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25.07.09 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 30-09 vom 25. Juli 2009

Panik im Zwischendeck / Warum Carstensen es so eilig hat, wieso die Hamburger weiterfeiern, und weshalb der Spießer immer der Blödmann bleibt
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Kurz vor dem dramatischen Ende stehen die perfekt gewandeten Gentlemen im Salon und genehmigen sich, versonnen ins Leere blinzelnd, noch ein paar Schnäpse. Die vielfach verfilmte Havarie der Titanic ist zum Sinnbild des Falls nach dem Hochmut geronnen, sie hat etwas vom alten Rom: Fesselnder Untergang vor großartiger Kulisse, bevölkert von Leuten, die zum Schluss noch einmal stilvolle Musik erklingen lassen und in gespielter Gelassenheit teure Sachen trinken: Was soll man machen, das war’s dann eben, au revoir, wo auch immer.

Das Ereignis ist zur Parabel geworden, die jede Zeit gern auf sich bezieht, wenn sie sich einem gähnenden Abgrund nahe sieht. So auch heute. Aber jeder, auch das lehren die Titanic-Filme, erlebt den Untergang anders. Die Leute im Zwischendeck sahen das Fiasko kommen, während weiter oben noch Karten gespielt wurde. Sie standen schon im Wasser, derweil in den noblen Etagen der Sekt floss.

Wer wissen will, wie sich die Stimmung in den Zwischendecks der Weltgeschichte anfühlt, der frage  Peter Harry Carstensen. Dem CDU-Landesvater steht die Angst vor einer Landtagswahl zum regulären Termin im kommenden Jahr bis zum Hals. 2010 könnte sein Land nämlich bereits abgesoffen sein. Daher will er sich die Stimmen der Schleswig-Holsteiner sichern, bevor die merken, wie bedrohlich die Lage ist.

Umgekehrt steht es für seinen Intimfeind Ralf Stegner von der SPD. Auf dessen Partei lastet jener Fluch, den wir vergangene Woche in Augenschein genommen haben. Deshalb möchte Stegner jede Entscheidung aufschieben in der Hoffnung, dass sich der böse Blick des Schicksals von den Genossen lösen möge, ehe der sie vernichten kann.

Das Loch, das Carstensen nicht schlafen lässt, hört auf den Namen HSH Nordbank. Es spritzen bereits schlechte Nachrichten in Massen heraus. Wie lange die notdürftig davorgenagelten Staatsbürgschaften den großen Einbruch noch hinauszögern können, weiß keiner. Zuletzt schwappte den Nordlichtern die Botschaft über die Füße, dass ein gewisser Herr Nonnenmacher einen Millionenbonus erhalten habe. Nonnenmacher war seit 2007 Risikoma­nager der Bank, also dafür zuständig, dass bei den Investitionen nichts schiefging. Es ging sagenhaft schief. Nonnenmacher wurde daraufhin zum Vorstandsvorsitzenden der HSH Nordbank befördert.

Der benachbarte Hamburger Senat ist zwar als zweiter großer Eigner der Landesbank im Grunde genauso betroffen von den HSH-Löchern. Der spätere reguläre Wahltermin 2012 gibt ihm jedoch das gute Gefühl, noch weit weg zu sein von akuter Bedrohung. Und so gefallen sich die  Hanseaten denn auch in jener dekadenten Gelassenheit, die wir vom Salondeck einer Titanic erwarten: Ein Leck? Ach je, wozu die Aufregung? Trinken wir noch einen.

Die Schlucke sind enorm. Obwohl am Ende mit jeder seriösen Haushaltspolitik, werden ausgerechnet (oder gerade?) jetzt diverse kostenträchtige Sonderprojekte beschlossen: Ein neues Straßenbahnsystem und ein Umbau des Schulsystems etwa. Um Bürohausbauer zu subventionieren, zieht die Stadt sogar Behörden aus Gebäuden einer stadteigenen Gesellschaft ab, um sich für den doppelten Mietpreis in privaten Neubauten einzumieten. Der absehbare Milliarden-Einbruch ihrer Landesbank hat die Schwarz-Grünen an der Spitze von Deutschlands zweitgrößter Stadt in eine kichernde Spendierstimmung versetzt. Psychologen deuten solch gespenstische Heiterkeit als Symptom für eine sich überschlagende Hysterie. Wenn es die Auswahl ihrer TV-Sender erlaubt, sollten sie den Elb-Senatoren bei nächster Gelegenheit mal in die Augen sehen, dann wissen Sie’s.

