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25.07.09 / Zwischen Ost und West / Vielschreiber Wladimir Kaminer geht die Luft aus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-09 vom 25. Juli 2009

Zwischen Ost und West
Vielschreiber Wladimir Kaminer geht die Luft aus

Der Schriftsteller Wladimir Kaminer, Jahrgang 1967, wird als Allround-Talent bezeichnet. 1990 kam er von Moskau nach Berlin. Literarisch besetzt er ein sehr spezielles Fach, und dies äußerst erfolgreich: Sein Metier sind Episodensammlungen, in denen er menschliches Verhalten satirisch, aber nie mit rabenschwarzem Humor unter die Lupe nimmt.

Kaminer hat erneut ein Buch herausgebracht, 32 Episoden unter dem Titel: „Es gab keinen Sex im Sozialismus – Legenden und Mißverständnisse des vorigen Jahrhunderts“. Die Bezeichnung „Büchlein“ wäre hier womöglich passender, wegen des Formats und des Großdrucks, und schließlich bemerkt der Autor selbst, dass er nur dünne Bücher schreibe. Diesmal hat sich Wladimir Kaminer vornehmlich mit Russland vor und nach dem Umbruch des Jahres 1991 beschäftigt und parallel dazu mit dem Leben im Kapitalismus im Allgemeinen. Komische oder seltsame Kontraste charakterisieren seine Geschichten. Jede ist kleinteilig aus Anekdoten zu einem Thema zusammengesetzt. Durchweg vermag er damit zu überzeugen, zumal er nie in die Falle tappt, seine Sprache mit klischeehaften Bildern und Vergleichen anzureichern.     

Eine der besten Stücke, „Die rasenden Russen“, beschäftigt sich mit der Liebe der Russen zu schnellen Autos. In den 1980er Jahren war ein Auto für einen normal verdienenden Russen noch nahezu unerschwinglich. Man konnte auf Moskaus Straßen rasen, weil es kaum Verkehr gab. Als sich in den 90ern die Straßen rasch mit gebrauchten Wagen aus aller Herren Länder füllten und Staus an der Tagesordnung waren, war Schluß damit. Die Folge: Die Russen „rasen im Stand“, blitzen im Stau mit Vorder- und Rücklichtern, drehen das Radio rauf und runter, betätigen die Hupe. Kritik und Weisheiten liefert der Autor auch gerne unverpackt mit. Schlechter als der Sozialismus in der vormaligen Sowjetunion kommt bei ihm der Kapitalismus weg. Im Kapitalismus „ackert nur der Dumme, der Kluge macht Kasse“. Im Westen würden die Reichen dazu erzogen, „vorsichtig mit ihren Schätzen umzugehen. Sie verstecken sie am liebsten“. Anders in Russland. Infolge der kapitalistischen Wirtschaftsordnung kam es dort sehr rasch zur Privatisierung staatlichen Eigentums: „Das ganze Land wurde zur Umverteilung freigegeben. Und nicht alle sind dadurch ärmer geworden.“ Die russischen Oligarchen seien den Europäern ein Rätsel, sie hielten zum Beispiel „Chodorkowski, der im Gefängnis sitzt, für einen politischen Gefangenen“ (Kaminer sagt nicht, wofür er ihn hält).    

Nicht jede der Miniaturen vermag allerdings zu überzeugen. Vermutlich taucht beim Schreiben von Büchern, die als Geschichtensammlung rund um einen Themenkreis konzipiert sind, zwangsläufig das Problem auf, dass etliche Perlen vorhanden sind, die jedoch ergänzt werden müssen, da sie allein nicht den nötigen Umfang an Seiten erbringen. Es könnte sein, dass es aus diesem Grund ein Qualitätsgefälle gibt. „Meine Briefmarkensammlung“ stammt aus der Klamottenkiste von Kindheitserinnerungen der Art, die als literarischer Stoff nicht taugen. Das Buch ist daher nur mit Einschränkungen zu empfehlen. Dagmar Jestrzemski

Wladimir Kaminer: „Es gab keinen Sex im Sozialismus – Legenden und Mißverständnisse des vorigen Jahrhunderts“, Goldmann Verlag, München 2009, broschiert, 236 Seiten, 8,95 Euro


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