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19.09.09 / Zwischen Ost und West / Kurzgeschichten über orientierungslose Chinesen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-09 vom 19. September 2009

Zwischen Ost und West
Kurzgeschichten über orientierungslose Chinesen

Woran erinnern wir uns bei dem Stichwort Olympiade 2008 in Peking? In erster Linie natürlich an herausragende sportliche Leistungen, an Ehrgeiz, an Fairness, Teamgeist und Einzelkämpfer. Aber woran wir uns auch noch erinnern, und das sicher weniger euphorisch, ist die uns über die Presse mitgeteilte Nachricht, dass alle Pressemitteilungen und auch das Internet in China einer strengen Zensur unterliegen.

Und vielleicht erinnern wir uns auch noch an die hübschen, knapp bekleideten chinesischen Tänzerinnen, die entgegen ihrer bisherigen Sozialisierung plötzlich in Röckchen herumtanzten, um der Welt gegenüber die Offenheit und moderne Einstellung des heutigen Chinas zu präsentieren. Aber kann ein Land, dessen politische Spitze keine Opposition kennt, modern sein?

Der Schriftsteller Zhu Wen gilt als treibende Kraft in der neuen, jungen chinesischen Literatur. Sein Regiedebüt „Seafood“ durfte zwar nie in chinesischen Kinos gezeigt werden, aber dafür sorgte Zhu Wen 2001 mit diesem Film bei der Biennale in Venedig für Furore. Sein neuestes Buch „I love Dollars und andere Geschichten aus China“ zeichnet dem Leser in sechs Kurzgeschichten ein realistisches Bild des heutigen Lebens junger Menschen in China.

Der wie eine Lawine über China hereingebrochene US-Einfluss, der Bruch mit Traditionen, führt in der Jugend zu einem heftigen Konflikt. Moralisch hält sich der Protagonist der titelgebenden Kurzgeschichte zwar für ziemlich verkommen, versucht aber andererseits auch nicht, sich zu ändern, sondern verteidigt seine Art zu leben, etwa das Bedürfnis, ständig neue Frauen im Bett zu haben. Es scheint, als versuche er, durch den Sex etwas zu kompensieren.

Was alle sechs Kurzgeschichten, abgesehen von Zhu Wens lockerer Erzählweise gemeinsam haben, ist ein junger männlicher Protagonist, der scheinbar ziellos sein Leben lebt, als ob jemand Fremdes ihn in eben diese aktuelle Lebenssituation hineingesetzt hätte und er jetzt einfach ab diesem Punkt „weiterleben“ würde.

Das strukturlose Leben dieser jungen Männer scheint den gesellschaftlichen und kulturellen Umbruch des heutigen Chinas wiederzuspiegeln. Gefestigte Wertvorstellungen und Halt gebende Grundsätze sind durch die Veränderungen in der Gesellschaft vorübergehend aus dem Blickfeld geraten. Die Situation wirkt wie der Schwebezustand eines Wertewandels, wenn man sich bereits vom Alten abgewandt hat, ohne aber bereits etwas Neues in Reichweite zu haben.

Das Ende einer jeden Geschichte bleibt in der Schwebe. Ebenso wie die weitere Entwicklung der Weltmacht China, ob politisch, gesellschaftlich oder kulturell betrachtet, aktuell noch in der Schwebe hängt.   A. Ney

Zhu Wen: „I love Dollars und andere Geschichten aus China“, A1 Verlag GmbH, München 2009, geb., 359 Seiten, 19,80 Euro


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