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05.09.09 / 1. September 1939: Die Deutschen hatten Angst

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 36-09 vom 05. September 2009

Moment mal!
1. September 1939: Die Deutschen hatten Angst
von Klaus Rainer Röhl

Ich war damals zehn Jahre alt. Den schönen Sommertag davor waren wir am Strand gewesen. In Brösen bei Danzig. Vom vielen Baden müde, schlief ich fest. Gegen Morgen, eigentlich noch fast nachts (es war kurz vor fünf) weckte uns alle ein außergewöhnlich lauter Donner. Meine Eltern stürzten aus dem Bett und versuchten, uns Kinder zu beruhigen. Doch bald kamen Nachbarn von unten herauf und sagten: „Das ist die ,Schleswig-Holstein‘. Sie beschießt die Westerplatte“. Die „Westerplatte“ war einmal ein Stück von Danzig gewesen. In einem der Häuser hatte mein Vater als Kind gewohnt. Das ganze Haus war Stein für Stein abgetragen und nach Langfuhr transportiert worden, sogar der Holzschuppen, in dem noch die Einschüsse eines Teschings deutlich zu sehen waren. Nach dem mehr als umstrittenen Versailler Vertrag war Danzig von Deutschland abgetrennt und eine so genannte Freie Stadt geworden, ein kleiner deutscher Staat mit drei Landkreisen, mit eigener Währung unter Aufsicht des Völkerbunds. Dieser winzige Stadtstaat war vom größten Teil Deutschlands völlig abgeschnitten und nur mit Schiffen erreichbar, die Bahn-Verbindung zum Mutterland führte durch polnisches Gebiet: durch den sogenannten „Korridor“. Von Anbeginn an ein Stein des Anstoßes und – nach der Besetzung des Memellands durch deutsche Truppen im Mai 1939, letztes Überbleibsel des Versailler Diktats – Hitlers offizieller Kriegsgrund für den Zweiten Weltkrieg. Bei der Vereinbarung über Danzig hatten die Polen sich nur ein Stück des Hafens ausbedungen, eben die Westerplatte, als Freihafen, der aber sofort militärisch ausgebaut wurde als ein einziges Bunkersystem, vollgestopft mit Elite-Soldaten: Diesem Bunkersystem galt der Beschuss der schweren Schiffsartillerie der „Schleswig-Holstein“, mein Mitschüler Günter Grass, drei Straßen weiter wohnend und ebenfalls auf dem Dachboden Ohrenzeuge, will auch Stukas gehört haben, vielleicht irrt sich hier seine Gedächtnis-Zwiebel, die auch schon bei der SS-Einberufung ausgesetzt hatte.

So begann der Zweite Weltkrieg um meine Heimatstadt, und niemand bestreitet, dass Hitler, mit allen Vollmachten bis an die Zähne ausgerüsteter Diktator, den Befehl zum Einmarsch in Polen gegeben hat, so, wie er ein halbes Jahr zuvor (und hingenommen von Paris und London) die Tschechoslowakei hatte besetzen lassen. Der absolute, seit 1933 ohne jede Einschränkung regierende Diktator befiehlt den Einmarsch in das schon seit 1926 ebenfalls von einem Militärdiktator regierte Polen. Zwei Wochen später marschieren die Sowjetrussen auf Befehl des Diktators Stalin in Ostpolen ein, mitten im Frieden.

Langsam dämmert der Morgen. Es ist Krieg. Die Gesichter meiner Eltern waren sehr ernst, alle Menschen hörten erschreckt, eher angstvoll den ersten Nachrichten zu, kein Jubel auf den Straßen, weder in den Fabriken noch in den Schulen, zu tief saß die kollektive Erinnerung an den Ersten Weltkrieg noch in den Menschen. Besonders die Frauen waren voller Angst, aber auch die Männer, die schon die ersten Einberufungsbefehle erhielten. Auch die Kinder jubelten nicht. Das kann ich bezeugen, das bezeugt auch mein Mitschüler Grass, das schreibt auch Ex-Präsident Richard von Weizsäcker im „Spiegel“, dessen Gedächtnis keine Zwiebel ist. Müssen wir uns, alle, die damals lebten, den „Spiegel“-Titel von letzter Woche bieten lassen, der noch einmal die überholte Kollektivschuld-Propaganda wiederholt: „1939: Als ein Volk die Welt überfiel“. Ein Volk in Kollektivschuld. Das, so dachten wir, war schon damals, als Niemöller die Kollektivschuld erfand, erkennbar absurd, wurde nicht einleuchtender durch die These vom „Tätervolk“ von Daniel Goldhagen, das unsere Gutmenschen auch noch gut fanden. Seit Adam und Eva sollten nach diesem amerikanischen Professor die Deutschen kriegslüstern gewesen sein. Das haben wir damals – soweit es überhaupt ernstzunehmen war – widerlegt, alle ernsthaften Wissenschaftler und ihre Veröffentlichungen ließen aus dem aufgeblähten Gummitiger die Luft raus, und man freute sich schon, dass langsam Sachlichkeit in die Berichterstattung einzog. So, als polnische Wissenschaftler sich unlängst daranmachten, die abenteuerlichen Verlustziffern der Polen nach unten zu korrigieren (siehe PAZ, Nr. 26).

