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19.09.09 / »Rosenknöspchen auf Tintenfüßchen« / Leben und Wirken der Kunsthistorikerin Rosa Schapire werden mit einer Ausstellung gewürdigt

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-09 vom 19. September 2009

»Rosenknöspchen auf Tintenfüßchen«
Leben und Wirken der Kunsthistorikerin Rosa Schapire werden mit einer Ausstellung gewürdigt

Das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe erinnert mit einer Ausstellung an die Kunsthistorikerin Rosa Schapire, welche die Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts mit ihrem Einsatz für die Expressionisten mit geprägt hat.

Als Rosa Schapire am 18. August 1939 London erreichte, ahnte sie nicht, dass sie Deutschland nie wieder sehen würde. Freunde hatten ihr eine Unterkunft in der Nähe der Tate Gallery besorgt, als es für sie hieß, Hamburg so schnell wie möglich zu verlassen. Nur wenig hatte die Kunstsammlerin am Zoll vorbei schmuggeln können, darunter ihre großartige Sammlung von Künstler-Postkarten und sogar einige Gemälde. Schapire, die eng mit den Künstlern der „Brücke“ befreundet war, besaß eine stattliche Anzahl von Werken der „Brücke“-Künstler, vor allem aber von Karl Schmidt-Rottluff (1884–1976), dem sie sich besonders verbunden fühlte. Der Chemnitzer porträtierte die Sammlerin gern und verehrte ihr das eine oder andere Gemälde sowie graphische Blätter wie etwa einen Holzschnitt mit dem Porträt des Dichters Alfred Brust (siehe Beitrag auf dieser Seite). Auch gestaltete Schmidt-Rottluff ein geradezu spektakuläres Wohnzimmer für die Freundin – mit expressiven Möbeln, Textilien, lindgrünen Wänden und einem Kakteenfenster.

Einen großen Teil dieser unschätzbaren Sammlung musste Rosa Schapire in Hamburg zurück-lassen. Der Container war schon gepackt und stand im Hamburger Hafen zum Abtransport bereit, als der Zweite Weltkrieg ausbrach. Ihr Besitz wurde als „Judengut“ beschlagnahmt und später von den Nationalsozialisten versteigert. Manches ging für immer verloren. Umso erstaunlicher ist die Vielfalt, die in der Hamburger Ausstellung dem Besucher geboten wird. Etwa 170 Gemälde, Graphiken,

Schmuckstücke, Dokumente und Fotografien spiegeln das Schicksal einer ungewöhnlichen Frau, die wie kaum eine andere ihrer Zeit die Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts gefördert und inspiriert hat.

Der Titel der Ausstellung lässt zunächst stutzen: „Rosa. Eigenartig grün“. Er ist genauso bunt wie das eine oder andere Exponat. Doch lässt er sich schnell erklären. Der Kunsthistoriker Aby Warburg schrieb 1907 nach einer Begegung mit der jungen Kollegin an seine Frau: „Frl. Schapire benimmt sich eigenartig grün … Sie ist sehr affektiert und beredt. Dieses Rosenknöspchen auf Tintenfüßchen.“

Rosa Schapire wurde am 9. September 1874 als Tochter osteuropäischer Juden im heute ukrainischen Brody geboren. Schon als junges Mädchen interessierte sie sich für Kunst und studierte Kunstgeschichte in Bern, Leipzig, Berlin und Heidelberg.

Als eine der ersten Akademikerinnen in Deutschland wurde sie 1904 mit einer Arbeit über den Maler Johann Ernst Morgenstern an der Universität Heidelberg promoviert. Bis zu ihrer Emigration 1939 war Schapire als Publizistin und Kunsthistorikerin in Hamburg tätig.

Die Vorliebe der streitbaren Frau galt den Expressionisten. 1907 trat sie als 30. passives Mitglied (von 68) der Künstlergruppe „Brücke“ bei und setzte sich mit Vorträgen, Artikeln und in persönlichen Gesprächen mit Museumsleuten für die Werke der Maler ein. Nach 1933 wurde ihre Arbeit zunehmend erschwert, sie erhielt sogar zeitweise Hausverbot für die wichtigen Hamburger Museen (für Kunst und Gewerbe und Kunsthalle), da sie sich weiterhin für die als „entartet“ abgestempelten Künstler engagierte. Nur eine demütigende Entschuldigung bewahrte sie vor Schlimmerem.

Bis zu ihrem Tod lebte Rosa Schapire in ärmlichen Verhältnissen, konnte sich nur notdürftig mit Übersetzungen und Aufsätzen über Wasser halten. Für „ihre“ expressionistische Kunst setzte sie sich auch weiter ein, doch in England wollte man nichts davon hören. Auch Museen waren nicht interessiert. Erst 1953 gelang es ihr, in Leicester eine Ausstellung mit Werken von Karl Schmidt-Rottluff zu zeigen. „Was ich mir am meisten wünsche,“ schrieb sie 1953 an eine Freundin, „nicht einen Tag länger leben, als ich arbeiten kann. Und ich glaube auch, dass der Himmel mir diese Gnade gewähren wird.“ – Rosa Schapire starb am 1. Februar 1954 an den Folgen eines Schlag-anfalls, den sie während eines Besuchs in der Tate Gallery erlitten hatte. Vor ihrem Tod hatte sie dem Museum das Gemälde „Frau mit Handtasche“ von Karl Schmidt-Rottluff geschenkt. Bedacht wurden auch andere Museen in England und in Deutschland, so dass der Besitz der Rosa Schapire in alle Himmelsrichtungen verstreut ist. Erst die Hamburger Ausstellung vereint weite Teile ihrer Sammlung wieder für kurze Zeit. Für diese Ausstellung hat man sich um eine besondere Ausstellungsarchitektur bemüht (sich windende Stellwände, transparente Textilien, enge Gassen), die jedoch nur in dem Raum zum Thema Emigration wirklich beeindruckt, in anderen Fällen eher ablenkend wirkt. „Schnickschnack“, brummelte ein Hanseat, der durch die Räume schlenderte, „ich will Bilder sehen und mich nicht ablenken lassen durch surrende Projektoren, verwinkelte Gassen und wehende Gardinen.“ Bilder gibt es genug zu sehen in Hamburg, darunter faszinieren vor allem jene Künstler-Postkarten, kleine Kunstwerke mit großem Anspruch. Sie allein schon lohnen einen zweiten Besuch.

Silke Osman

Die Ausstellung „Rosa. Eigenartig grün“ im Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Hamburg, ist bis zum 15. November täglich außer montags von 11 bis 18 Uhr, mittwochs und donnerstags bis 21 Uhr geöffnet. Eintritt 8/5 Euro. Zur Ausstellung sind ein Begleitbuch mit zahlreichen Fotos und Beiträgen zu Leben und Wirken von Rosa Schapire (Verlag Hatje Cantz, 344 Seiten, gebunden, 25 Euro) sowie ein Schülerbegleitheft (36 Seiten, überwiegend farbige Abbildungen, 7 Euro, ab 10 Jahre) erschienen.


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