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12.09.09 / Kampf um die Wahrheit / Russen und Polen streiten über die Deutung des Zweiten Weltkriegs – Herbe Schuldzuweisungen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-09 vom 12. September 2009

Kampf um die Wahrheit
Russen und Polen streiten über die Deutung des Zweiten Weltkriegs – Herbe Schuldzuweisungen

Wenn es um die Ursachen des Zweiten Weltkrieges geht, liegen Polen und Russland meilenweit auseinander. Selbst um das Anfangsdatum wird gerungen. Auch Präsidenten und Premierminister sparen nicht mit Vorwürfen gegen die andere Seite. Die meisten deutschen Historiker und Medien beachten diesen Streit kaum.

Die Haltung der deutschen Politik zur Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg lässt sich an Eindeutigkeit selbst von Naturgesetzen nicht übertreffen: Die Schuld der Deutschen gilt uneingeschränkt, sie bezieht sich auf alles (siehe Seite 8). Kennzeichnend ist, dass die jeweils betrachteten Zeiträume immer so abgegrenzt werden, dass eine deutsche Untat den – quasi vorgeschichtslosen – Anfang markiert, aus dem heraus sämtliche Verbrechen anderer erst hervorgegangen sind. Auf diese Weise lässt sich im Gespräch mit Vertretern anderer Länder schnell Einvernehmen erzielen, da die dunk­len Flecken in deren Vergangenheit von den Deutschen mitverantwortet werden.

Polen und Russen sind von solchem Einvernehmen weit entfernt. Im Umfeld der Gedenkveranstaltungen zum 1. September trat stattdessen ein zunehmend verbissen geführter Streit um die Deutung des Weltkriegsgeschehens zutage.

Die Meinungsverschiedenheiten beginnen bereits bei der Frage, wann der Weltkrieg überhaupt begonnen habe. Russische Ehrenmale nennen durchweg den 22. Juni 1941, den Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges, als Anfangsdatum. Für Polen hingegen brach der Krieg am 1. September 1939 aus. Zu jener Zeit war Moskau mit Berlin gegen Polen verbündet.

Polens Präsident Lech Kaczynski bezeichnete den sowjetischen Einmarsch am 17. September 1939 als „Messerstich in den Rücken“. Für Warschau ist Moskau also mitschuldig an der Zerschlagung seines Landes. Deutsche und Russen erscheinen hier wie Komplizen, die im Hitler-Stalin-Pakt die Teilung Polens vertraglich vereinbart, dann aber lediglich zu unterschiedlichen Zeitpunkten zugeschlagen haben. Vor einem Richter werden solche Täter gleichermaßen verurteilt.

Ist also Sowjetrussland Mitauslöser des Zweiten Weltkriegs? Das will Moskau nicht auf sich sitzen lassen und keilt zurück: Zwar nennt Ruslands Präsident Wladimir Putin den Hitler-Stalin-Pakt „unmoralisch“. Auch zeigt er Verständnis für die „Gefühle der Polen in Bezug auf Katyn“, wo die Sowjets mindestens 21857 polnische Offiziere massakrierten.

Doch dann geht er bruchlos zum Gegenangriff über: Einen ähnlichen Pakt mit Hitler hätten die Westmächte in München 1938 ja selber geschlossen. Und damals, so wird spitz bemerkt, habe sich Polen per Okkupation des tschechischen Olsa-Gebiets auch noch an der Zerstückelung der Tschechoslowakei beteiligt. Manche russische Stellen werfen Polen denn auch zu große Nähe zum nationalsozialistischen Deutschland vor, die an der Olsa-Sache offenkundig geworden sei. Damit habe Polen eine Einheitsfront gegen Hitler vereitelt, so Lew Sozkow, Generalmajor des russischen Auslandsgeheimdienstes SWR laut der Nachrichtenagentur Ria Nowosti. Das Auslöschen von Polen als souveräner Staat sei der Preis für die Kurzsichtigkeit polnischer Politiker gewesen, resümiert Sozkow. Für polnische Ohren sind das unerhörte, ja skandalöse Thesen.

Ganz anders, aber im Resultat ebenso polenkritisch, wird von Seiten des russischen Verteidigungsministeriums argumentiert. Hier heißt es, Polen trage Schuld am Ausbruch des Krieges, weil es den „moderaten Forderungen“ Berlins (Danzig, exterritorialer Zugang nach Ostpreußen) nicht entgegengekommen sei.

Der russische Historiker Alexander Djukow geht sogar noch ein Stück weiter und behauptet, eine russische Aggression auf Polen 1939 habe es gar nicht gegeben. Bei dem Einmarsch am 17. September sei es lediglich um das „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ gegangen, weshalb Großbritannien und Frankreich Russland ja auch nicht den Krieg erklärt hätten. Hier hat Djukow insofern die Fakten auf seiner Seite, als das sogenannte „ostpolnische“ Gebiet seit jeher und mit klarer Mehrheit ukrainisch, weißrussisch und im Norden litauisch besiedelt war und von Polen 1920 in einem offensiv geführten Krieg erobert wurde.

Was Paris und London angeht,  rührt Djukow an ein weiteres pikantes Detail: Obwohl wenigstens London mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit den Inhalt des „Geheimen Zusatzprotokolls“ zum Hitler-Stalin-Pakt von Beginn an kannte, erklärte man allein Deutschland, nicht aber Sowjetrussland für den Angriff auf Polen den Krieg. Wieso indes die Zurückhaltung der Westmächte gegenüber Moskau, dessen Taten automatisch reinwaschen sollte, das erklärt Djukow nicht.

Selbst die Tatsache, dass die Demarkationslinie zwischen der deutschen und der russischen Zone in Polen zumindest in ihrem südlichen Abschnitt ziemlich genau der „Curzon-Linie“ von 1919 entspricht, stützt Djukows Position nur bedingt. Schließlich besetzte Stalin kurz darauf auch die baltischen Staaten und griff Finnland an. Die Massenmorde und Deportationen im Baltikum lassen die Interpretation von Stalins Politik als Verwirklichung von „Selbstbestimmungsrecht“ jedenfalls dort als Hohn erscheinen.

Russlands Präsident Dmitri Mewedjew hat im Frühjahr eine „Kommission zur Verhinderung von Versuchen der Geschichtsfälschung zum Nachteil der Interessen Russlands“ eingesetzt. Polens Premier Tusk sieht sich davon herausgefordert und kündigt an, „mit der Wahrheit“ gegen die Moskauer Deutungen angehen zu wollen.

Putin indes beschwor in Danzig am 1. September über alle Gegensätze hinweg die Perspektive einer polnisch-russischen Aussöhnung nach dem Vorbild der erfolgreichen deutsch-russischen. Allerdings scheint auch er nicht bereit, hierfür den deutschen Weg des nahezu uneingeschränkten Schuldbekenntnisses zu gehen.

Die deutsch-polnische Aussöhnung ist nach einer Umfrage der Warschauer Zeitung „Gazeta Wyborcza“ indes nicht soweit fortgeschritten wie vielerorts erhofft. Danach halten 80 Prozent der Polen die Vertreibung der Deutschen aus deren Heimat nach wie vor für richtig. Hans Heckel

Foto: Sorgt bis heute für Kontroversen: Die 1943 entdeckten Massengräber bei Katyn mit durch Sowjets ermordeten polnischen Offizieren stellen einen der Tiefpunkte in der polnisch-russischen Geschichte dar.     Bild: pa


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