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12.09.09 / Vertrieben und entzweit / Eine Familie zerbricht an den Folgen von Heimatverlust, Not und Elend

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 37-09 vom 12. September 2009

Vertrieben und entzweit
Eine Familie zerbricht an den Folgen von Heimatverlust, Not und Elend

In den Berichten über das Schicksal der Ostflüchtlinge ist immer wieder von dem harten Überlebenskampf die Rede, dem die Menschen auch in den provisorischen Unterkünften ausgesetzt waren. Viele mussten noch lange Zeit täglich um die nötige Nahrung kämpfen inmitten einer Nachbarschaft, die ihre gefüllten Speisekammern vor den zwangsweise Einquartierten nachhaltig verschlossen hielt. Diese und andere bittere Erfahrungen, neben vergleichsweise wenigen positiven Erlebnissen, enthält der Roman mit dem Titel „Vertrieben in Deutschland – Eine Familiengeschichte“ von Kurt Gaede. In seinem Erstlingswerk schildert der 1939 in Schönlanke, Hinterpommern, geborene ehemalige Polizeidirektor auf anregende und zu Herzen gehende Weise seine Kindheit und Jugend von Herbst 1944 bis in die 60er Jahre, wobei der Schwerpunkt auf den Zeitraum bis 1947 gelegt wurde. Im Begleittext heißt es einschränkend, der Roman habe einen „starken autobiographischen Hintergrund“, während die Handlungen mancher anderer Personen teilweise auf Erlebnissen und Zeugnissen von dritter Seite beruhten.

Durchgehend versucht der Autor, möglichst die Perspektive eines Kindes einzuhalten. So vermeidet er eine eingehende Schilderung der verwirrenden und beängstigenden Ereignisse des Jahres 1945 und damit, die Bilder des Grauens genauer zu beschreiben. Trotz der Schwere des Inhalts ist das Buch eine leicht lesbare, ja, faszinierende Lektüre, die man kaum aus den Händen legen mag, insbesondere weil die Dialoge, die die Handlung durchgehend tragen, lebhaft sind und authentisch wirken. Zweifellos hat Kurt Gaede schon als Kind über eine außergewöhnliche Beobachtungsgabe verfügt.

Zu spät entschloss sich Frieda Gaede mit ihren beiden fünf und sieben Jahre alten Söhnen Anfang 1945 zur Flucht aus dem kleinen Ort an der Bahnlinie entlang nach Stettin: Der Bahnhof wurde in der Nacht zum 20. Januar bei einem Bombenangriff zerstört. Zu Fuß verließen sie ihr Zuhause, um sich zu den Verwandten ihres Mannes im nahe gelegenen Dorf Runau durchzuschlagen. Unterwegs begegneten sie russischen Militärkolonnen. Für Kurt Gaedes Mutter und ihre beiden Schwägerinnen begann eine mehrmonatige Leidenszeit, was sich auch belastend auf die fünf kleinen Kinder auswirkte, die die Bedrängnis ihrer Mütter miterleben mussten. Doch die lebenstüchtige Frieda Runau hilft sich selbst und den Ihren, indem sie auf den Höfen bettelt und bei den Russen arbeitet, um Nahrung von den Großküchen zu erhalten. Aus demselben Grund geht sie ein festes Verhältnis mit einem russischen Unteroffizier ein, ein Umstand, für den ihr kurz darauf eintreffender Mann Verständnis zeigt, wofür er ihr aber in späteren Jahren, als seine Persönlichkeit bereits zerrüttet war, heftige Vorwürfe machen sollte.

Nach der Vertreibung aus Pommern wird die Großfamilie zusammen mit zahlreichen Vertriebenen in einer leeren Kaserne in Waren an der Müritz untergebracht, wo der Kampf um das tägliche Brot an Dramatik zunimmt. Während sich die Verwandten des Vaters entscheiden, in der russischen Besatzungszone zu bleiben, entschließt sich Paul Gaede zur Weiterreise in den Westen. Es sollte einer von wenigen weitsichtigen Entschlüssen sein, die er im Laufe seines Lebens traf.

Bereits mit 17 Jahren nutzte Kurt Gaede einen Umzug seiner Familie, um sich abzusetzen und eine unabhängige Existenz aufzubauen. Sein Erinnerungsbuch hat er seiner Mutter Frieda gewidmet, die trotz andauernder Probleme bis zuletzt ein lebensbejahender Mensch blieb. Dagmar Jestrzemski

Kurt Gaede: „Vertrieben in Deutschland – Eine Familiengeschichte“, Life media Verlag, Weyhe 2009, gebunden, 432 Seiten, 19,80 Euro.


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