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22.08.09 / An der Freiheit zerbrochen / Fall der Mauer stürzt ehemalige DDR-Bürgerin in eine tiefe Sinnkrise

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 34-09 vom 22. August 2009

An der Freiheit zerbrochen
Fall der Mauer stürzt ehemalige DDR-Bürgerin in eine tiefe Sinnkrise

Was machen, wenn das Leben vorgezeichnet scheint, es keine großen Möglichkeiten und Hoffnungen, Abweichungen der üblichen Pfade gibt und einem von heute auf morgen dann doch sämtliche Türen, ja die ganze Welt, offen steht?

Ebenso ergeht es einer jungen Frau in Julia Schochs Roman „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“. Er handelt von einer Frau, die zu Zeiten der DDR in einer von den Angehörigen der Volksarmee erbauten Betonsiedlung aufwächst. Der Glaube, dass der Weg als Hausfrau und Mutter bereits vorgezeichnet wäre, scheint ebenso unumstößlich wie das Wissen, ihr Dasein in dieser trostlosen Siedlung zu fristen. Doch dann kam der Untergang der DDR.

In Julia Schochs bewegendem Roman berichtet die jüngere Schwester von dem Unvermögen der älteren, dem seit der Kindheit so verhassten Ort den Rücken zu kehren und mit Ehemann und Kindern irgendwo ein neues Leben zu beginnen.

Als sich nach der Wende aber eine ehemalige Affäre, ein Mann, den sie gegenüber ihrer jüngeren Schwester immer nur abfällig als „den Soldaten“ bezeichnete, bei ihr meldet, zögert sie nicht lange.

„Wie schnell es ging, alle hinter sich zu lassen. Nur ein Gedanke, auf den man kommen musste. Nur ein kurzer Entschluss, und schon verlor das, was sie früher Kraft gekostet hatte, seine Bedeutung, wurde es plötzlich wertlos, das Verbergen und Verstellen, die tägliche Hinterlist. Das vorgeschriebene Kleinklein. Eine einzige Lächerlichkeit. Dass man jahrelang in der Lächerlichkeit leben konnte, wem war das zu erklären ... Als das Gegenteil der Lächerlichkeit entstand aber nicht das Gefühl der Erhabenheit, sondern nur eine seltsame Gleichgültigkeit allem gegen-über ... Sie macht, dass sie sich dem Soldaten vollkommen überlässt, dass sie gedankenlos wird, irgendein Körper, der alles kann ...“

Die Schwester, die die Geschichte erzählt, lässt durchblicken, dass die ältere unter starken Depressionen litt, benutzt aber nie dieses Wort. Nie hätte die jüngere damit gerechnet, dass ihre ältere Schwester ihre verhasste Heimat jemals verlassen würde. Bis sie einen Brief aus New York erhält. Doch als sie diesen in den Händen hält, ist bereits alles zu spät.

Sehr bewegend erzählt Julia Schoch die tragische Geschichte einer Frau, die sich immer die Freiheit wünschte und als sie diese unversehens erhielt, nichts damit anzufangen wusste. Ein Roman voller Wehmut und voller Schmerz über eine vertane Chance.            A. Ney

Julia Schoch: „Mit der Geschwindigkeit des Sommers“, Piper Verlag, München 2009, geb., 149 Seiten, 14,95 Euro


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