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19.09.09 / Expressionismus in Memel / Ausstellung mit zwei Lithografiezyklen von Alexander Kolde in der Franz-Domscheit-Kunstgalerie

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-09 vom 19. September 2009

Expressionismus in Memel
Ausstellung mit zwei Lithografiezyklen von Alexander Kolde in der Franz-Domscheit-Kunstgalerie

Alexander Kolde war einer der bekanntesten ostpreußischen Künstler der zwanziger Jahre. Nun zeigt die Franz-Domscheit-Kunstgalerie in Memel in Zusammenarbeit mit dem Ostpreußischen Landesmuseum in Lüneburg eine Ausstellung mit zwei Lithografiezyklen des Expressionisten.

Da die Galerie in Memel, eine Abteilung des Litauischen Staatlichen Kunstmuseums Vilnius, durch ihren Namensgeber Domscheit (litauisch Domsaitis) einen starken Bezug zur ostpreußischen Kunst hat, ergeben sich seit Jahren immer wieder gemeinsame Ausstellungsvorhaben mit dem Ostpreußischen Landesmuseum. Franz Domscheit (1880–1965), dessen umfangreichen Nachlass die Galerie hütet, stammte aus dem Kreis Königsberg und studierte an der Königsberger Kunstakademie. Hierher rührte auch seine enge Bekanntschaft mit Alex­ander Kolde (1886–1963).

Kolde war seit 1920 einer der führenden Kräfte in der ostpreußischen Künstlerschaft. Aus seiner vom Expressionismus geprägten Schaffenszeit in den 1920er Jahren haben sich nicht so viele Werke erhalten. Umso wichtiger sind die beiden bekannten Lithografiezyklen, die er 1920 in Königsberg im Verlag der von ihm gegründeten Künstlervereinigung „Der Ring“ hatte erscheinen lassen.

An einer der offenbar nur in insgesamt drei Exemplaren erhaltenen Mappe hing nun das besondere Interesse der Domsaitis-Galerie in Memel, stammte sie doch aus dem Nachlass von Franz Domscheit! Sowohl der expressive Stil der Koldeschen Steinzeichnungen als auch die christliche Thematik, der Titel der Mappe lautet „Wandernder Christus“, müssen Domscheit interessiert haben. So wahrscheinlich es ist, dass er diese Mappe 1920 oder nur wenig später bekommen haben muss, so sicher hat er sie über alle Stationen seines bewegten Lebens (Berlin, Süddeutschland, Österreich, schließlich Kapstadt in Südafrika) mitgenommen.

Die Ausstellung der Mappenwerke Koldes in der Franz-Domscheit-Kunstgalerie (Pranas-Domsaitis-Galerija) in Memel in Zusammenarbeit mit dem Ostpreußischen Landesmuseum konnte dank einer großzügigen Spende der Töchter des Malers, Berta A. und Katharina Kolde, veranstaltet werden.

Es werden nun alle Blätter beider Mappen gezeigt, die zeitlich, stilistisch und thematisch eng zusammenhängen. Beide Folgen sind eine Reaktion des Künstlers auf die aufgewühlte Zeit voller Not, Aufbruchshoffnung und Ungewissheit unmittelbar nach dem Ende des Ersten Weltkriegs, zugleich eine Verarbeitung des eigenen Schicksals als Kriegsverwundeter und Kriegsteilnehmer von 1914 bis 1918. Künstlerisch schließen die Lithografien an Koldes Erfahrungen als Schüler bei Lovis Corinth 1913 an und stehen zugleich an der Seite der Druckgrafik anderer deutscher Expressionisten wie Ernst Ludwig Kirchner, Erich Heckel oder Max Pechstein. In diesen Kreisen hatte er auch schon in Berlin vor dem Ersten Weltkrieg verkehrt.

Der Zyklus „Wandernder Christus“ enthält zwölf Motive aus dem Leben Jesu, davon elf nach den Schilderungen der vier Evangelien des neuen Testamentes. Das erste Blatt allerdings bezieht sich auf den berühmten alttestamentarischen Psalm 23, der mit dem Satz beginnt: „Der Herr ist mein Hirte.“ Hier drückt Kolde zuerst das Grundverständnis der Person Jesu aus. Nach diesem Motto scheint auch die Auswahl der weiteren Szenen vornehmlich geschehen zu sein. Als Prediger bringt Christus die rettende Botschaft, im Sturm auf dem Boot, beim sinkenden Petrus, bei den Kindern, bei der Auferweckung eines Toten, schließlich am Kreuz rettet oder schützt er durch die Tat.

Etwas schwieriger angelegt ist der größere Zyklus, dessen Benennung aus der „Ode an die Freude“ von Friedrich Schiller stammt: „Und der Cherub steht vor Gott.“ Abgesehen von diesem Zitat stammen die Bildtexte von Kolde selbst. Seine Idee entstammt sicherlich den schrecklichen Kriegserlebnissen des Malers: Die Erde ist eine wunderbare Schöpfung Gottes, aber die Menschen sind böse und verderben die Erde. Sie sind daher ihrer nicht wert. Zu ihrer Strafe solle die Erde zerstört werden.

Dies ist die Schlussfolgerung des Berichtes, den das Engelwesen, das als Gottes Beobachter zur Erde gesandt wurde, erstattet. Ein Cherub ist einer von den schon im Alten Testament erwähnten Engeln aus der besonderen Nähe Gottes. Dieses Motiv, das Kolde aus dem Buch des Propheten Jona genommen haben mag, schließt sich auch wiederum gut an den anderen Zyklus an: Gott, in Christus personifiziert, rettet die Menschen und ist barmherzig, indem er eben die Erde nicht zerstört, trotz der Schlechtigkeit der Menschen.

Nicht nur durch die zeitliche Nähe ihrer Entstehung und durch die ähnliche Gestaltung als Lithographiefolge sind diese beiden Zyk­len verbunden, auch inhaltlich lässt sich also eine Verbindung finden, trotz der unterschiedlichen Entstehung der einzelnen Motive, einerseits an die Bibel gebunden, andererseits aus eigener Erfindung. Ganz im Sinne des Expressionismus werden hier von Kolde nicht nur Szenen, sondern ebenso Gedanken durch Gestalten, Gesten und Symbole zum Ausdruck gebracht. Mit diesen beiden Zyklen steht Alexander Kolde 1920 auf der Höhe des expressionistischen Kunstschaffens in Deutschland zusammen mit anderen, die in jener Zeit ebenfalls religiöse Druckgrafikreihen schufen, wie Kirchner, Kubin, Beck­mann, Barlach, Schmidt-Rottluff oder Pechstein.         Jörn Barfod

Die beiden Mappenwerke Koldes sind auch in einer Buchveröffentlichung dokumentiert: Alexander Kolde: „Wandernder Christus. Und der Cherub steht vor Gott. Lithografische Zyklen von 1920. Husum, 1993“ (Husum Verlag), zu beziehen über den Buchhandel oder beim Ostpreußischen Landesmuseum, Lüneburg.

Das Ostpreußische Landesmuseum wird im Sommer 2010 eine Ausstellung mit dem malerischen Werk von Alexander Kolde präsentieren. Jörn Barfod


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