder eine mit ranziger Butter von Beuys zu einem Kunstwerk geadelte Badewanne ordentlich mit Ata und Imi schrubbten, dachten wohl in diese Richtung. Aber eine gute Freundin, die viel mehr von Kunst versteht als ich, versicherte mir glaubwürdig, dass Beuys bedeutend ist. So bleibt mir nichts übrig, als hier festzuhalten: Beuys war kein Scharlatan, sondern ein ehrenwerter Mann, und bedeutend … ein bedeutender Verkäufer von künstlichen Elefanten.

Hier könnte die Geschichte schließen. Aber alles hat ein Ende, und am Ende beißt sich die Katze in den Schwanz. Was jetzt kommt ist nur ein Zitat – Zitat statt Parodie. Die Witwe von Joseph Beuys hat soeben einem auf rund 300000 Euro geschätzten Werk mit dem Titel „Ausfegen“ den Status als Kunstwerk ihres Mannes abgesprochen. Es handelt sich um eine Vitrine mit Schnapsflaschen, Pflastersteinen, Papierresten und Staub, den der Meister am 1. Mai 1972 in West-Berlin gemeinsam mit Studenten zusammengekehrt hat. Das sei kein echter Beuys mehr, so die Witwe, weil ein früherer Gesinnungsgenosse des Meisters durch Reinwerfen von weiterem Müll das Werk verändert habe. Nun hat sie verboten, das Kunstwerk, wie geplant, bei der Ausstellung „Kunst und Kalter Krieg“ in Nürnberg auszustellen.

Nun ist der Müll kein echter Beuys mehr, sondern nur noch Müll.


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