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29.8.09 / Sogar der König ist ein Fan / Comics erobern die Museumslandschaft in Belgien und Frankreich – »Erfinder« Wilhelm Busch

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 35-09 vom 29. August 2009

Sogar der König ist ein Fan
Comics erobern die Museumslandschaft in Belgien und Frankreich – »Erfinder« Wilhelm Busch

Sie haben schon längst das Image der naiven Bildergeschichte für Kinder abgelegt und sogar den Weg ins Museum gefunden. Comics sind gesellschaftsfähig geworden.  Das Wilhelm-Busch-Museum in Hannover zeigt zum 200. Geburtstag von Charles Darwin, wie sehr dessen bahnbrechende Erkenntnisse auch das geistige und künstlerische Schaffen von Wilhelm Busch (1832–1908) beeinflusst haben, der ja in Deutschland immerhin als der Vater des Comic-Strip gilt.

Noch intensiver beschäftigt man sich in Frankreich und Belgien mit der modernen Bildergeschichte. Belgien hat gleich zwei Anziehungspunkte für Comic-Fans. In Brüssel erwartet ihn in der Rue des Sables das vor 20 Jahren gegründete Belgische Comiczentrum mit wechselnden Ausstellungen und einer gut ausgestatten Bibliothek. Im Mai ehrte die belgische Region Wallonien den belgischen Künstler Hergé im Rahmen eines Comicjahres mit der Eröffnung des Hergé-Museums in der Universitätsstadt Neu-Löwen (Louvain-la-Neuve), 20 Kilometer südlich von Brüssel gelegen. Auf 3600 Quadratmetern präsentiert die Witwe und Alleinerbin Fanny Rodwell dort das Werk des Belgiers, der zu den bedeutendsten Comic-Zeichnern Europas zählt. Originalzeichnungen, Fotos und Filme veranschaulichen in acht Sälen das Leben des 1907 in Brüssel geborenen Hergé, der mit bürgerlichem Namen Georges Rémi hieß und dessen umgedrehte Initialen den Künstlernamen Hergé ergaben. Anfang des Jahres feierte seine Hauptfigur Tim, im Original Tintin, ihren 80. Geburtstag. 1929, in einer Jugendbeilage der katholischen Brüsseler Zeitung „Le XXe Siècle“ (Das 20. Jahrhundert) erschienen, gehört sie mittlerweile zu den Klassikern der Comicliteratur. Die Abenteuergeschichten um den jungen Reporter Tim begeistern inzwischen jung und alt. Er schreibt für eine belgische Zeitung, doch seinen Beruf scheint er kaum auszuüben, weil er unermüdlich damit beschäftigt ist, gegen das Unrecht zu kämpfen. Immer mit dabei: der kleine Hund Struppi. In den frühen Bänden spricht er mit Tim, später sieht man nur noch gelegentlich Gedankensprechblasen. Schließlich taucht noch Käpitän Haddock auf, der sich zum treuen Gefährten Tims entwickelt und ihm bei manchem Leser in der Beliebtheitsskala den Rang abzulaufen droht. Haddock ist meist schlecht gelaunt, trinkt Whisky und flucht ohne Ende. Verfolgt wird Tim von zwei tollpatschigen Detektiven, Schultze und Schulze, die für viele komische Eskapaden verantwortlich sind. Professor Bienlein ist ein zerstreuter, aber genialer Erfinder. Seine Schwerhörigkeit ist eine Quelle beständiger Missverständnisse.

Die Ausstellung informiert auch über die Arbeit der Zeichenstudios, mit deren Hilfe Hergé unter anderem die 24 „Tim und Struppi“-Bände fertigen ließ, die in mehr als 50 Sprachen übersetzt wurden, darunter auch in Regionalsprachen wie Okzitanisch, Bretonisch und Katalanisch.

Das Werk Hergés zeichnet sich durch detailgetreue und realitätsnahe Zeichnungen aus. Sein Stil der klaren Linie war epochebildend und wurde mehrfach kopiert. Seine Zeichnungen rund um Tim und Struppi sind nach wie vor gut im Geschäft (Hergé starb 1983 und verfügte, dass niemand an seinen Figuren weiterarbeiten durfte). Auf einer Versteigerung erzielten seine Zeichnungen den Rekorderlös von 1,1 Millionen Euro. Die Käufer kamen aus Europa, den USA, Libanon und China. Für eine Originalzeichnung von Tim und Struppi aus dem Jahr 1963 bezahlte ein belgischer Sammler 312000 Euro.

Nicht zuletzt weil die Zeichnungen so kostbar sind, werden sie aus konservatorischen Gründen in der Ausstellung alle vier Monate ausgetauscht – die Fans wird es freuen. Ein Anhänger ist offensichtlich auch der belgische König Albert II., der dem Museum einen Besuch abstattete. Schon in frühester Jugend begeisterte sich Albert für die Zeichnungen seines Landsmannes und natürlich für die Abenteuer von Tim und Struppi.

Eine Fundgrube für die Freunde gezeichneter Geschichten ist auch das neu eröffnete Museum in der französischen Stadt Angoulême. Die Cité internationale de la bande dessinée et de l’image, 1984 gegründet, beherbergt neben einer Bibliothek mit 47500 Alben und 117000 Periodika, einer Leihbücherei mit 24000 Alben, einem „maison des auteurs“, in dem 25 Schöpfern mehrere Monate oder gar Jahre lang Ateliers zur Verfügung gestellt werden und dem einzigen Programmkino der Stadt jetzt auch ein großartiges Museum.

Über einen langen Holzsteg  führt der Weg vorbei an einer überlebensgroßen Bronze der Comicfigur Corto Maltese, die der Italiener Hugo Pratt erdachte und so einen Meilenstein des literarischen Comics setzte.  Pratts Großonkel war übrigens William Henry Pratt, meldet Wikipedia, der unter dem Pseudonym Boris Karloff ein erfolgreicher Filmschauspieler (unter anderem als Frankensteins Monster) der Stummfilmzeit war.

Über den Fluss Charente geht es zum neuen Museum, das in Lagerhallen aus dem 19. Jahrhundert untergebracht ist. Auf 1330 Quadratmetern präsentiert sich die Dauerausstellung in einem kaum unterteilten Riesenraum, der zum Erkunden einlädt. Die rund 420 Exponate, die alle der mit 8000 Originalzeichnungen größten Sammlung Europas entstammen, sind – mitsamt Begleitinformationen – auf vier große Zeitabschnitte mit insgesamt 45 thematischen Untersektionen verteilt. Ein lehrreiches Vergnügen, vor allem weil man auch erfährt, wie ein Comic überhaupt entsteht und wieviel Arbeit letzendlich darin steckt. Silke Osman

Das Museum in Angoulême, rue de Bordeaux, ist dienstags bis freitags von 10 bis 18 Uhr, am Wochenende von 14 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt 4/3 Euro.

Das Museum Hergé in Neu-Löwen (Louvain-la-Neuve), rue de Labrador, ist dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, Eintritt 9,50 Euro.

Foto: Fundgrube für Comicfreunde: Im neuen Museum im französischen Angoulême findet sich manche Rarität.


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