Aber heute, am 1. September 2009, sind „die“ Deutschen wieder ein Tätervolk. Wer so argumentiert, müsste eigentlich auch die Kriegsschuld am Ersten Weltkrieg den Deutschen zuschreiben. Damit wäre dann auch das Versailler Diktat leichter zu rechtfertigen. Aber einmal abgesehen davon, dass sich nie ganze Länder, sondern immer nur Individuen schuldig machen können: Stimmt es denn, dass Deutsche allein schuldig am Ersten Weltkrieg waren?

Für die Anti-Deutschen und die meisten Linksintellektuellen ist das keine Frage, von ernsthaften Historikern wird sie in einem ganz anderen Licht gesehen. Die „Kriegsschuldfrage“ wurde schon nach 1918 diskutiert. Es gab sogar eine offizielle Forderung nach Kriegsverbrecher-Prozessen von alliierter Seite (England und Frankreich). Angeklagt werden sollten einige führende deutsche Militärs wie Ludendorff, vor allem aber der deutsche Kaiser, gegen den besonders der französische Ministerpräsident und erbitterte Deutschenhasser Georges Clemenceau, auf den die meisten der drückenden Bedingungen des Versailler Diktats zurück­gehen, Anklage erheben wollte, während die Briten skeptisch waren. Es wurde bereits Material für einen solchen Prozess gesammelt und ein Auslieferungsantrag an Holland gestellt, aber Wilhelm II., der von den Niederlanden und seinen Verwandten auf dem holländischen Thron als Gast aufgenommen worden war, wurde natürlich nicht ausgeliefert. Erst 1924 ließ man die Forderung fallen. Darüber gibt es einen Schrank voller Akten, die meisten davon im Familienarchiv der Hohenzollern. Der prominente deutsche Historiker Fritz Fischer, bei dem ich noch 1956, nichts ahnend von dem kommenden Historikerstreit, die Prüfung für mein Staatsexamen in Geschichte abgelegt hatte, stellte 1961 plötzlich die Behauptung von der alleinigen Kriegsschuld Deutschlands am Ersten Weltkrieg auf und verschärfte seine Behauptungen noch einmal durch eine weitere Veröffentlichung 1969. Damit löste er den ersten deutschen Historikerstreit aus, der zwar im Sande verlief, da der Weltkrieg I erkennbar viele Ursachen und Väter hatte, was auch die Historiker der ehemaligen Kriegsgegner Deutschlands fanden. Doch von Fischers Thesen blieb im kollektiven Unterbewusstsein der deutschen Linken vieles hängen, sogar die Mär von den angeblich von deutschen Soldaten abgehackten Händen belgischer Kinder von 1914, derer die deutschen Soldaten von englischen Zeitungen bezichtigt wurden und die sich schon während des Krieges als pure Fälschungen beziehungsweise eben als Gräuelpropaganda entpuppten. Der Begriff stammt aus dieser Zeit. Später wurde er gern von Goebbels benutzt, wenn er alliierten Berichten über tatsächliche deutsche Kriegsverbrechen, die in den „Feindsendern“ verbreitet wurden, entgegentreten wollte.

Die angebliche deutsche (Allein-)Schuld am Ersten Weltkrieg gehört seit 1969 zum festen Arsenal linker Agitation und Betroffenheits-Kultur und passte natürlich vorzüglich zur Argumentation Goldhagens über den sozusagen angeboren kriegerischen Charakter der Deutschen.

Zweifel an der These, dass nicht Hitler, sondern das deutsche Volk 1939 die Welt überfallen hätte, werden zurzeit noch nicht mit Geld- oder Gefängnisstrafe bedroht. Sie seien also hier geäußert.


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