Bei der Bundesregierung ist man noch nicht ganz so verzweifelt wie in der „norddeutschen Schiefebene“ („Handelsblatt“). Doch auch hier klammert sich die Kanzlerpartei an das rettende Ufer des 27. September. Nur noch bis dahin muss das Staatsschiff halbwegs aufrecht im Wasser taumeln. Danach können wir den Leuten immer noch sagen, dass die schicken Rettungsboote von Versprechungen und Garantien aus Pappe sind. Und gar niemand darf zu früh erfahren, dass das rettende Ufer in Wahrheit nur eine schmale Landzunge ist, auf der gerademal die Regierenden ihre Macht in Sicherheit bringen können. Für die übrigen Deutschen geht es dahinter weit hinab in den Malstrom von Skylla und Charybdis, die Steuererhöhungen und Leistungskürzungen über uns ausspeien werden.

Aber wie gesagt, das ist erst nach der Wahl. Bis dahin ist von höchster Stelle dafür gesorgt, dass wir uns immer noch recht wohl fühlen auf dem maroden Staatsschiff. Also sollten wir die Wochen dieser Ferien von der Wirklichkeit genießen. Auf Schiffen geht das besonders gut, wie Uralt-Rocker Udo Lindenberg neulich entdeckt hat, als der 63jährige auf einem Kreuzfahrer ein Konzert gab. Nun will er eine Musikfahrt über acht bis zehn Tage veranstalten mit ihm und jüngeren Musikern und ein- bis zweitausend Gästen.

An sich nichts Besonderes, was einen aber umhaut, ist dies: Obwohl Leute wie Lindenberg, der „Tote-Hosen“-Chefpunker Campino oder Wolfgang Niedecken von „BAP“ längst zu Hofmusikanten der Republik erhoben wurden, gelten sie immer noch irgendwie als „frech“, „rebellisch“, „kritisch“  und insbesondere: „unbequem“! Da kann nicht mal die Kreuzfahrtnummer dran kratzen. „Bild“ adelte den Lindenberg zum „Panik-Piraten“ in Anspielung auf seine Begleitcombo namens „Panikorchester“.

Der hochbezahlte Kreuzfahrt-Entertainer, der an Land die Suite eines weltbekannten Nobelhotels bewohnt, ist der Aufsässige, der „Pirat“. Wer es nach jahrelangem Arbeiten und Sparen endlich für zehn Tage auf sein Traumschiff geschafft hat, gilt hingegen noch immer als Spießer. Merke: Normalbürger ist ein lausiger Job. Er ist immer der Blödmann: Steht jeden Tag zur gleichen Zeit auf, arbeitet fleißig, verdient mäßig, hält Wohnung und Konto in Ordnung, zahlt seine Steuern und achtet die Gesetze, kurz, er ist es, der den ganzen Laden still, aber emsig zusammenhält. Und doch macht er in den Augen der Tonangeber seit jeher alles falsch: Übel eingerichtet, ungeschickt gekleidet, ungeübt im politisch korrekten Zungenschlag, einfach ungenießbar.

Über dem Spießervolk hat sich eine Art neuer Feudalschicht selbst inthronisiert, deren größte Freude es ist, dem Spießer seine Spießigkeit unentwegt um die Ohren zu hauen. Wer zu dieser Schicht gehört, der hat es geschafft. Der darf teuer wohnen, ohne dass man ihn zu seinem sozialen Gewissen verhört, verdienen, soviel er kann, ohne zum Ausbeuter gestempelt zu werden, und er darf sogar Kreuzfahrten organisieren – er bleibt trotz alledem ein „Rebell“ oder gar ein „Pirat“. Also einer von unten, der denen da oben eine Nase dreht, der dem „Establishment“ ins Gesicht lacht, obschon er dafür heute einen Spiegel bräuchte.

Als erste Partei hatte sich die SPD vom Spießer emanzipiert, als in den 70ern die linken Uni-Absolventen den schrulligen Arbeitertypen die Herrschaft bei den Sozen abnahmen. Die Grünen waren von Anfang an die Partei der besseren Kreise, die Anfang der 80er nur noch nicht den angemessenen Kontostand vorweisen konnten. Heute sind die Grünen die Partei der Bestverdienenden noch vor der FDP.

Seit einigen Jahren bemüht sich auch die CDU, aufzuholen. Auch sie will endlich weg von diesen öden Dörflern und Vorstadt-Würstchen, will „cool“ und schick aussehen, „moderne Großstadtpartei“ sein statt Hort der verachteten Spießer. Sie ist dabei schon ein gutes Stück vorangekommen. Dass sich die Spießer rächen könnten, fürchtet die CDU keinen Moment – zu brav, die kleinen Leutchen. Selbst in Schwarz-Grün-Hamburg macht sich niemand Gedanken, dort, wo vor wenigen Jahren der Schill-Schock wie ein Schrapnell durch die Parteienlandschaft pfiff.


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