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01.08.09 / Trau keinem über 70!

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 31-09 vom 01. August 2009

Moment mal!
Trau keinem über 70!
von Klaus Rainer Röhl

Vor kurzem ging die Meldung über die Nachrichtenagenturen, dass ein Autofahrer die Kontrolle über sein Auto verloren hatte und in eine Menschenmenge gerast war. Zwei Menschen wurden getötet, 14 verletzt. Auf diese Meldung folgte die Nachricht, der Mann sei 79 Jahre alt. Am gleichen Abend wurde laut über die Ursachen für das furchtbare Unglück nachgedacht. Der 79jährige Rentner war lange hinter dem Umzug hergefahren, war dann plötzlich ausgeschert und mit seinem schwarzen Mercedes von hinten in die Menschen hineingerast, rammte auch noch den Polizeiwagen, der hinter dem Umzug herfuhr, und kam erst dann zum Stehen. Alkohol am Steuer? Oder hatte der 79jährige einen Herzinfarkt erlitten oder einen Schlaganfall?

Der Mann war an diesem Abend und auch an den folgenden Tagen nicht vernehmungsfähig. Er stand unter Schock. Alkohol am Steuer lag nicht vor. Andere Ursachen wie ein Defekt am Auto wurden zunächst nicht untersucht. Am nächsten Tag lasen wir in der Presse und sahen im Fernsehen, es würde erwogen, dass alte Menschen von einem bestimmten Lebensjahr an ihren Führerschein automatisch verlieren und nur durch eine erneute Führerscheinprüfung und einen Gesundheitstest weiter Auto fahren dürften. Also Führerscheinentzug ab 70 oder 80? Eine Art Senioren-TÜV?

Woran erinnert uns das? An einen anderen alten Herrn, der jetzt 69 Jahre alt ist und also schnell das kritische Alter erreichen wird, den Parteivorsitzenden der SPD, Müntefering. „Münte“, wie er in der Partei kumpelhaft genannt wird, war 1998 Verkehrsminister und dachte laut über einen Führerscheinentzug für Alte nach: „So wie junge Leute erst ab einem bestimmten Alter ein Auto fahren sollen, kann ich mir ein Höchstalter für die Berechtigung zum Fahren eines Autos vorstellen“, erklärte der Minister der „Leipziger Volkszeitung“.

Die ARD-Tagesthemen gingen noch zwei Schritte weiter: Die Sendung wurde untermalt mit Horror-Bildern von alten, gebrechlichen und kaum bewegungsfähigen Greisen, die sich dennoch hinter das Steuer eines Autos zwängten. „Solche Leute dürfen heute in Deutschland Auto fahren“, war die Botschaft der ARD-Redaktion. Und Müntefering ergänzte: Im immer länger währenden Leben der Alten gäbe es „natürlich bestimmte Probleme, auch im Bereich des Verkehrs. Manche werden den Führerschein freiwillig abgeben. Manche aber auch nicht.“ Für den damaligen verkehrspolitischen Sprecher der Grünen war das Rentenalter eine mögliche Grenze. Trau keinem über 65! Ein Sturm der Entrüstung bei Alten – und Jungen folgte und beendete damals diese Planspiele.

Sollen solche Pläne heute wegen eines tragischen Verkehrsunfalls wieder aus der Schublade geholt werden? Wie viele tödliche Unfälle werden durch betrunkene Frauen und Männer im besten Alter verursacht? Wie viele Jugendliche, die gerade ihren Führerschein erworben haben, verursachen unter Alkoholeinfluss oder aus bloßem Übermut Massenkarambolagen mit Todesfolge? Sollen deshalb alle Jugendlichen ihren Führerschein verlieren? Fahren alte Leute schlechter?

Die Statistik weiß es besser. In den Unfallstatistiken sind über 65jährige nur für rund 10,4 Prozent aller Unfälle mit Verletzten oder Getöteten verantwortlich, obwohl sie mehr als 20,5 Prozent der Bevölkerung stellen, schreibt das Statistische Bundesamt in seinem Bericht „Unfälle von Senioren im Straßenverkehr“.

