28.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.08.09 / Statthalter auf eigenen Wegen / Der Kreml hat Ramsan Kadyrow in Grosny installiert, nun macht er Einflusspolitik auf eigene Rechnung

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-09 vom 22. August 2009

Statthalter auf eigenen Wegen
Der Kreml hat Ramsan Kadyrow in Grosny installiert, nun macht er Einflusspolitik auf eigene Rechnung

In Tschetschenien stirbt ein Menschenrechtler nach dem anderen, in den benachbarten Republiken Inguschetien und Dagestan vergeht kaum ein Tag, an dem nicht eine Bombe explodiert. Die Kaukasuspolitik der russischen Regierung gerät in die Kritik. Dem Tandem Medwedew/Putin wird Kurzsichtigkeit bei wichtigen Entscheidungen unterstellt. 

Dem jüngsten Selbstmordattentat auf das Polizeihauptgebäude im inguschetischen Nasran fielen mindestens 20 Menschen zum Opfer, hunderte erlitten Verletzungen. Nur wenige Tage zuvor wurde der Bauminister Ruslan Amercha-now am Schreibtisch seines Büros erschossen. In Grosny wurden Sarema Sadulajewa und ihr Mann Alik Dschabrailow, Mitarbeiter der Hilfsorganisation „Rettet die Generationen“, erst verschleppt und dann erschossen.

Ein Bindeglied zwischen den Morden an moskaukritischen Menschenrechtsaktivisten und den Mordanschlägen auf moskautreue Politiker und Beamte in Inguschetien könnte Ramsan Kadyrows Art der „Ordnungsliebe“ sein. Im Frühjahr hatte Russlands Präsident Dmitrij Medwedew ihm den Auftrag erteilt, in Inguschetien für Ordnung zu sorgen und die in islamistischen Terrorkreisen vermuteten Verantwortlichen für die Unruhen dingfest zu machen. Eine Aufgabe, die Kadyrow schnell zu erfüllen versprach.

Ramsan Kadyrow, der 2007 von Putin als Präsident in Tschetschenien installiert wurde, erhielt für seine Loyalität gegenüber dem Kreml großzügige Finanzspritzen: Moskau finanziert 80 Prozent des tschetschenischen Haushalts. Kadyrows Aufgabe war es, die von Separatisten geforderte staatliche Unabhängigkeit von Russland zu verhindern und islamistische Gruppen in Schach zu halten. Ihm gelang es auch, einen erheblichen Teil der Rebellen zum Überlaufen zu bewegen und sie in seine berüchtigte Privatarmee „Kadyrowzy“ einzugliedern. Quasi im Staatsauftrag verüben diese Todesschwadronen seitdem Verbrechen, sie verschleppen, foltern, erpressen, vergewaltigen und erschießen unliebsame Bürger. Die Morde an Journalisten und Menschenrechtlern stehen vermutlich in Zusammenhang mit solchen, von der tschetschenischen Regierung beauftragten Verbrechen, denn alle Ermordeten standen kurz davor, Hintermänner zu entlarven.

Die Regierenden im Kreml halten scheinbar trotzig an ihrem starken Mann in Grosny fest, auch wenn Stimmen laut werden, die dies für einen Fehler halten. Medwedew verteidigte erst jüngst Kadyrow gegen jede Anschuldigung. Bislang hat der Kreml die Augen verschlossen vor den ständig wiederkehrenden Menschenrechtverletzungen und vor der Selbstherrlichkeit, mit der Kadyrow regiert. Er darf tun und lassen, was er will, solange er dafür sorgt, dass die Lage im Nordkaukasus sich nicht gegen russische Interessen richtet. Kadyrow geht dabei über Leichen, er setzt alle Mittel ein, auch die Religion. Die Rolle des Islam ist unter dem Muftisohn Kadyrow gewachsen, er instrumentalisiert ihn, um politische Ziele zu erreichen. Durch die Zugeständnisse der russischen Führung erhält Tschetschenien immer schneller den Status eines faktisch unabhängigen Landes wie Mitte der 90er Jahre zurück. Medwedews Ankündigung, 20000 russische Soldaten aus Tschetschenien abzuziehen, stärkt  Kadyrows Position zusätzlich. Als Grund für den Abzug gab Medwedew an, das Land sei befriedet, doch Beobachter sehen eher die Finanzkrise als Ursache.

Während Ramsan Kadyrow in Tschetschenien die Re-Islamisierung vorantreibt, wird auch die Lage in Inguschetien und Dagestan unruhiger. Dem Geheimdienst FSB und der Armee sind die Republikfürsten längst ein Dorn im Auge. Man rechnet damit, dass Kadyrow ein Groß-Tschetschenien anstrebt, das auch die heutigen (zu Russland gehörenden) Nachbarrepubliken Inguschetien, Dagestan und Nordossetien umfasst und von ihm als Kalifen beherrscht werden soll. Er unter-drückt jede Opposition, Islamgegner sind Feinde und werden gnadenlos eliminiert. Aktivisten der Menschenrechtsorganisation „Memorial“ berichten, dass es gefährlich sei, im Büro nicht das Bild Kadyrows aufzuhängen. Für Frauen gilt Kopftuchzwang.

Der Politikwissenschaftler Nikolaj Petrow wirft der russischen Regierung Kurzsichtigkeit vor. Mos-kau sei dabei, die Kontrolle im Kaukasus zu verlieren, wenn Dmitrij Medwedew die wachsenden Probleme nicht in den Griff bekomme. Sollte es Kadyrow gelingen, einen islamischen Großstaat im Kaukasus zu etablieren, dürfte Moskau auch seinen Einfluss in Abchasien und Südossetien einbüßen. Mit der Anerkennung der Rebellenrepubliken als unabhängige Staaten hat Russland sich mit einem weiteren Unruheherd belastet, den es zu versorgen und zu bewachen gilt.

Medwedew zeigte sich handlungsbereit. Er schickte den Mos-kauer Generalstaatsanwalt Jurij Tschaika nach Grosny, um die Ermittlungen zu kontrollieren. Wegen des Anschlags in Nasran zog Medwedew den inguschetischen Innenminister Ruslan Mejriew zur Verantwortung. Er setzte den Minister, der erst seit einem Jahr im Amt war, kurzerhand ab.

Manuela Rosenthal-Kappi

Foto: Terror im Nordkaukasus: Bei diesem Attentat in Nasran starben 20 Menschen, hunderte wurden verletzt.


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren