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25.07.09 / Es begann in einer Backstube in Amsterdam / Vor 400 Jahren bildete sich in der niederländischen Hauptstadt die erste eigenständige Baptistengemeinde

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-09 vom 25. Juli 2009

Es begann in einer Backstube in Amsterdam
Vor 400 Jahren bildete sich in der niederländischen Hauptstadt die erste eigenständige Baptistengemeinde

Was vor 400 Jahren in einer Back­stube in Amsterdam begann, ist heute mit rund 70 Millionen Mitgliedern eine der großen evangelischen Konfessionen. Angefeindet von Lutheranern und Calvinisten, mit dem Schimpfnamen „Wiedertäufer“ oder „Anabaptisten“ belegt, waren die Baptisten oder Mennoniten anfangs immer auf der Flucht oder im Gefängnis.

Schon früh in der Reformationszeit, nur wenige Jahre nach Luthers Thesenanschlag von 1517 in Wittenberg, nahm die Täuferbe-wegung von Zürich aus ihren Anfang. Schüler des Züricher Reformators Huldreich Zwingli (1484–1531), denen die Reformation nicht weit genug ging, gingen dabei einen radikalen und eigenen Weg. Männer wie Konrad Grebel, Felix Manz und Jörg Blaurock forderten die sofortige Herstellung einer staatsfreien evangelischen Kirche nach dem Vorbild des Neuen Testaments. Das Idealbild einer staatsfreien Gemeinschaft der Gläubigen beseelte die Gründungsväter. Sie verwarfen die Säuglingstaufe, für die es nach ihrem Verständnis keinen Beleg in der Bibel gab. Sie tauften nur solche, die die Taufe persönlich begehrten, und nahmen nur Menschen in ihre Gemeinden auf, die sich als gläubige Erwachsene hatten taufen lassen.

Diese Täuferbewegung breitete sich auf unterschiedlichen Wegen zunächst in der Schweiz und dann in Süddeutschland aus. In Münster errichteten die Wiedertäufer in den Jahren 1534/35 ein König-reich, das „Neue Jerusalem“. Als Prophet der fanatischen Bewegung galt ein religiöser Wirrkopf namens Jan Matthys. Zu seinen engsten Vertrauten gehörten Münsters Bürgermeister Bernhard Knipperdolling sowie ein holländischer Hurenwirt mit überzeugender Rhetorik: Jan van Leyden. Sie errichteten einen diktatorischen Gottesstaat, der 1535 blutig niedergeschlagen wurde. Die Käfige, in die man die Aufrührer schließlich sperrte, sind noch heute am Turm der St.-Lamberti-Kirche zu sehen.

Trotz massiver staatlicher und kirchlicher Verfolgungen entwi-ckelte sich die Glaubensbewegung der Täufer zu einem bedeutenden europaweiten Zweig der Reformation. Anders als Luther, der seine Kirchenreform mit Hilfe der Landesfürsten durchzusetzen versuchte, gingen die Täufer einen anderen Weg: Sie griffen die Herrschenden mit Worten direkt an. Einer der Gründerväter der baptistischen Bewegung, der Rechtsanwalt Thomas Helwys (1550–1616), schrieb im Vorwort seiner „kurzen Erklärung des Geheimnisses der Ungerechtigkeit“ (1610): „Der König ist ein sterblicher Mensch und nicht Gott, und deshalb hat er keine Gewalt über die unsterblichen Seelen seiner Untertanen, für sie Gesetze und Ordnungen zu erlassen und geistliche Herren über sie zu setzen.“ Diese Sätze brachten Helwys für den Rest seines Lebens ins Gefängnis. 1609 hatte sich Helwys mit einem kleinen Kreis von täuferisch Gesinnten in einer Amsterdamer Backstube taufen lassen. Sie ahnten nicht, dass dies der Beginn der weltweiten baptistischen Bewegung sein würde. Als der Anwalt 1611 aus seinem Amsterdamer Exil nach England zurückkehrte, brachten ihn die oben zitierten Sätze um die Freiheit.

