29.03.2024

Preußische Allgemeine Zeitung Zeitung für Deutschland · Das Ostpreußenblatt · Pommersche Zeitung

Suchen und finden
22.08.09 / Wasser predigen und Wein trinken / Volksverdummung gab es schon immer – Sozialer Ausgleich anno 1502: Prassende Ratsherren besänftigen das Volk mit Freibier

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-09 vom 22. August 2009

Wasser predigen und Wein trinken
Volksverdummung gab es schon immer – Sozialer Ausgleich anno 1502: Prassende Ratsherren besänftigen das Volk mit Freibier

Vier Ratsdiener standen vor den Türen Wache, als der ehrwürdige Rat der Hansestadt Lübeck 1502 bei einem Festschmaus Strafgelder verprasste, die sich binnen 24 Jahren angesammelt hatten. Stattliche 65 lübsche Mark waren zusammengekommen, dafür konnte man es sich gut gehen lassen. Was da auf den Tisch kam, das musste das gemeine Volk allerdings nicht unbedingt sehen, zumal ebendieser Rat immer wieder Mäßigung anmahnte.

Anlass zu üppigen Festlichkeiten gab es immer und überall. Die Jahresfeste – Weihnachten, Fastnacht und die Maifeier – waren eine feste Größe. Die Amtseinführungen von Senatoren und Ratsherren kamen hinzu. Selbstverständlich auch deren Verabschiedung. Und dann waren da noch die Festessen, die man aus diplomatischen Erwägungen geben musste, weil man einen Würdenträger von den Vorzügen der eigenen Stadt überzeugen wollte. Bei dem oben erwähnten Festessen war jedoch kein auswärtiger Gast zu bewirten, und einen richtigen Anlass gab es eigentlich auch nicht. Somit hätte die Schlemmerei Ärger bei dem Volk auslösen können, also postierte man die Ratsdiener vor den Türen, ehe man auffahren ließ. Da gab es dann – in dieser Reihenfolge:

Schinken vom Elch und Rinderbraten mit Senf und Oliven – alsdann gesottenes Wildbret – dann, um eine Pause einzulegen, Mandelmus mit Kuchen; folgend gesottener Stör mit Petersilie; dann gebratene Stare mit kräftig gebuttertem Brot; noch einmal Mandelmus mit Kuchen; und dann als Höhepunkt und Krönung der ganzen Tafel ein mit Äpfeln gestopfter Schwan, den des Kaisers Wappen auf der Brust zierte.

Weil das gesamte Festessen ausschließlich mit dem Messer zu bewältigen war und weil die Hände kräftig zu Hilfe genommen werden mussten, wurde anschließend gewärmtes Rosenwasser in silbernen Handbecken samt einem Damasttuch gereicht. So gereinigt, durfte man sich dann über den Nachtisch hermachen, Bratapfel und Konfekt. Schließlich wurde ein großer Kuchen hereingetragen, den die Inschrift zierte: „Lübeck aller Städte schone, von riker Ehre tragest du die Krone.“

Beinahe erübrigt sich der Hinweis, dass die Getränkeauswahl ebenso erlesen war wie die Speisefolge. Da das aber in der Chronik ausdrücklich vermerkt ist, soll es auch hier wiedergegeben werden. Ausgeschenkt wurden Hamburger Bier, Rheinwein, auch solcher aus Spanien und Frankreich.

Weil die Ratsherren doch offenbar das Gewissen plagte und weil sich derartige Prasserei wohl doch sehr schnell herumsprechen würde, ging das Volk vor den Türen nicht gänzlich leer aus – es bekam Freibier. Allerdings heimisches, also Lübecker Bier, nicht Hamburger Bier wie die Ratsherren.

Beim Trunk wurde mindestens so kräftigt zugelangt wie beim Essen. Das „Willkommentrinken“ und das „Bescheidgeben“ war im 16. Jahrhundert in Zechordnungen festgelegt. Heute prostet man sich schlicht zu, im 16. Jahrhundert musste jeder auf einen Zuspruch antworten und kräftig mittrinken. Wenn Kooperationen ihren Schüttingschmaus hatten, machten sie das nicht unter ein paar Tagen ab, dann wurde mittags kräftig getrunken und abends noch kräftiger, denn die Zahl der „Gesundheiten“ war eine größere, und bei jeder derselben mussten die Gläser bis auf die Neige geleert werden. Die ersten drei Wünsche auf Gesundheit und ein langes Leben wurden auf die Kaiserliche Römische Majestät, auf einen Hochedlen und Hochweisen Rat und auf das Ehrwürdige Ministerium ausgebracht. Diese guten Wünsche auszusprechen gebührte dem vorsitzenden Ältermann. Sodann erhob sich einer der Bürgermeister und trank auf die Wohlfahrt des Hauses. Schließlich nahmen die Schaffer das Wort, ihre Trinksprüche galten unter allgemeinem Jubel „der Blüthe des Handels und der Schiffahrt und einem dauernden Frieden“.

Ist solch ein Festessen an sich schon bemerkenswert, wird die Sache noch erstaunlicher angesichts der Tatsache, dass die Stadtoberhäupter aller großen und kleinen Städte nicht müde wurden, das Volk zur Mäßigung zu ermahnen, und die Ermahnungen mit genauen Vorschriften unterstützten.

Dem guten Essen und Trinken waren die Menschen immer zugetan. Sie ließen es sich so wohlgehen, dass ihnen in regelmäßigen Abständen der Vorwurf gemacht wurde – und darin unterschieden sich die Lübecker nicht von den Bürgern anderer Städte –, sie lebten über ihre Verhältnisse. Ein alter Lübecker Spruch drückt das so aus: Söben El Bottermelk    unt ein EI Klümpp / und wenn de Schoh versapen sünd, so dannst wi up de Strümp. Schon im 15. Jahrhundert schrieb der Rat in seiner Luxusverordnung vor, wie viel Wein bei einer Feier ausgeschenkt und wie viele Pastetchen auf den Tisch gebracht werden durften. Wettherren sorgten dafür, dass die Vorschriften eingehalten wurden. Die Wette hatte auch die Einhaltung des sonntäglichen Schankverbotes zu überwachen. Sie kontrollierte während der Zeit des Gottesdienstes und der Betstunde, ob in einem Krug verbotenerweise Bier ausgeschenkt wurde. Dabei ertappte sie regelmäßig Sünder. Wer zur falschen Stunde beim Bier erwischt wurde, musste mit einer Strafe rechnen. Die traf Zecher und Wirt. Der Prozess gegen Johann Pantzer ist aus dem Jahre 1652 überliefert. Er war Kröger im Amtshaus der Rotbrauer. Man hatte ihn angezeigt, weil bei ihm zwei auswärtige Gäste beim Bier saßen, während in der Kirche St. Jacobi noch gepredigt wurde. Es half Pantzer nichts, dass er auf die schlechten Zeiten verwies, die es ihm nicht erlaubten, einen Verdienst auszuschlagen. Dem hielt das Gericht entgegen: „Es wäre ein großer Error und Missverstand, dass er vermeinte, dass ihm durch das Verbot seine Nahrung entzogen und benommen werden sollte – da er doch sonst die ganze Woche durch und durch, wie denn an Sonn- und Festtagen die übrigen Stunden nach geendigter Predigt, und also fast den halben Tag noch, frei habe. In welcher Zeit noch genug gesoffen werden könnte …“        Klaus J. Groth


Artikel per E-Mail versenden
  Artikel ausdrucken Probeabo bestellen Registrieren