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05.09.09 / Gradlinig und daher wenig populär / Zum Tode von Günter Kießling: Soldatische Traditionen waren ihm zahlreiche zermürbende Kämpfe wert

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-09 vom 05. September 2009

Gradlinig und daher wenig populär
Zum Tode von Günter Kießling: Soldatische Traditionen waren ihm zahlreiche zermürbende Kämpfe wert

Am 28. August ist General a.D. Günter Kießling im Alter von 83 Jahren in Rendsburg gestorben. Sein Name bleibt untrennbar mit der „Affäre Kießling“ verbunden, jener infamen Intrige, die tatsächlich eine „Affäre Wörner“ war. Dabei wird vergessen, dass Kießling einer der fähigsten Generale der Bundeswehr und unermüdlicher Verfechter überlieferter soldatischer Traditionen und Werte war.

Günter Kießling wurde am 20. Oktober 1925 als Sohn eines Werkmeisters in Frankfurt an der Oder geboren und wuchs in Berlin auf. Im Alter von 14 Jahren wurde er 1940 in die Unteroffiziervorschule in Dresden aufgenommen und damit Angehöriger der Wehrmacht. Mit 17 Jahren kam er als Infanterist an die Ostfront und wurde wegen besonderer Tapferkeit bald zum Leutnant befördert. Nach kurzer Kriegsgefangenschaft gelangte Kießling nach Berlin, wo er sich seinen Lebensunterhalt als Bauhilfsarbeiter verdienen musste. Nebenher besuchte er ein Abendgymnasium und machte das Abitur. Anschließend nahm er ein Studium der Wirtschaftswissenschaften auf. Nach dem Diplomabschluss trat Kießling 1954 in den Bundesgrenzschutz ein und wechselte 1956 als Oberleutnant in die neu aufgestellte Bundeswehr. Es folgten Truppen- und Stabsverwendungen und die Generalstabsausbildung. In allen seinen Verwendungen stand Kießling als eigenwilliger aber aufrechter Charakter zu seinen Auffassungen, was ihn von vielen seiner angepassten Kameraden unterschied. Vor allem aber überzeugte er durch Erfahrung, Kompetenz und Leistung.

So wurde Kießling am 1. Oktober 1971 zum Brigadegeneral und damit jüngsten General der Bundeswehr befördert. Im Heeresamt für die Offizier- und Unteroffizierausbildung zuständig, kritisierte er die Dezentralisierung der Unteroffizierausbildung und wandte sich entschieden gegen die einseitig akademische Ausbildung des Offiziersnachwuchses. Zwar befürwortete er die Gründung der Bundeswehrhochschulen, hielt es aber für grundfalsch, die Erziehung zum Offizier einer akademischen Institution zu übertragen. Dadurch geriet er in scharfen Gegensatz zur politischen und militärischen Führung der Streitkräfte. Mit dem gleichen Engagement setzte er sich für eine kriegsnahe Ausbildung ein und forderte, Bedingungen zu schaffen, die den körperlichen und seelischen Belastungen eines Kriegseinsatzes nahekommen.

Gesellschaftliche Verpflichtungen waren dem unverheirateten Kießling, der enthaltsam lebte und bescheiden auftrat, ein Graus. Der arbeitsame General saß lieber am Schreibtisch oder widmete sich militärwissenschaftlichen Studien. Ein besonderes Anliegen war ihm der Kampf gegen die von den sozialdemokratischen Verteidigungsministern initiierte Verharmlosung im militärischen Sprachgebrauch. Statt vom Verteidigungs- oder Ernstfall sprach er unbeirrt von Krieg, was immer wieder für Irritationen sorgte. Auch wandte er sich gegen die „Zivilisierung“ der Truppe. Die Abkehr der Bundeswehr von guter soldatischer Tradition und einem gesunden Geschichtsbewusstsein bereitete dem national-konservativen Offizier Sorgen. Ohne sie, so erklärte er, könne es keine intakte Armee geben.

Auch als stellvertretender Leiter der Abteilung Personal im Verteidigungsministerium trat Kießling geradlinig durch unpopuläre Ansichten hervor. Als militärischer Praktiker setzte er sich für eine Verminderung der beamtenrechtlichen Regelungen für Soldaten, eine Reduzierung der Stäbe und eine Entbürokratisierung der Stabsarbeit ein. Unter Hinweis auf die erfolgreiche Personalführung der Wehrmacht forderte er mehr Einfluss der Truppenführer bei der Besetzung von Dienstposten, was ihm Kritik einbrachte.

1982 wurde Kießling zum Stellvertretenden Oberbefehlshaber der Nato-Streitkräfte Europa ernannt. Kaum im Amt, kritisierte er die bis dahin hingenommene Dominanz der US-Amerikaner im Bündnis. Außerdem sprach er sich gegen den Einsatz von Nuklearwaffen aus, um im Falle eines Krieges den Schaden in Deutschland möglichst gering zu halten. So dauerte es nicht lange, bis der Nato-Oberbefehlshaber die Bundesregierung um Abberufung seines Stellvertreters bat.

Was dann Ende 1983 folgte, ist hinlänglich bekannt. Gegründet auf die Aussagen fragwürdiger Personen aus anrüchigem Milieu und gestützt durch schlampige Ermittlungen des Militärischen Abschirmdienstes (MAD), wurde der untadelige Offizier der Homosexualität bezichtigt und als angebliches „Sicherheitsrisiko“ unter entehrenden Umständen entlassen. Am Ende erwiesen sich alle Vorwürfe als haltlos, und Bundesverteidigungsminister Manfred Wörner musste Kießling öffentlich rehabilitieren und mit allen militärischen Ehren verabschieden. Damit fand die beschämende Angelegenheit, die sich längst zu einem „Fall Wörner“ entwickelt hatte, zumindest ihr formales Ende. Der Vergleich mit der „Affäre Fritsch“ von 1938 drängt sich geradezu auf.

Tief verletzt, aber nicht verbittert, zog sich Kießling ins Privatleben zurück. Bis ins hohe Alter lieferte er in militärwissenschaftlichen Schriften und Vorträgen den Beweis für seinen überragenden Intellekt, seine Scharfzüngigkeit und seine noble Gesinnung.   Jan Heitmann


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