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15.08.09 / Der »Entmythologisierer« / Vor 125 Jahren wurde der Neutestamentler Rudolf Bultmann geboren

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-09 vom 15. August 2009

Der »Entmythologisierer«
Vor 125 Jahren wurde der Neutestamentler Rudolf Bultmann geboren

Rudolf Bultmann vereinte in seiner Entmythologisierung die Theorie der Interpretation mit dem Verhältnis zur modernen Wissenschaft. Die daraus resultierende Debatte, angefacht durch die orthodoxe Kirche und den Nationalsozialismus, führte fast zum „Zweiten Kirchenkampf“. Trotz vieler Kritik war die Lehre Bultmanns so einschlägig, dass sich die Bultmann-Schule, mit Vertretern wie Ernst Fuchs, Ernst Käsemann, und Gerhard Ebeling, entwickelte.

Rudolf Karl Bultmann, dessen Geburtstag sich am kommenden Donnerstag zum 125. Mal jährt, gilt bis heute als einer der bedeutendsten Neu­tes­tamentler (Exegeten) des 20. Jahrhunderts.

Der Theologe wurde am 20. August 1884 bei Oldenburg als evangelischer Pfarrerssohn geboren. Das Studium der evangelischen Theologie absolvierte er in Tübingen, Berlin und Marburg, wo er am 30. Juli 1976 verstarb. Nach einem kurzen Wirken als Lehrer in Oldenburg folgte er 1907 dem Ruf des Seminarii Philippinum in Marburg, an dem er eine Repetentenstelle übernahm. Drei Jahre später promovierte Bultmann bei Wilhelm Heitmüller über die paulinische Rhetorik und wurde mit seiner Arbeit „Die Exegese des Theodor von Mopsuestia“ 1912 in Marburg habilitiert. Auf Grund eines Hüftleidens wurde er vom Militärdienst befreit. So konnte Bultmann 1916 dem Ruf erst nach Breslau und 1920 nach Gießen folgen, um dann 1921 den neutestamentlichen Lehrstuhl in der Nachfolge Heitmüllers anzutreten. Diesen behielt er bis zu seiner Emeritierung 1951.

Sein bis heute grundlegendes Werk zur Formgeschichte der synoptischen Evangelien „Die Geschichte der synoptischen Tradition“ erschien bereits 1921. Dieser Text forderte eine Neubewertung der Intentionen der Evangelien, vom historischen Jesus hin zum „Christus des Glaubens und des Kultes“, dem so genannten Christuskerygma (von griechisch „kerygma“ = Verkündigung). Weitere Hauptwerke sind „Kritisch-exegetischer Kommentar zum Johannesevangelium“ (1941) und „Theologie des Neuen Testaments“ (1953). Bultmann schloss sich als Gegner des NS-Regimes 1933 dem „Pfarrernotbund“ und 1934 der „Bekennenden Kirche“ an.

Die „Entmythologisierung“ – ein großes Wort, das nicht von dem Namen Bultmann getrennt werden kann. Sie machte ihn (ab 1941) über den fachlichen Kreis hinaus berühmt und auch heute noch zu einem viel zitierten Gelehrten. Um jedoch zu diesem Ansatz zu gelangen, durchlief der Theologe mehrere Phasen. Entmythologisierung meint die existentiale Interpretation der Schrift und beinhaltet sowohl historisch-kritisches als auch philologisches Werkzeug, um die Texte besser zu verstehen. „Man kann nicht gleichzeitig elektrisches Licht und Radioapparate benutzen … und gleichzeitig an die Geister- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben“, so Bultmanns nicht ganz unumstrittene Einstellung. Man müsse vielmehr die Mythen als Schriftform wahren und interpretieren, um das eigentliche Kerygma zu verstehen.

Dazu durchlief Bultmann, in der liberalen Theologie verwurzelt, eine „spätliberale Phase“ (1916–1922), in der er Friedrich Schleiermachers „Bewusstsein der schlechthinnigen Anhängigkeit“ jedes Einzelnen in sein Denken aufnimmt. Der Mensch, in seiner konkreten Situation, stehe in Beziehung zu dem „ganz Anderen“, diese erlebe er nur in seinem Selbstbewusstsein.

Bultmanns „frühdialektische Phase“ (1922–1926) hat das Wesen des Glaubens zum Inhalt. Dieser Glaube müsse aus dem Wort Gottes und seiner Verkündigung entstehen. Dabei sei er als Antwort des Menschen auf Gottes Wort zu verstehen. Bultmann äußert sich kritisch zur liberalen Theologie in ihrer damaligen Ausprägung, indem er sagte, dass der historische Jesus nicht Zentrum des Glaubens sein könne. Kultur und Religion dürften nicht vermengt werden, weil daraus ein „Geschichtspantheismus“ entstehe, der nur zu einer Schein­sicherheit führe.

Der Mensch in seiner konkreten Situation tritt in Bultmanns Denken immer wieder hervor und der Marburger Theologe tritt, beeinflusst unter anderem durch Martin Heidegger, Søren Kierkegaard und Wilhelm Dilthey, in seine „existentiale Phase“ (nach 1927) ein. „Will man von Gott reden, so muss man offenbar von sich selbst reden“, lautet eine von Bultmanns Überzeugungen. Der Mensch in seinen begrenzten Möglichkeiten könne nicht objektiv von Gott reden. Von Gott könne nur dann sinnvoll geredet werden, wenn zugleich vom Menschen in seinem Betroffensein von Gottes Handeln in Jesus Christus, dem Heilsereignis, geredet werde. Diese Rede von der Offenbarung Gottes in der Verkündigung des Evangeliums sei dem Menschen, in seiner konkreten existentiellen Situation, nur in der Rede von seiner Beziehung zu dieser Offenbarung möglich. Und so treffe das Kerygma und damit die erneuernde Liebe Gottes den Menschen. Diese erneuernde Liebe befreie uns zum Handeln. Kreuz und Auferstehung seien dabei Teil des Glaubens und keine historischen Wahrheiten. Der verstehende Glaube an das Wort der Verkündigung sei damit der echte Osterglaube. Konservative Kritiker wenden ein, dass Bultmann einer einseitigen und überzogenen Psychologisierung des Glaubens und der Relativierung zentraler Glaubenswahrheiten den Weg bereitet habe. Der überragende Einfluss Bultmanns auf die evangelische Theologie im deutschsprachigen Raum steht jedenfalls außer Frage. Christiane Rinser

Foto: Rudolf Bultmann: Bedeutender Exeget des 20. Jahrhunderts


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