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15.08.09 / Den Betrieb kaputtgespart / Deutsche Fahrgäste finanzieren Expansionsdrang der Deutschen Bahn AG

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-09 vom 15. August 2009

Den Betrieb kaputtgespart
Deutsche Fahrgäste finanzieren Expansionsdrang der Deutschen Bahn AG

Nach Ausfällen, Chaos und Wartungsmängeln bei der Berliner S-Bahn drohen der Deutschen Bahn nun bundesweit Rekordverluste. Nicht nur in Berlin hat das traditionsreiche Verkehrsunternehmen offenbar jahrelang an der falschen Stelle gespart, um einen rücksichtslosen internationalen Expansionkurs im Logistikbereich zu finanzieren.

Interne Mängel und die Wirtschaftskrise machen der Bahn derzeit zu schaffen. Mit zirka 14,3 Milliarden Euro verbuchte sie von Januar bis Juni dieses Jahres mehr als zwei Milliarden Euro weniger an Einnahmen als im Vorjahres-zeitraum. Sinkende Umsätze verhageln die Bilanz: Ein Rückgang von über drei Milliarden Euro ist auf das Jahr gerechnet zu befürchten. Auch der Gewinn bricht nach Meldungen der Nachrichtenagentur Reuters ein. Im Frühjahr ging dieser (vor Zinsen und Steuern) um über die Hälfte zurück. Noch hält sich der Konzern mit offiziellen Stellungnahmen zu den Zahlen zurück, doch immer deutlicher zeichnet sich ab: Bahnchef Rüdiger Grube steht wenige Monate nach Amtsantritt vor einer der schwersten Bewährungsproben in der Unternehmensgeschichte.

Der Zeitpunkt ist denkbar ungünstig, denn neben der Krise setzen die Datenaffäre sowie das Spar- und Wartungschaos bei der Berliner S-Bahn dem als Global Player auftretenden Großkonzern weiter zu. Berlin ist kein Einzelfall: Selbst einst gesunde Tochterunternehmen scheinen systematisch ausgeblutet worden zu sein. Die Bahn forderte, so die Vorwürfe, immer höhere Gewinne. Allein die Berliner Tochter sollte 2008 56 Millionen Euro erwirtschaften, für 2010 gab das Management doppelt so viel vor. Gleichzeitig unterließen die Verantwortlichen der Berliner S-Bahn teils sogar die nötigsten Investitionen. So wrackte die Bahn-Tochter intakte Züge ab, um Wartungs- und Betriebskosten zu sparen. Die Sicherheit der Fahrgäste habe nicht mehr oberste Priorität gehabt, werfen Angestellte dem Betreiber zudem vor.

Berliner Zustände drohen der Bahn auch anderswo. Testintervalle für den ICE werden vergrößert. Bei den Radsätzen des Hochgeschwindigkeitszugs hat die Bahn gut zehn Jahre nach dem Unglück von Eschede noch Sparpotenzial ausgemacht. Das zeigte die Entgleisung eines ICE in Köln im Juli 2008. Materialermüdung ohne Verschulden der Bahn, so das Expertenurteil. Dennoch: Häufigere Kontrollen hätten den gefährlichen Zwischenfall womöglich verhindert. Beim Materialeinkauf setzt der Schienenmulti ebenfalls auf billig: neue Dieselloks, bitte ohne Rußfilter, entschied die Bahn Anfang des Jahres. Ob bei der Software der Züge oder der Sauberkeit: Die Bahn knausert, wo sie kann. Sparen um jeden Preis lautet seit Jahren die Konzern-Maxime.

Statt ins Kerngeschäft zu investieren, beschleunigt das Management den Ankauf von Logistikunternehmen in der ganzen Welt. Das kostet die Bahn viel Geld. Erst im Januar kaufte sie mit PCC Logistics ein polnisches Unternehmen. Die Mittel für solche Neuerwerbungen erwirtschaftet die Bahn auf Kosten anderer Bereiche. Das Inlandsgeschäft finanziert den Expansionsdrang. Personalabbau ist dabei eine bewährte Methode.

Eigentlich ein Fall für Wettbewerbshüter, denn die Bahn ist trotz aller AG-Fassade nach wie vor Empfänger bundesdeutscher Staatszuschüsse. 2008 hat die Bahn beispielsweise 3,6 Milliarden Euro aus dem Bundeshaushalt in Infrastrukturprojekte investiert. Eine Summe, die sie nach den Gesetzen des bahnintern zur Richtschnur erhobenen freien Marktes eigentlich aus ihren eigenen Überschüssen und nicht aus Steuergeldern aufbringen müsste. Das Gewirr der Tochterunternehmen, entstanden auch durch fragwürdige Ausgliederungen von Teilbereichen, erleichtert dem Konzern das unbeobachtete Rangieren mit fremdem und eigenem Geld.

Kürzlich hat Grube den Börsengang für aufgeschoben, aber nicht aufgehoben erklärt – ob das ein Zeichen für mehr Realitätssinn ist, bleibt abzuwarten.       S. Gutschmidt

Foto: Warten auf die S-Bahn: Die Berliner sind seit den Ausfällen der letzten Wochen nicht gut auf die DB zu sprechen.

 

Zeitzeugen

Alexander Hedderich − Der studierte Volkswirt passte sich nach seinem Einstieg bei der Bahn 1999 rasch den Privatisierungsvorgaben Hartmut Mehdorns an, wurde dessen rechte Hand. Der Leiter der Konzernentwicklung und ausgewiesene Wettbewerbsfachmann gilt als einer der entscheidenden Köpfe hinter dem Rationalisierungskurs des Konzerns. In der Datenaffäre belasteten ihn Mitarbeiter.

 

Helmut Kohl − Als Bundeskanzler nahm er Einfluss auf die Reform der Bahn. Das Großprojekt der Berliner „Kanzler-U-Bahn“, eine der kürzesten (1,8 Kilometer lang) und teuersten U-Bahnen der Welt, geht auf die Beschlüsse der Kohl-Regierung zurück. Die eingeweihte und offiziell U55 genannte Verbindung kostete den Steuerzahler bisher 250 Millionen Euro.

 

Rüdiger Grube − Seit 1. Mai Vorstandsvorsitzender der Deutschen Bahn AG galt anfangs als Hoffnungsträger für einen Neuanfang. Der gebürtige Hamburger entschuldigte sich jüngst für das Chaos der Berliner S-Bahn. Dennoch beförderte er Manager, die für die schlechte Wartung der Züge und somit für die Ausfälle des Berliner S-Bahn-Betriebs verantwortlich waren. Kritiker fürchten, Grube setzt den radikalen Sparkurs fort.

 

Hartmut Mehdorn − Der 67-Jährige stand fast zehn Jahre an der Spitze des DB-Konzerns. Mehdorn, Wunschkandidat von Altbundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), machte sich einen Namen als eisenharter Modernisierer, der bisweilen ruppig mit Untergebenen, Bahnindustrie und Medien umsprang. Er stolperte Anfang des Jahres über die Datenaffäre.  

 

Norbert Hansen − Er wechselte 2008 spektakulär vom Chefsessel der Eisenbahngewerkschaft Transnet in den Vorstand der Bahn. Dort angekommen, kündigte er umgehend Personalabbau an – Verrat in den Augen vieler Gewerkschafter. Hansen war schon als Gewerkschafter nicht gerade für konfliktfreudiges Verhalten gegenüber der Konzernspitze bekannt. Im Mai 2009 kündigte Bahnchef Rüdiger Grube an, Hansen werde das Unternehmen zum Ende des Monats gesundheitsbedingt verlassen.


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