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19.09.09 / Russki-Deutsch (35): Nomenklatura

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-09 vom 19. September 2009

Russki-Deutsch (35):
Nomenklatura
von Wolf Oschlies

Stalin lebt – in den Sprachdummheiten, die er geprägt hat. Beispielsweise „Rekonstruktion“ im Sinne von Sanierung, Erneuerung oder „Nomenklatura“ als Verzeichnis von Spitzenfunktionen und Spitzenfunktionären. Alle Kultursprachen kennen die Nomenklatur – als Verzeichnis der in einer Wissenschaftsdisziplin gültigen Namen, Begriffe und Termini. Die russische Nomenklatura als Auflistung von Privilegien und Privilegierten ist zwar blödsinnig, aber auch typisch russisch.

Anfang Februar 1722 erließ Zar Peter I. seine legendäre „Tabelle der Ränge aller militärischen, staatlichen und Hofbediensteten“. Sie regelte alle Details öffentlicher Tätigkeit und blieb bis 1917 in Kraft. Neue Herren Russlands wurden Lenins Bolschewiken, für die Stalin bereits 1923 eine neue Rangtabelle präsentierte, eben seine „Nomenklatura“. Diese war anfänglich personengebunden, bezog später die führenden Mitarbeiter im Staats- und Parteiapparat automatisch mit ein. Wie sie funktionierte, hat 1980 der Historiker Michail Woslenskij in dem Buch „Nomenklatura“ beschrieben, wobei ihm wahre Perlen von Formulierungen gelangen: „Sollten um den Direktorenposten des Physikinstituts der parteilose Experte Albert Einstein und der Genosse Wanja Kruschkin von der Baltischen Flotte konkurrieren, so ist der Job dem Genossen Wanja zu geben.“

So entstand die Kaste der „Nomenklaturkader“, die unter Lenin 300000 Angehörige zählte, unter Stalin 1,8 Millionen, unter Chruschtschow 1,5 Millionen, unter Breschnew 1,8 Millionen, unter Gorbatschow 2,4 Millionen. Unter Jelzin ging sie etwas zurück, steigt aber längst wieder an. Offiziell gibt es keine Nomenklatura mehr, realiter aber doch, und sie ist gefährlicher als je zuvor. Aus den früheren Drohnen wurden heutige Empfänger von Bestechungsgeldern. Laut einer Untersuchung hat die russische Korruption 2001 Schäden von 33 Milliarden Dollar pro Jahr verursacht, 2005 sogar 316 Milliarden.

Die russische Nomenklatura stand und steht für Vetternwirtschaft, Begünstigung, Korruption – Phänomene, die es auch anderswo in der Welt gibt. Darum hat sich auch das russische Wort „Nomenklatura“ eingebürgert, für bayrische „Spezis“, „Kölschen Klüngel“ und vieles mehr.


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