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29.8.09 / Schwarz-gelbes Fingerhakeln / Die Union auf der Suche nach dem verlorenen Gegner − Westerwelle gibt sich »enttäuscht«

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-09 vom 29. August 2009

Schwarz-gelbes Fingerhakeln
Die Union auf der Suche nach dem verlorenen Gegner − Westerwelle gibt sich »enttäuscht«

Das Rennen schien gelaufen: Nach der Bundestagswahl, so ließen Umfragen, Expertenprognosen und Koalitionsaussagen vermuten, würden Union und FDP die neue Regierung stellen. Doch nun machen Schwarz und Gelb es noch einmal spannend und führen Wahlkampf gegeneinander.

Kämpferisch gibt sich die Union einen Monat vor der Wahl. Ihr größtes Problem: Gegen wen soll sie kämpfen? Im Umgang mit dem „natürlichen“ Gegner, dem linken Lager, geht es eher um unterlassene Hilfeleistung denn um Attacke. Also suchten – und fanden – CDU und CSU den Ersatzgegner im eigenen Lager.

Nicht der im Umfragetief dahindümpelnde SPD-Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier, sondern FDP-Chef Guido Westerwelle sieht sich zunehmend heftigen Angriffen des CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer ausgesetzt: Unzuverlässig und wankelmütig sei er, weil seine Freidemokraten erst eine Woche vor der Wahl eine förmliche Koalitionsaussage treffen wollen. Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel assistiert dem  Angreifer aus Bayern, wenn auch merklich zurückhaltender: „Je klarer sich die FDP äußert,  umso klarer wissen die Menschen auch, woran sie sind“, mahnte die Kanzlerin im ZDF-Sommerinterview.

Der Ober-Liberale kontert: Nicht er, sondern die Union lasse es an Treue zu gemeinsamen schwarz-gelben Regierungsperspektiven fehlen. Westerwelle argwöhnt gar, in Wirklichkeit wollten Merkel und Seehofer die Große Koalition in Berlin fortsetzen. Eine vom Wähler gedemütigte SPD, so seine keineswegs abwegige Spekulation, sei als Juniorpartner allemal bequemer als eine selbstbewusste FDP.

Bayerns Christsoziale, seit zehn Monaten mit der FDP verbandelt, legen nach. Gegen Kernpunkte liberaler Wirtschafts- und Sozialpolitik, von der Gentechnik bis zum Kündigungsschutz, kündigt Ministerpräsident Seehofer heftigste Gegenwehr an: „Wenn Herr Westerwelle glaubt, es wird nach der Wahl ein neoliberales Streichkonzert geben, lernt er den Widerstandsgeist der CSU kennen.“ Dass der Ingolstädter, der sonst auch gern den Gralshüter des Konservatismus gibt, nun wieder das „S“ im Namen seiner Partei hervorhebt, um sich als soziales Gewissen der Union zu profilieren, wird in München inzwischen ohne weitere Verwunderung zur Kenntnis genommen.

Selbst die Devise, das Fell des Bären erst nach dessen Erlegung zu verteilen, wollen die wahlkämpfenden Bajuwaren nicht mehr gelten lassen: Zumindest ihrem Sympathieträger Nr. 1, dem erfolgreichen Bundeswirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg, soll der Stammplatz auf der Berliner Regierungsbank vorab sicher sein. Anderweitige Ansprüche wehrt Kabinettskollegin und Parteifreundin Ilse Aigner vehement ab. Es sei doch „absurd, dass die FDP schon vor der Wahl das Wirtschaftsressort für sich beansprucht“. Eine Erklärung, warum Ressortansprüche seitens der CSU weniger „absurd“ sein sollen, steht allerdings noch aus.
Stattdessen setzt CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt noch eins drauf: „Dass wir die Defizite der FDP in puncto Personal und Programm deutlich ansprechen, darauf kann sich Westerwelle verlassen!“

Daraufhin sieht sich der FDP-Chef von jeglicher Contenance verlassen. Im Klartext: Ihm platzt der Kragen. Bislang habe er „eine Engelsgeduld gehabt; man könnte auch von Eselsgeduld sprechen. Aber jetzt ist Schluss mit lustig!“ In seine von „tiefer Enttäuschung“ geprägten Antwort auf die CSU-Attacken schließt Westerwelle ausdrücklich auch die Kanzlerin ein: Sie habe die Diskussion über Koalitionsaussagen nicht beendet, „sondern sogar befeuert“.

Infolge der sich steigernden Wahlkampf-Querelen hat sich inzwischen auch das Koalitionsklima in Bayern deutlich verschlechtert. Informierte Kreise in der Landeshauptstadt machen dafür vor allem Seehofers Ehrgeiz verantwortlich, baldmöglichst die traditionelle Hürde von 50 + x wieder zu schaffen. Der Schuss, so heißt es, könne aber leicht auch nach hinten losgehen: Viele Wähler verstünden nicht, warum die CSU ausgerechnet den eigenen Partner und Wunschkandidaten so wild attackiert – am Ende treibe das eher der FDP weitere Zweitstimmen zu, ein Effekt, der Merkel vielleicht gar nicht ungelegen wäre.

Auch scheinen sich viele Wähler verunsichert zu fühlen, weil sie bei der neuen CSU-Führung eine klare Linie vermissen. Manchmal gewinne man den Eindruck, Horst Seehofer wolle politische Gegner gleich welcher Couleur gleichzeitig links und rechts überholen. Offenbar sei die einst so übermächtige Partei sich selber nicht sicher, ob sie die Krise nach dem Abgang Edmund Stoibers wirklich schon überwunden und zu alter Stärke zurückgefunden hat. Die Antwort auf all diese am Selbstbewusstsein der CSU nagenden Fragen lässt noch auf sich warten – vermutlich bis zum 27. September, wenn der Wähler das Wort hat.        Hans-Jürgen Mahlitz

Foto: Schwierige Partner: Eigentlich will Merkel mit CSU und FDP zusammenarbeiten, doch die bekämpfen sich.        Bild: Getty


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