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25.07.09 / Wo Kant ist, ist Königsberg

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-09 vom 25. Juli 2009

Wo Kant ist, ist Königsberg

Der Bus der Linie 6 war sehr voll, wie immer um diese Tageszeit. Nur mit Mühe konnte sie einen Sitzplatz ergattern. Ihr gegenüber saß ein junger Mann, der erst einmal seine Beine einziehen musste, damit sie überhaupt an ihm vorbeikam. Er lächelte gequält und wandte sich wieder seinem Buch zu.

Die Lektüre schien sehr spannend zu sein, wenn auch wohl keine leichte Kost, denn der junge Mann verfolgte Zeile für Zeile mit dem Finger. Was er wohl liest? fragte sie sich. Einen Krimi oder einen Sciencefictionroman? Auf jeden Fall schien er gerade an einer aufregenden Stelle angelangt zu sein, denn seine Stirn zog sich in Falten. So aufregend, dass er fast vergaß auszusteigen. Bei dieser Gelegenheit konnte sie schnell noch einen Blick auf den Buchtitel werfen und hielt verblüfft die Luft an. „Immanuel Kant – Kritik der reinen Vernunft“ war dort zu lesen. In Gedanken verneigte sie sich vor dem jungen Mann, der solch eine schwere Kost zu sich nahm. Respekt.

„Wo Kant ist, ist Königsberg“, lässt Thomas Bernhard seinen Kant in der 1978 von Claus Peymann uraufgeführten Komödie  den Philosophen sagen. Auch im Bus schien sich für einen kurzen Augenblick die Aura Kants auszubreiten.

Matthias Hartmann, demnächst Chef des Wiener Burgtheaters, hat  Bernhards Stück erst kürzlich in Zürich inszeniert und wird es auch in Wien aufführen. Ein Stück, das durchaus seine Kritiker fand, schließlich mag ein echter Kantianer seinen Helden nicht als trotteligen alten Mann sehen. Vielleicht aber wird es einen Hauch von Königsberg auch an die Donau bringen. Os


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