Weitaus mehr schwere Unfälle gehen auf das Konto von Fahranfängern (24 Prozent). Deshalb sagte ADAC-Sprecher Maximilian Maurer letzte Woche in der „Rheinischen Post“ mit Nachdruck: „Ein tragischer Unfall wie der im Sauerland ist kein Grund, ohne Not Auflagen für ältere Fahrer zu verlangen.“ Und der NRW-Verkehrsminister Lutz Lienenkämper (CDU) nannte das Problem beim richtigen Namen: „Ich halte nichts davon, durch solche Diskussionen alle Senioren zu diskriminieren!“ Ältere Verkehrsteilnehmer seien in der Regel die vorsichtigeren Autofahrer.

Gibt es Altenfeindlichkeit als Stimmung in unserer Gesellschaft?

Es gibt sie, und zwar in hohem Maße. Nur gilt sie nicht als Verstoß gegen das politisch korrekte Verhalten. Während in anderen Ländern traditionell alte Menschen respektvoll und höflich behandelt werden, sehr alte Mitbürger manchmal sogar eine geradezu achtungsvolle Verehrung genießen, gelten in unseren Großstädten ruppiger Umgangston und negative Anspielungen auf das Alter als „gewandelte Umgangsformen“.

Einem sichtbar älteren Autofahrer kann es beim Einparken passieren, von ungeduldigen Fahrern angemotzt zu werden: „He, Alter, gib deinen Führerschein ab!“ Ein älterer Autofahrer, selbst wenn er etwas langsamer, weil vorsichtiger fährt, kann trotzdem gut fahren, aber eine neue Führerscheinprüfung nur sehr schwer noch einmal bestehen. Die Prüfungsfragen sind für ältere Mitbürger ohne Nachschulung kaum zu lösen, da sich viele Bestimmungen nach oft 40 Jahren vollkommen geändert haben. Dabei käme es doch auf das Verhalten im Verkehr an. Die Reaktionsgeschwindigkeit der Jugendlichen ist normalerweise in der Tat höher, ihre Neigung zur Geschwindigkeitsüberschreitung auch. Die Unfallstatistiken zeigen es. Alte fahren vorsichtig, behutsam, manchmal etwas langsamer, werden deshalb brutal angehupt oder ihnen wird der Vogel gezeigt. He, Alter, bist du lebensmüde?

Viele Menschen, nicht nur arbeitslose Jugendliche, von ihrem Betrieb entlassene oder ihrem früheren Staat nachtrauernde Bewohner der neuen Länder haben latente Aggressionen. „Wut im Bauch“, nennt es der Volksmund. Die latente Aggression entlädt sich oft gegen einen Schwächeren. Und dieser Schwächere ist eben nicht nur der Andersfarbige, der Zigeuner, der Türke, der Pakistani, der Behinderte oder, ganz allgemein, die Frau. Es ist auch der Alte. Das weiße Haar kann wahrgenommen werden wie die andere Hautfarbe, das andere Geschlecht.

Dazu kommt in Deutschland – und Österreich – die jederzeit abrufbare Verdächtigung, alle Alten seien „Nazis“ gewesen. Sicher: Wer heute 80 Jahre ist, war damals 16, also Flakhelfer, Blitzmädchen oder bereits Soldat. „Halt’s Maul, du alter Sack!“ schreien die Antifa-Demonstranten, wenn sie die Mülltonne oder die Telefonzelle in Brand stecken und jemand von uns sie davon abbringen möchte. Aber nicht nur die Autonomen, die Punks und „Antideutschen“ sind extrem altenfeindlich.

Die Appartheid beginnt bereits in den Köpfen der Politiker. Gott sei Dank gibt es Ausnahmen. Wie Horst Becker, verkehrspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag von Düsseldorf: „Es kann nicht sein, dass Menschen einerseits bis 67 arbeiten müssen und schon drei Jahre später in den Verdacht geraten sollen, nicht mehr fahrtüchtig zu sein.“ Wir stehen nicht gerade im Ruf, mit den Grünen zu liebäugeln. Aber wo er recht hat, hat er recht.

 

Der Autor, Klaus Rainer Röhl, war nicht nur der Herausgeber von „konkret“, sondern gab in den Jahren 1989/90 auch die Seniorenzeitschrift „Jacob & Adele“ („Oldie“) heraus. Eine geplante Übernahme durch einen der großen Zeitungskonzerne kam jedoch nie zustande. Grund hierfür war die Tatsache, dass die Zielgruppe keine werberelevante Zielgruppe sei, Anzeigenkunden also nur schwer zu gewinnen seien.


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