Intensive Missionstätigkeit auf allen Kontinenten machte die Baptisten ab dem 18. Jahrhundert zu einer weltweiten Bewegung. Mehr als 300 Jahre brauchte es allerdings, bis die Wiedertäufer wieder in Deutschland Fuß fassen konnten. Johann Gerhard Oncken (1800–1884) gründete 1824 im Hamburger Stadtteil St. Georg eine „Sonntagsschule“ für arme Kinder. 1834 ließ er sich in der Elbe taufen und begründete damit die erste Bapistengemeinde in Deutschland.

Während die Baptisten in Europa bis heute meist nur eine Randerscheinung der Christenheit darstellen, so ist dies in Nordamerika deutlich anders. Dort, wohin viele Glaubensflüchtlinge auswandern mussten, entwickelten sich starke baptistische Gemeinden unten denen die „Southern Baptists“ mit rund 15 Millionen Mitgliedern die zahlenmäßig stärkste Gruppierung ist. Zu diesem Erfolg trugen große Erweckungsprediger wie Charles Haddon Spurgeon (1834–1892) oder der 1918 geborene Billy Graham bei. Das „Time“-Magazin wählte Graham regelmäßig unter die 100 wichtigsten Persönlichkeiten der Gegenwart. Oft als „Maschinengewehr Gottes“ verspottet, erreichte er zahllose Menschen auf der ganzen Welt mit dem Evangelium und wurde so auch zu einer moralischen Autorität. Als Seelsorger mehrerer US-Präsidenten nahm er direkten Einfluss auf die Politik der mächtigsten Nation der Erde.

US-amerikanische Präsidenten wie Jimmy Carter oder Bill Clinton sowie Vizepräsident Al Gore bekennen sich ebenso als Baptisten wie der Bestseller-Autor John Grisham oder die Gospelsängerin Mahalia Jackson. Pastoren wie Bill Hybels oder Rick Warren, der das Einführungsgebet für Präsident Barack Obama sprach, sind durch ihre Bücher weltweit bekannt geworden.

Zum 1905 gegründeten Baptistischen Weltbund gehören heute offiziell 37 Millionen Mitglieder. Werden Angehörige und (ungetaufte) Kinder mitgezählt, so kommt man auf schätzungsweise 70 bis 100 Millionen Anhänger. Die wachsenden Gemeinden liegen heute nicht in Europa oder den USA, sondern in Indien, Nigeria und Brasilien.

Bis heute verweigern sich die Baptisten konsequent kirchlichen Strukturen und lehnen auch eine Hierarchie ab. Die Unabhängigkeit einzelner Gemeinden bleibt für sie neben der Autorität der Bibel als „alleiniger Richtschnur für Glauben und Leben“ das höchste Gut. Als weltweite Gemeinschaft wollen die Baptisten mit ihren „Brüdern und Schwestern“ aus der ganzen Welt vom 24. bis 26. Juli in Amsterdam den 400. Geburtstag der Bewegung feiern – genau dort, wo 1609 in einer Backstube mit einer Taufe die erste Gemeinde ihren Anfang nahm. Hinrich E. Bues

Nähere Informationen zu der Jubiläumsveranstaltung „Amsterdam 400“ und über den Baptismus sind erhältlich bei der European Baptist Federation, Nad Habrovkou 3, Jeneralka, CZ-164 00 Prag 6, E-Mail: amsterdam400@ebf.org, http://www.ebf.org, und der Geschäftsstelle des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, Johann-Gerhard-Oncken-Straße 7, 14641 Wustermark, Telefon (033234) 74-0, Fax (033234) 74-199, E-Mail: BEFG@baptisten.de, www.baptisten.de

Foto: Taufe im Neckar: Am 14. Oktober 1838 vollzog Johann Gerhard Onken sie an mehreren Personen bei Berg.


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