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26.09.09 / Erfinder von Fernleihe und Verbundkatalog / Fritz Milkau war als Bibliothekar ein Pionier – Engagierter Streiter für das Ansehen seiner Heimat Ostpreußen

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-09 vom 26. September 2009

Erfinder von Fernleihe und Verbundkatalog
Fritz Milkau war als Bibliothekar ein Pionier – Engagierter Streiter für das Ansehen seiner Heimat Ostpreußen

Die Namen der großen Deutschen aus dem Osten sind heute oft nur noch der engeren Fachwelt bekannt, auch wenn die Verdienste jener Ostdeutschen doch einem viel breiteren Publikum zugute kamen und mitunter noch heute kommen. Zu ihnen zählt Fritz Milkau, der in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wohl verdienstvollste deutsche wissenschaftliche Bibliothekar.

Geboren am 28. September 1859 im ostpreußischen Lötzen, besuchte der junge Milkau das Gymnasium in Rastenburg, studierte klassische Philosophie in Königsberg und fand vom Schuldienst rasch in die Ausbildung zum Bibliothekar. Unter Fried­rich Althoff war er im preußischen Kultusministerium tätig, zwischen 1902 und 1907 stand er der Universitätsbibliothek in Greifswald vor. Gute 13 Jahre, von 1907 bis 1921, leitete er dann die Universitätsbibliothek in Breslau und machte aus dem alten Haus auf der Sandinsel ein „Musterinstitut“ (Georg Leyh). Die Krönung seiner Laufbahn war – Unter den Linden in Berlin – das Generaldirektorat der Preußischen Staatsbibliothek in den inflationsbedingt diffizilen Jahren 1921 bis 1925.

Fritz Milkau ist uns zeitlich bereits fern, doch zugleich überraschend nah. Er war ein Kind der Gründerzeit, des Glaubens an die Zaubermacht des technischen und industriellen Fortschritts. Das aufstrebende deutsche Kaiserreich verdankte seine Bedeutung Menschen wie Milkau: halbmilitärisch, fast autokratisch auftretend, dabei von hohem Berufsethos und enormer Sachkompetenz, tatkräftig, diszipliniert und pflichtbewusst. Vor allem aber bestachen die Männer des Wilhelminismus durch eine bahnbrechende Effizienzsteigerung infolge von Rationalisierung. Diese Ergebnis- und Profitmaximierung hatte in der Ausprägung des Manchesterkapitalismus auch ihre berüchtigten Schattenseiten, aber sie führte auch fort von der partikularistischen Vereinzelung und hin zur ökonomischen Arbeitsteiligkeit.

Bibliothekarische Arbeitsteiligkeit zum Nutzen aller, das war vor 100 Jahren noch befremdlich modern. Fritz Milkau, der Gentleman aus Ostpreußen, hatte viel gesehen: Ganz im Westen des Deutschen Reiches hatte er anfangs an der Universitätsbibliothek im rheinischen Bonn gearbeitet, ganz im Osten im ostpreußischen Königsberg und dazwischen auch in Greifswald, Breslau und Berlin. Wer viel gesehen hatte, hatte auch viele Defizite gesehen, und Menschen vom Schlage Milkaus besaßen erfreulicherweise nicht den Gleichmut, das scheinbar Unabänderliche unverändert zu belassen und zu ertragen. Milkau zentralisierte und modernisierte, er schuf Gemeinschaftsunternehmungen, die in abgewandelter Form noch heute „State of the Art“ sind.

Milkau schuf den auswärtigen Leihverkehr, besser bekannt als „Fernleihe“ – damals und für Jahrzehnte eine Sensation. Nicht länger musste sich der Benutzer zum Buch bemühen, vielmehr kommt das Buch per Post zum Benutzer; die vormals aufwendigen Bibliotheksreisen konnten weitgehend entfallen. Welch eine Benutzungsvereinfachung, welch ein unbürokratischer Servicekomfort. Noch heute kommt Milkaus Idee in Deutschland jährlich hunderttausendfach zum Einsatz. Darüber hinaus ersann Fritz Milkau 1901 die „Preußischen Instruktionen“, ein mühsames, aber über viele Jahrzehnte unersetzliches Regelwerk zur bibliothekarischen Titelbeschreibung. Bei einer „Sachtitelschrift“ war nun das „erste unabhängige Substantiv“ für die Einordnung im Katalog maßgeblich; die „Kulturpolitische Korrespondenz“ (KK) hätte man somit weiland unter „Korrespondenz, Kulturpolitische“ suchen müssen und auch allerorten finden können. Mehr noch: Milkau begründete nach 1895 den „Preußischen Gesamtkatalog“, ein geniales Gemeinschaftsunternehmen, um den gesamten Buchbesitz der Bibliotheken in Berlin, Breslau, Halle, Marburg, Bonn, Münster, Göttingen, Kiel, Greifswald und Königsberg in übersichtlicher Form in gedruck­ten, allerorten vorhandenen Katalogen nachzuweisen. Milkau dachte bereits in überregionalen, fast nationalen Kategorien, als der eigene Tellerrand noch unangefochtener intellektueller Horizont war.

Durch und durch war der Schuhmachersohn Milkau Ostpreuße. In Breslau unterzeichnete er 1913 einen Brief mit der Grußformel „Mit ostpreußischem Händedruck“; bereits 1881 hatte sich der 21-jährige Student in der „Königsberger Hartungschen Zeitung“ (Nr. 196/98, 24./26. August) über das Zerrbild Ostpreußens in weiten Teilen der deutschen öffentlichen Meinung echauffiert. In einem dreiteiligen Beitrag „Wie man in Deutschland über Masuren denkt“ machte er die Urheber der verunglimpfenden Äußerungen über Nordostdeutschland, die Masuren im Westen so übel in Misskredit gebracht hätten, in den populären zeitgenössischen Romanen und Reisebeschreibungen aus. Wenn überall im Deutschen Reich mitleidig-bedauernd auf Ostpreußen herabgeschaut werde, so liege dies, so Milkau, vor allem an den entstellenden Äußerungen über Masuren im Roman „Aus eigener Kraft“ von Wilhelmine von Hillern.

1934 starb Milkau in Berlin. Sein Grab befindet sich auf dem verwunschenen Stahnsdorfer Waldfriedhof südlich von Berlin-Zehlendorf.       Martin Hollender (KK)


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