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08.08.09 / Familiengespenster locken / Bewegende Schicksale: »Kriegsenkel − Die Erben der vergessenen Generation«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 32-09 vom 8. August 2009

Familiengespenster locken
Bewegende Schicksale: »Kriegsenkel − Die Erben der vergessenen Generation«

Erlebte Katastrophen bleiben nicht nur für die unmittelbar Betroffenen eine oft lebenslange Erfahrung. Auch Kinder und, wie nun dieses Buch deutlich macht, auch Kindeskinder sind davon betroffen und schleppen mitunter eine Last der Vergangenheit mit, der sie sich oft nur in einem mühsamen Prozess entledigen können.

Die in Köln lebende Journalistin Sabine Bode hat vor einigen Jahren ein vielbeachtetes Buch über die Kinder der Kriegsgeneration herausgebracht, also über jene Generation, die noch während des Krieges geboren wurde, oft Flucht und Verfolgung halbwegs bewusst erlebte und davon oft nie so richtig loskam. Ihr neues Buch über die Kinder dieser Kriegskinder verdankt sich dem für die Autorin selbst überraschenden Umstand, dass sich nach der Veröffentlichung des genannten Buches viele Menschen, seit den 1960er Jahren geboren, meldeten und berichteten, dass auch sie, obwohl nun wirklich in guten äußeren Verhältnissen lebend, nach wie vor mit den Traumata ihrer Eltern konfrontiert und oft in belastender Weise geprägt seien. Ihr neues Buch versteht sie denn auch als Versuch, „die Kriegsenkel (zu) ermutigen, ihre Familiengespenster endlich aus ihrem Schatten herauszulocken, damit diese keine Verwirrung mehr stiften können“.

Am Beispiel von 18 Einzelschicksalen zeigt sie die Ursachen für ein verunsichertes Lebensgefühl dieser Menschen: Berufliche und private Ängste, Unsicherheiten und Kontaktscheu belasten sehr stark das alltägliche Leben. Die Ursachen, das finden sie

 nach und nach heraus, sind lang zurückliegende, fast immer aus Erfahrungen bei Krieg, Vertreibung und Flucht herrührende Traumata der Eltern, die sich diese aber nicht eingestehen, sondern in sich vergraben, dadurch selbst harte, scheinbar kalte Menschen sind, worunter die Kinder manchmal extrem leiden. Der Teufelskreis kann durchbrochen werden, wenn in den Familien offen darüber gesprochen wird.

Nicht von ungefähr spielen die meisten der Berichte in Familien, die früher im deutschen Osten lebten. Da ist das kleine Mädchen, das die Vergewaltigung der Mutter miterlebt; da ist die 13-Jährige, die selbst von einer Gruppe Rotarmisten mehrfach vergewaltigt wird und sich seitdem geradezu in sich verkriecht; da ist der Verlust eines Hauses in Königsberg, die Strapazen der Flucht mit vielen Toten am Wegesrand, der Massenmord an Deutschen im tschechischen Aussig im Juli 1945 – nur zu verständlich, dass solche Erfahrungen ein Leben lang prägen, was die eigenen Kinder schmerzlich zu spüren bekommen: „Waren Mutter und Vater in ihrem eigenen Lebensgefühl und in ihrer Identität verunsichert, konnten sie ihren Kindern wenig Orientierung geben.“

Die von den Kindern bemerkten Defizite versuchten solche Eltern mit Geld und Wohlstand zu überdecken, was nicht gelingen kann. Erfahrene Gewalt im Krieg, so sagen es mehrere Gesprächspartner, hört mit Kriegsende nicht auf, sondern lebt als bittere Erfahrung über Jahrzehnte weiter. Die Autorin zieht daraus ein nüchternes Fazit: „Viele Kriegsenkel werden lernen müssen, sich selbst wichtig zu nehmen und notwendige heftige Auseinandersetzungen mit den Älteren nicht länger aus dem Weg zu gehen.“

Es ist zwar ein bedrückendes, aber mehr noch ein befreiendes Buch, zeigt es doch, wie die Last der Vergangenheit, die offensichtlich noch immer viele Familien in Deutschland, gerade Vertriebenenfamilien, prägt, gemildert werden kann. Das Buch ist nicht von ungefähr bei Klett-Cotta erschienen; der Verlag publiziert seit Jahren zu Psychologie und Erziehung meist Titel auf hohem wissenschaftlichen Niveau. Dieses anschaulich und einfühlsam geschriebene Buch vermag auch viele Leser ohne besondere Vorbildung anzusprechen.    D. Klose

Sabine Bode: „Kriegsenkel – Die Erben der vergessenen Generation“, Klett-Cotta, Stuttgart 2009, geb., 304 Seiten, 21,90 Euro  


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