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19.09.09 / Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 38-09 vom 19. September 2009

Baldrian-Bomben / Wie Kärtchen die Debatte töten, wie Merkels Narkose die Falschen »demobilisiert«, und  wie die FDP-Spitze auf zwei Mann schrumpfte
Der Wochenrückblick mit Hans Heckel

Was hätten sie denn auch tun sollen? Ein „Duell“ würden sich Merkel und Steinmeier liefern, tönten die vier beteiligten TV-Sender großspurig. Selbst wenn die beiden das gewollt hätten (sie wollten es nicht), hätte man sie gar nicht gelassen. „Man“, das waren die vier Moderatoren, die den Abend kleingehackt hatten auf Fragekarten-Häppchen.

Es sind die grässlichen kleinen Kärtchen, von denen Moderatoren bei Talkshows ihre Fragen ablesen. Damit alle Kärtchen im Laufe der Sendung zum Zuge kommen, läuft eine unsichtbare Stoppuhr. Verwickeln sich Diskutanten in ein richtiges Gespräch, könnte das den Kärtchen-Zeitplan gefährden. Also fährt der Moderator energisch dazwischen und wechselt rabiat das Thema.

Am nächsten Tag steht dann in der Zeitung, dass die Politiker bei Anne Will oder wem auch immer wieder nur Sprechblasen hätten aufsteigen lassen, blasse Allgemeinplätze oder kleine, kurze Gemeinheiten über den Gegner, sonst nichts. Dabei hatten sie zu mehr kaum eine Chance.

So war es auch beim „Duell“: Frage, zack, zack, Antwort, bumm, nächste Frage – kein Nachhaken, kein Bohren, nicht mal bei echten Knallern wie Steinmeiers Behauptung, man bräuchte neun Prozent Wirtschaftswachstum, um 50 Milliarden Steuerentlastung gegenzufinanzieren.

Am besten nutzen konnte das Angela Merkel, die vollends in den Nebelwänden der Allgemeinplätze verschwinden konnte, ohne dass jemand versucht hätte, sie zu packen. Dabei hat sie sich im Schlussplädoyer selbst noch übertroffen. Etwas noch Politikfreieres hat ein Kanzler selten vom Stapel gelassen.

Dahinter steckt natürlich eine abgefeimte Strategie, die die schlauen Medienleute längst durchaut haben. Merkel wolle mit ihrem wolkigen Von-allem-etwas-Geschwafel die SPD-Wähler „demobilisieren“. Auf deutsch: Wenn die Basisgenossen den Feind hinter Merkels Schwaden nicht mehr erkennen, verlieren sie die Lust zu kämpfen.

Dabei haben die Unionsstrategen jedoch die Wirkung der Merkelschen Narkose-Rhetorik auf ihre eigenen Truppen falsch eingeschätzt. Anfang dieser Woche haben sie sich die mal angesehen und waren geschockt: Die schlafen ja genauso tief! Kaum eine Spur von Kampfgeist. Merkels „Demobilisierung“ hat sich als Baldrian-Bombe erwiesen, die die Lager beider großen Parteien gleichermaßen eingeschläfert hat. So war das nicht gedacht.

Die wenigen Basis-Unionler, die noch wach sind, irren umher auf der Suche nach dem „Profil ihrer Partei“. Bei ihnen frisst sich der Eindruck fest, die CDU wolle eigentlich immer das Gleiche wie die SPD, nur eben nicht ganz so doll. Dass die CSU zum Schluss den „Neoliberalismus“ der FDP zu ihrem Lieblingsdämon erwählt hatte, rundete das bizarre Bild weiter ab. Und dafür soll man sich am Infostand die Füße plattstehen als einfaches Unionsmitglied? So ein Blödsinn.

Da zeigt sich, dass die einfachen Parteianhänger und -mitglieder in einem völlig antiquierten Verständnis von Parteipolitik gefangen sind. Blicken wir zurück in die Zeit, in der diese armen Tropfe immer noch zu leben scheinen: Damals fanden sich Leute mit ähnlicher Weltanschauung in einem Verein zusammen, den sie „Partei“ nannten. Danach schrieben sie ihre Überzeugungen auf, das nannten sie „Parteiprogramm“. Im Wahlkampf ging es darum, diejenigen, die sich noch nicht entschieden haben, für die eigene Idee zu gewinnen.

Heute läuft es genau umgekehrt: Demoskopen und wissenschaftliche Berater erkunden für die Parteispitze, was man derzeit besonders gut verkaufen kann beim Wahlvolk, welches Produkt am Markt der Forderungen besonders gut loszuschlagen ist. Darauf passend werden dann Parolen gegossen und man hofft inständig, dass die eigene Marktforschung auch gut gearbeitet hat.

