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12.09.09 / Lebenslänglich für Diebstahl / Kaum ein Land hat so viele Strafhäftlinge wie die USA – Nun ist dieses System nicht mehr finanzierbar

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-09 vom 12. September 2009

Lebenslänglich für Diebstahl
Kaum ein Land hat so viele Strafhäftlinge wie die USA – Nun ist dieses System nicht mehr finanzierbar

„Das Gefängnis-System in Kalifornien steht kurz vor dem Kollaps“, erklärte kürzlich Gouverneur Arnold Schwarzenegger. Gefängnisrevolten und Finanzdruck zwingen in den USA zum Handeln. Die Debatte hat gravierende Fehlentwicklungen sichtbar gemacht. Viel zu viele Kleinkriminelle und sogar Unschuldige sitzen in Haft.

Der Gouverneur hatte sichtlich erschüttert das Ausmaß des Schadens betrachtet, den eine Gefängnis-Revolte am 8. August in der „California Institution for Men“ in Chino hinterlassen hatte. Dort hatten 1300 Häftlinge tagelang mit Messern, ausgerissenen Stuhlbeinen, Bettpfosten und sonstigen schlagkräftigen Instrumenten Polizei und Sonderkommandos in Atem gehalten.

Im ganzen Land rebellieren Gefangene gegen ihre Haftbedingungen. Aber nirgends ist es so explosiv wie in Kalifornien. Schwarzenegger, der noch in den 70er Jahren als Bodybuilder Trainings-Programme in Gefängnissen veranstaltet hatte und bei seiner Wahl vor sechs Jahren versprach, den seit Jahrzehnten in ein Chaos schliddernden Strafvollzug zu reformieren, hat bisher nichts erreicht. Jetzt wurde er durch ein Richter-Konsortium, das die Klage von drei Häftlingen (für alle) vertritt, gerichtlich aufgefordert, bis zum 28. September einen Plan vorzulegen, nach dem die Gesamtzahl von 170000 Gefangenen in den staatlichen kalifornischen Gefängnissen bis Mitte 2011 um 40000 zu reduzieren sei. Die Klage bezieht sich auf schwere Mängel in der medizinischen und psychologischen Versorgung, durch die es jeden Monat vermeidbare Todesfälle gibt,  und auf das Kernproblem der Überbelegung aller Haftanstalten. Rivalisierende Banden von Schwarzen und Latinos kontrollieren alles unter den Augen der meist machtlosen Wärter, die den täglich ausbrechenden Kämpfen oft nur noch resigniert zusehen können.

Der Plan, der die unerträgliche Situation mit drastischen Maßnahmen jetzt retten soll und um dessen endgültige Fassung die Gesetzesgeber in Senat und Repräsentantenhaus von Sacramento dieser Tage ringen, wird schon großspurig „historisch“ genannt. Doch seine Hauptattraktion besteht für die meisten, vor allem die Republikaner, nicht in dem humanen Aspekt, sondern in der verlockenden Aussicht, 1,2 Milliarden Dollar einzusparen, die vom Strafvollzugs-Budget gestrichen wurden. Das 32-Milliarden-Dollar-Defizit des „Sonnenstaates“ zwingt dazu.

Jeder Gefangene kostet 49000 Dollar im Jahr. Deshalb müsste man zuerst weniger Gefängnisstrafen verhängen. Kein anderes Land in der Welt spricht nach offiziellen Angaben so viele und so lange Haftstrafen aus wie die USA. Kein Wunder, dass die Gefängnisse nicht ausreichen. Für persönlichen Drogen- oder Waffenbesitz (nicht -handel), für Sex auf einer Party mit unter 18-Jährigen, für einfache Diebstähle, Widerstand gegen die Polizei und andere eher geringfügige Vergehen wandern meist junge Leute (zwei Drittel Schwarze) oft für Jahre ins Gefängnis. Dem Musiker Chris Brown drohten dafür, dass er in einem Wutanfall seine Freundin, die Sängerin Rihanna, verprügelt hatte, fünf Jahre Haft, die zu seinem „Glück“ durch 465 Tage Gemeindearbeit wie Müllbeseitigung, Geldstrafen und vier Jahre Bewährung ersetzt wurden.

Ein Grund für die Verurteilungswelle − in den USA kommen auf 100000 Einwohner 760 Häftlinge, in Deutschland sind es nur 90 − ist das vor einigen Jahren von Bürgern eingebrachte „Three-Strike“-Gesetz. Danach wird jeder, der das dritte Mal mit einem Vergehen (nicht etwa nur mit einem Verbrechen!) erwischt wird, zu 25 Jahren bis lebenslänglich verurteilt. Die US-Bürger befürworten überwiegend die härtestmöglichen Gesetze, ohne selber eine Ahnung zu haben, wie es hinter Gittern zugeht. Kein Politiker kann es wagen, nachgiebig gegenüber Kriminellen zu sein. Die Befürwortung der Todesstrafe ist zwar gesunken, vor allem, weil DNA-Tests in letzter Zeit erschreckend oft die Unschuld von Kandidaten nach endlosen Jahren in der Todeszelle bewiesen haben, aber sie liegt immer noch bei 66 Prozent. Und so sind die Gefängnisse angefüllt mit Menschen, die einmal zu viel eine Flasche Wein gestohlen haben oder dem Kauf von Kokain nicht widerstehen konnten und die dafür nun nahezu lebenslänglich in diesen Brutstätten der Gewalt hocken müssen. Nicht zuletzt deshalb liegt die offizielle Rückfälligkeitsrate in Kalifornien bei 70 Prozent.

Ob und wie man 40000 Gefangene frühzeitig entlässt, darüber wird in der Öffentlichkeit wie wild debattiert. Ein Plan der Demokraten brachte äußerst sinnvolle Lösungen. Darunter eine Überarbeitung des „Three-Strike“-Gesetzes wie der bisherigen Richtlinien für oft ungerechtfertigt harte Urteile. Eine vorzeitige Entlassung oder Hausarrest (mit elektronischer Kontrolle am Bein) im letzten Jahr ihrer Strafe, von Gefangenen mit guter Führung, von harmlosen Alten, Kranken und Leuten mit geringfügigen Vergehen sowie von vor allem jungen Menschen, die mit Rehabilitations-Programmen eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft und eine sinnvolle Zukunft erreichen können, wird erwogen.

Diese Reformansätze scheinen überfällig, zudem human, logisch und praktikabel, ohne die Bürger einer Gefährdung auszusetzen, doch nicht für die Republikaner. Die lehnen den Plan rundweg ab. Sie sind der Meinung, wie einer der Senatoren bemerkte, dass man an den medizinischen Kosten und Rehabilitations-Programmen wie der Reduzierung des Gefängnis-Personals genauso viel sparen könnte. Ihr Einspruch unter Führung von Schwarzenegger, der sich nun um 180 Grad gedreht hat, gegen die Entlassungs-Forderung wird am Obersten US-Gerichtshof in Washington geprüft. Sie alle haben Angst, als nachgiebig gegenüber Kriminellen zu gelten. Der Wilde Westen lebt offenbar fort. Liselotte Millauer

Foto: Katastrophale Bedingungen: Arnold Schwarzenegger (r.) kritisiert die Hygiene im Gefängnis in Chino.   Bild: Getty


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