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15.08.09 / Die Liederbuch der Wandervögel / Vor 90 Jahren gab Hans Breuer den »Zupfgeigenhansl« heraus

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 33-09 vom 15. August 2009

Die Liederbuch der Wandervögel
Vor 90 Jahren gab Hans Breuer den »Zupfgeigenhansl« heraus

Kaum ein zweites Liederbuch hat in ähnlicher Weise zur Wiederentdeckung des deutschen Volksliedes durch breite Kreise beigetragen wie der „Zupfgeigenhansl“, das Liederbuch der Wandervögel. Die zur Entstehungszeit des Zupfgeigenhansls längst in Vergessenheit geratenen Liederbücher des 19. Jahrhunderts – genannt sei exemplarisch „Des Knaben Wunderhorn“ – reichen an seinen programmatischen wie finanziellen Erfolg kaum heran. „Der Zupfgeigenhansl“ ist das Liederbuch des Jahrhunderts, ohne sein Entstehen hätten wesentliche Bereiche der Musikpädagogik, der Volksliedpflege und der Musikkultur entweder wesentlich später oder überhaupt nicht stattgefunden.

Die deutsche Jugendbewegung ist als eine Folge der tiefgreifenden Umwälzungen des 19. Jahrhunderts zu sehen, von denen an erster Stelle die Industrialisierung zu nennen ist. Strukturveränderungen aller Art stellten sich ein, etwa die soziale Deklassierung der Handwerker und eine weitgehende Verstädterung der Bevölkerung. Hinzu kam ein gesteigertes bürgerlich-autoritäres Wertesystem und eine diffuse Unzufriedenheit der jungen Generation vor dem Hintergrund kulturkritischer Ideen, wie sie von Friedrich Nietzsche, Paul de Lagarde und anderen formuliert worden sind. So bildeten sich unabhängig voneinander und weitgehend unreflektiert Jugendgruppen, die aus der bürgerlichen Welt ausbrachen und bei gemeinsamen Wanderausflügen in die Natur eine sinnvolle Alternative zur „Plüschkultur“ der Stadtmenschen suchten. Daraus entwickelte sich allmählich der „Wandervogel“, ein Jugendbund, der bald im ganzen Deutschen Reich, aber auch im deutschsprachigen Teil Österreichs und der Schweiz Anhänger fand.

Die fast kultartige Verehrung von Büchern ist im Wandervogel von Anfang an nachzuweisen: Die Eintragung neuer Kameraden in ein Scholarenbuch nach feierlichem Ritus ist ebenso bezeugt wie die geistige Orientierung der Wandervögel an Werken wie Wilhelm Raabes „Die Akten des Vogelsangs“ oder Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausens „Der abentheuerliche Simplicissimus“. Das Bekenntnis der Wandervögel zum Volkslied hatte seine Wurzeln in der Suche nach echten Idealen und in der Besinnung auf die Werte der Romantik: Hier sah man das alte und unverfälschte Erbe, das es zu erhalten und zu pflegen gelte. Und die bürgerliche Jugendbewegung des Wandervogels konnte ihre Ideale, ihre Werte und Normen nur deshalb über das ganze deutsche Sprachgebiet einheitlich entwickeln, weil neue Ideen und ausgereifte kollektive Ansichten mittels der Bundeszeitschriften und Wanderliederbücher verbreitet und reflektiert wurden.

Zur Entstehung des „Zupfgeigenhansls“ kam es, weil der begeisterte Wandervogel Hans Breuer einen Musiklehrer hatte, der mit jahrhundertealten Volksliedern seinen Schülern einmal etwas anderes bieten wollte: Max Pohl. Durch ihn kam das Volkslied in die früheste Keimzelle der Wandervogelbewegung. Nach dem Abitur zog Breuer im Jahre 1903 zum Medizinstudium nach Marburg, ab 1904 sammelte er auf seinen Fahrten Volkslieder, auch später in Tübingen, München und Heidelberg, wo man das im Sommer Gesungene einfing. Dabei ging man planmäßig ans Werk und sah große Liedersammlungen nach geeigneten Volksliedern durch. Daneben trug man Lieder zusammen, die man auf Wanderungen gehört hatte, und ab 1908 auch solche, die von anderen Wandervögeln eingeschickt worden waren. Im Sommer 1909 erschien die erste Auflage. Mit der zehnten erreichte der Zupfgeigenhansl 1913 seine endgültige Form.

Die Wirkung, die von Hans Breuer und seinem Liederbuch ausging, schlug sich im romantischen Gedankengut der deutschen und deutschsprachigen Jugendbewegung nieder – in den Liederbüchern, die dem „Zupfgeigenhansl“ nachfolgten und von seinem Geist beseelt waren, und in der Entwick­lung einer Musikbewegung, deren Ausläufer bis in die Gegenwart spürbar sind.            Alexander Glück


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