Merkels Marktforscher haben herausgefunden, dass die Deutschen derzeit gar nicht so genau wissen, was sie wollen, weshalb die Kanzlerin zwecks Wiederwahl lieber auch nichts so genau wollen sollte außer der Wiederwahl. Daran hat sie sich gehalten, am vergangenen Sonntag kam das drastisch wie kaum je zum Vorschein, weil außer Phrasen eben nichts zum Vorschein kam.

Seitdem dämmert den klugen Köpfen um Merkel und CSU-Chef Seehofer, dass sie es wohl übertrieben haben. Auf einmal wirft der Bayer den eben noch gescholtenen Liberalen schwarz-gelbe Kusshände hinterher, und CDU-General Ronald Pofalla fuchtelt der SPD mit der rot-roten Karte vorm Gesicht herum: Käme es noch einmal zu einer Großen Koalition, würden sich die Sozen bei der ersten Gelegenheit absetzen Richtung Linksblock.

Solche Töne nerven Frank-Walter Steinmeier gewaltig. Nicht nur, weil er weiß, dass sie stimmen. Auch, weil der Sprung der SPD ins rot-rot-grüne Gebüsch sein politisches Ende bedeuten dürfte. In der ersten Reihe der SPD zwischen Klaus Wowereit und Andrea Nahles finden sich etliche, die dem 53-jährigen Kandidaten die Rente mit 55 gönnen.

Die Grünen quälen unterdessen ganz eigene Sorgen mit der  Basis. Wie stolz und glücklich waren sie gewesen, als sie im rot-grünen Verband endlich erwachsen geworden waren. Joschka Fischer inszenierte seine staatsmännische Behäbigkeit bis weit über den Rand der Lächerlichkeit hinaus. Er hat das genossen, und ein Großteil seiner mittlerweile durchaus besserverdienenden Parteigänger mit ihm.

Andere aber fanden sich mit Pickeln viel schöner und wollen ums Verrecken zurück zum „Niemals!“-Geschrei der wilden Anfangsjahre. Die haben jetzt wieder Oberwasser und trietzen ihre Führung. Hauptstadt-Journalisten petzen, dass ihnen Grünen-Politiker zutuscheln, wie gern sie mal was mit der Union machen wollten, dass das aber auf keinen Fall in die Medien dürfe.

Die Freien Demokraten haben die Probleme erst noch vor sich. Nicht die Basis ist es, die wächst und ist mit sich und ihrer Partei so rundum zufrieden wie lange nicht. Es ist das Führungspersonal. Wer die Namen möglicher  FDP-Minister liest, fühlt sich jäh in die Bonner Republik versetzt. Leute wie Sabine Leutheusser-Schnarrenberger vom linken oder Hermann Otto Solms vom rechten Flügel bestimmten schon in den 80er und 90er Jahren das Bild ihrer Partei.

Diese verdienten Freunde nach elf Jahren Opposition wieder nach ganz vorn zu holen wäre in etwa so, als hätte Helmut Kohl 1982 die komplette Unionsminister-Riege von Kurt-Georg Kiesingers Kabinettstisch reaktiviert. Tatsächlich saß da mit Werner Dollinger nur ein einziger Wiederauferstandener. Alles andere hätte wohl auch ein bisschen zu abgestanden ausgesehen.

Grund für die Nöte der Liberalen: Westerwelle wurde nicht erst erwachsen und dann Parteichef, sondern umgekehrt. Als er mit 39 an die Spitze kam, backfischte er noch gewaltig und ging uns mit seinem spaßigen Guidomobil übel auf die Nerven. Da hat er jeden, der ebenso jung war wie er, offenbar als Bedrohung betrachtet und kurzgehalten. Lieber ließ er die Alten weitermachen, die hatten ihre Ziele schon hinter sich.

So besteht die FDP-Spitze bei den unter 55-Jährigen nur noch aus Westerwelle auf dem Pult und seinem dauererregten Generalsekretär Dirk Niebel an den Schnellfeuerwaffen. Keiner ballert mit solcher Inbrunst wie der Blonde mit den hektischen Flecken auf den Wangen. Er hat es aber auch besser als die anderen. Niebels SPD-Kollege Hubertus Heil ist im Laufe des Wahlkampfs irgendwo verloren gegangen, und die Generäle von CDU und CSU sind entweder zum Merkeln verurteilt oder müssen mit Seehofer links an Steinmeier vorbeirauschen, um am Schluss dann doch Schwarz-Gelb zu feiern. Gar nicht einfach. Niebel hingegen darf Vollgas geben und ist der einzige, der die Linkspartei noch als Kommunisten bezeichnen darf. Da können die Schwarzen schon neidisch werden.


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