23.04.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
08.08.09 / Falsche Scheu, die tödlich endet / Behörden versuchen mit »Empfehlungen«, Zwangsehen zu verhindern

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-09 vom 8. August 2009

Falsche Scheu, die tödlich endet
Behörden versuchen mit »Empfehlungen«, Zwangsehen zu verhindern

Zwangsehen und Ehrenmorde erschüttern die bundesdeutsche Gesellschaft. Doch Rücksicht auf den kulturellen Hintergrund der Opfer und Täter verhindert hartes Durchgreifen.

„Die Ehe darf nur auf Grund der freien und vollen Willenserklärung der zukünftigen Ehegatten geschlossen werden.“ So heißt es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Persönliche Freiheit und Gleichberechtigung von Mann und Frau sind zudem weitere Werte, auf denen Europa basiert. Zwangsehen und Ehrenmorde passen demgemäß nicht ins Bild, sind aber trotzdem keine Einzelfälle. Erst in den letzten Julitagen gelangte wieder ein Vorfall an die Öffentlichkeit. Einem 26-jährigen Kurden aus Anatolien wurde in Bielefeld der Prozess gemacht, weil er seine 18-jährige Ehefrau erstochen und überfahren hatte. Der Täter hatte nicht akzeptieren wollen, dass seine ihm in der Türkei angetraute, aber in Gütersloh aufgewachsene Cousine sich von ihm scheiden lassen wollte. Sie kam mit ihm und dem neuen Leben in der Türkei nicht zurecht und reiste zurück nach Deutschland. Er folgte ihr illegal, wollte sie zurückholen, doch sie wies ihn ab, er fühlte sich in seiner männlichen Ehre verletzt und stach zu − 20 Mal.

Dass nicht nur Deutschland mit Problemen wie Zwangsehen und Ehrenmorden zu kämpfen hat, verdeutlicht ein EU-Projekt, an dem sich mehrere Länder beteiligt haben. „Aktiv gegen Zwangsheirat“ heißt die Empfehlung für Behörden und Schulen, an denen Regierungsorganisationen und Nichtregierungsorganisationen aus London, Wien, Amsterdam, Utrecht, Stockholm, Zug und sogar Istanbul zusammengearbeitet haben.

Deutschland litt bislang darunter, dass es keinerlei zentralisiertes Wissen über Ausmaß und Hintergründe von Zwangsehen gab. Hier kann nun im Rahmen des Projektes auf die Erfahrungen der Partnerländer zurückgegriffen werden, die bereits über Umfragen und statistische Erhebungen verfügen.

Dass das Thema als sehr sensibel angesehen wird, verdeutlicht die über 50-seitige Empfehlung. Zwar wird betont, wie wichtig vor allem mehrsprachige Beratungsstellen für betroffene Mädchen und Frauen sind, auch telefonische Hilfe wird angeraten, doch fast ausschließlich wird nur die Opferseite betrachtet. „Ansätze des Empowerment“ beispielsweise weist in Behördendenglisch darauf hin, wie wichtig es sei, Frauen Hilfe zur Selbsthilfe zukommen zu lassen. Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben sei Menschenrecht. Dieses Wissen hatte offenbar auch die junge türkischstämmige Gütersloherin gehabt und deswegen selbstbewusst die Scheidung eingereicht. Doch trotzdem oder vielleicht sogar genau deswegen ist sie jetzt tot.

Fast alles, was die Behörden vorschlagen, wie Infomaterialien zum Thema an den Schulen zu verteilen, Lehrer zu schulen, damit sie Risikofaktoren erkennen und reagieren können, kultursensible Elternarbeit, Arbeit mit Jungen, um traditionelle Rollenbilder abzubauen, Informationskampagne mit Migrantenorganisationen und Aufklärung über gesetzesmäßige Rechte sind gute Absichten. Was jedoch nur am Rande vorkommt, ist die Absicht, Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Dies darf nicht erst geschehen, wenn ein Mord passiert ist. Doch offenbar gibt es hier eine Scheu vor Schuldzuweisungen. Nur sehr knapp wird auf die patriarchalischen Familienstrukturen hingewiesen, ohne näher ins Detail zu gehen, dabei liegt hier das eigentliche Problem. Töchter, aber auch Söhne werden hier unter Druck gesetzt, doch hierzu heißt es nur, man wolle „kulturspezifische, täterbezogene Interventionsstrategien“ entwickeln. Dabei gibt es bereits Gesetze, nach denen Menschen, die andere um ihre Freiheit berauben, durchaus bestraft werden können.     Rebecca Bellano

Foto: Plakat von terre des femmes, gesehen an einer Litfaßsäule neben einer Dönerbude: Mit Aktionen wie diesen versuchen Nichtregierungsorganisationen aber auch Staaten gegen Ehrenmorde und Zwangsheiraten vorzugehen.

 

Zeitzeugen

Hatun Sürücü – Ihr Schicksal löste bundesweit Entsetzen aus und rückte die Themen Zwangsheirat und Ehrenmord in die öffentliche Debatte. Mit 16 Jahren wurde die in Berlin geborene Kurdin mit ihrem Cousin in der Türkei verheiratet. Ein Jahr später flüchtete sie hochschwanger nach Deutschland, zog in ein Wohnheim, legte ihr Kopftuch ab, machte ihren Hauptschulabschluss und begann eine Lehre als Elektorinstallateurin. Doch das war ihrer Familie zu viel. Sie fühlte sich entehrt und drei ihrer Brüder töteten Hatun 2005 durch Schüsse in den Kopf.

 

Ahmed – Für den ZDF-Beitrag „Opfer der Familienehre“ schilderte der 19-Jährige seinen Fall. Da er sich weigerte, die ihm von seinen Eltern vorbestimmte Frau zu heiraten, blieb ihm nur die Flucht. „Da mein Vater der Meinung war, dass die Frauen in Deutschland alle nur schlechte Frauen sind“, so der junge Mann im ZDF, „hat er eine aus der Osttürkei geholt, meine eigene Cousine. Und den Cousin hat er auch noch geholt für meine Schwester.“

 

Necla Kelek – Die 1966 in Istanbul geborene und mit ihrer Familie als Kind nach Deutschland ausgewanderte Sozialwissenschaftlerin und Frauenrechtlerin weiß, wovon sie spricht: Ihr Vater verbot ihr die Teilnahme am Schulsport zum Schutze ihrer Jungfräulichkeit und zur Wahrung der Familienehre. Nur mit viel Durchsetzungskraft lehnte sie sich gegen die Vorgaben ihres Elternhauses auf, studierte und ging ihren eigenen Weg. Diese Erfahrungen haben sie zu einer Kämpferin gegen das traditionelle Familienbild in der islamischen Gemeinschaft gemacht. Auch wehrt sie sich gegen die ihrer Meinung nach in Deutschland häufig falsch verstandene Toleranz.

 

Serap Cileli – „Zwangsverheiratung ist Vergewaltigung auf Lebensdauer“ und „Toleranz tötet muslimische Frauen!“, diese Zitate stammen von der mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichneten Schriftstellerin. Im Alter von zehn Jahren wurde sie erstmals zwangsverlobt, mit 15 Jahren zwangsverheiratet. Nach sieben Jahren Ehedrama willigten ihre Eltern in die Scheidung ein, doch verlobten sie sie sofort wieder neu. Cileli blieb nur die Flucht ins Frauenhaus.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren