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15.08.09 / Russland punktet bei Pipeline-Poker / Türkei gewinnt aufgrund seiner geostrategischen Lage eine Schlüsselposition als Transitland

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-09 vom 15. August 2009

Russland punktet bei Pipeline-Poker
Türkei gewinnt aufgrund seiner geostrategischen Lage eine Schlüsselposition als Transitland

Das Ende vergangener Woche von Wladimir Putin, Recep Tayyip Erdogan und Silvio Berlusconi in Ankara unterzeichnete Abkommen über den baldigen Baubeginn der South-Stream-Gasleitung beschert Russland nicht nur einen Vorsprung gegenüber dem europäischen Konkurrenzprojekt „Na-bucco“, sondern bringt es auch seinem Ziel, direkt an europäische Abnehmer zu liefern, näher. Russische Oligarchen bewerten die Rohstoffabhängigkeit ihres Landes zunehmend kritisch. Sie fordern eine wirtschaftliche Kehrtwende.

Wann immer Wladimir Putin auf Reisen geht − ob als Präsident oder Premierminister −, ist er auch in Sachen Energieabkommen unterwegs. Der russische Premier hält eisern an seiner Politik der Kontrolle über Energiekonzerne und Transitwege fest, die ihm während seiner achtjährigen Amtszeit als Präsident Erfolg und Ansehen brachten, und von der er auch in Zeiten der Wirtschaftskrise noch zehren kann.

Die Kooperation mit der Türkei ist für beide Länder mit  Vorteilen verbunden. Erdogan gab seine Zustimmung zu dem Trassenverlauf der South-Stream-Pipeline durch türkisches Hoheitsgewässer im Schwarzen Meer, erhielt im Gegenzug die Zusicherung der russischen Seite, die Türkei jährlich mit sechs Milliarden Kubikmeter Erdgas zu beliefern. Zusätzlich sagte Putin die Unterstützung für den Ausbau der Blue-Stream-Pipeline nach Syrien, Libanon, Israel und Zypern zu, und zwischen der türkischen Schwarzmeerstadt Samsun und dem Mittelmeerhafen Ceyhan soll mit russischer Beteiligung eine Ölpipeline gebaut werden. Die Türkei und Russland betrachten sich schon seit 2008 als strategische Partner. Der beiderseitige Warenumsatz hat seit dem vergangenen Jahr um 50 Prozent zugenommen. Russland ist zum wichtigsten Handelspartner der Türkei aufgestiegen. Nicht nur im Bereich der Öl- und Gasbranche kooperieren beide Staaten; es gibt Pläne zur Zusammenarbeit in der Landwirtschaft, dem Tourismus und sogar für die gemeinsame Nutzung des Weltraums zu friedlichen Zwecken. Für den geplanten Bau vier neuer Reaktorblöcke in der Türkei bis 2020 hat Russland seine Unterstützung zugesagt. Der russischen Atomindustrie sichert Putin mit diesen Zusagen ein Auftragsvolumen von zirka 15,5 Milliarden Euro.

Bereits 2010 soll mit dem Bau der South-Stream-Gasleitung, bei der Gazprom und der italienische Energieversorger ENI federführend sind, begonnen werden. Mit dem frühen Termin sowie der Tatsache, dass der Kreml sich Italien, seinen zweitgrößten Gaskunden  nach Deutschland, mit ins Boot geholt hat, konnte Putin gegen-über dem europäischen Projekt „Nabucco“ punkten. Dieses steht für eine gemeinsame europäische Energiepolitik und basiert auf einem Abkommen zwischen der Türkei, Bulgarien, Ungarn und Österreich. Unter Umgehung Russlands soll etwa ein Drittel der 3300 Kilometer langen Leitung über türkisches Territorium führen.

Moskau verfolgt mit South Stream gleich mehrere geopolitische Ziele: Einerseits kann es krisengeschüttelte Transitländer wie die Ukraine – bei der es aufgrund von Streitigkeiten um die Höhe von Transitgebühren zuletzt zu Versorgungsengpässen in Südeuropa gekommen war – umgehen, andererseits durchkreuzt es mit der Unterstützung Italiens das Bestreben Brüssels, sich durch eine einheitliche europäische Energiepolitik aus der Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu befreien. Vom Wettstreit zwischen beiden sich bekämpfenden Projekten profitiert die Türkei. Sie ist drittgrößter Gaskunde Russlands und nimmt nun beim Energietransport in die Europäische Union eine Schlüsselposition ein. Der türkische Ministerpräsident Erdogan hat kein Problem damit, Vereinbarungen mit beiden Seiten getroffen zu haben. Er betrachtet beide Projekte als parallele, völlig voneinander unabhängige Vorhaben.

Im Machtpoker um künftige Gaslieferungen nach Europa zählt die Ukraine zu den Verlierern. Niemand will so recht in sie investieren. Zwar hat die EU Fördergelder zugesagt, diese jedoch an Bedingungen geknüpft. Zum Zünglein an der Waage  könnten die Förderländer am Kaspischen Meer werden. Aserbaidschan und Turkmenistan streiten sich um die Förderrechte der Gasvorkommen. Bis jetzt haben sie weder mit den South-Stream- noch mit den Nabucco-Betreibern verbindliche Lieferverträge abgeschlossen.

Zwar könnte Russland aufgrund seiner traditionellen Vormachtstellung in den GUS-Ländern das Rennen machen, vor allem wegen seiner guten Beziehungen mit Kasachstan, doch Turkmenistan und Aserbaidschan versuchen schon seit Jahren, sich in ihrer Energiepolitik von Moskau unabhängig zu machen. Mangelnde Fördermenge könnte eines der beiden Projekte unrentabel machen, denn schon jetzt steht fest, dass die Kaspi-Anrainer nicht in der Lage sein werden, beide Leitungen ausreichend mit Gas zu füllen.

Ein Problem, das auch Russland trotz aller Vorteile, die der direkte Zugang auf den europäischen Markt mittels South Stream bringen würde, weiter beschäftigen wird! Das Land verfügt selbst über gewaltige Gasvorkommen, kann den steigenden Bedarf nach russischem Gas, nicht zuletzt in Fernost, aber wegen fehlender Fördermöglichkeiten nicht decken. In den vergangenen Jahren ist Russland aufgrund hoher Energiepreise zwar zu Wohlstand gekommen, hat es aber versäumt, in die Erschließung neuer Förderstätten oder andere Wirtschaftsbranchen zu investieren.

Ein Sieg über das „Nabucco“-Projekt könnte sich als Pyrrhus-Sieg erweisen. Das Minus des Bruttoinlandproduktes von acht Prozent ist eine Folge der Abhängigkeit vom Öl. Außer Energie hat die russische Wirtschaft nicht viel zu bieten. Ein gesunder Mittelstand fehlt. Ausgerechnet Oligarchen fordern jetzt eine Kehrtwende. Der Staat solle lieber in erneuerbare Energien, Nanotechnologie und Forschung investieren als Devisenreserven zur künstlichen Stützung des Rubel verbrennen, heißt es in einer Studie des Mittelstandsverbandes „Delowaja Rossija“. Noch wagt jedoch kein Oligarch – in weiser Erinnerung an Chodorkowskij und Beresowskij –, sich öffentlich gegen Putin zu stellen. Manuela Rosenthal-Kappi

Foto: Konkurrenzprojekte: Baubeginn der russisch-italienisch-türkischen Pipeline South Stream soll 2010 sein.  


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