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26.09.09 / Leipziger Biographien / Erst Chef der »Roten Fahne«, dann Haft in Workuta

© Preußische Allgemeine Zeitung / Folge 39-09 vom 26. September 2009

Leipziger Biographien
Erst Chef der »Roten Fahne«, dann Haft in Workuta

Irgendwo hat Erich Loest einmal geschrieben: „Leipzig ist unerschöpflich!“ Gemeint ist damit die Stofffülle, die die Stadtgeschichte an gebrochenen Biographien aus zwei Diktaturen dem Wahlleipziger anbietet. Mehr als 60 Jahre hat er nun in dieser Stadt gelebt, seitdem er 1947, zwei Jahre nach Kriegsende, zugezogen ist. Er hat als Journalist für die „Leipziger Volkszeitung“ gearbeitet und 1950 seinen ersten Roman „Jungen, die übrig blieben“ veröffentlicht. Genau genommen sind es 62 Jahre, von denen sieben im Bautzener Zuchthaus 1957/64 und 17 im „westdeutschen Exil“ 1981/98 abzuziehen sind.

Von politischer Verfolgung mit Lagerhaft sind auch die beiden Helden dieser Erzählung betroffen, von denen hier berichtet wird: Der Leipziger Kommunist Paul Böttcher (1891–1975) und der West-Berliner Journalist Wolfgang Veith (1929−2005). Erzählt wird aus der Perspektive des Leipziger Parteischriftstellers Bernd Kielmann (77), der 2008/09 an einem Manuskript über diesen Paul Böttcher arbeitet, und der es nicht verwinden kann, im Dezember 1989 bei der SED-Bezirksleitung seine Parteidokumente in einen für solche Zwecke bereitstehenden Wäschekorb entsorgt zu haben.

Bevor die Erzählung einsetzt, erfährt der Leser in Kursivschrift: „Paul Böttcher und Wolfgang Veith haben gelebt, alle zitierten Dokumente sind echt.“ Allerdings ist über den Schriftsteller Paul Böttcher, geboren und aufgewachsen in den Arbeitervierteln des Leipziger Ostens, wesentlich mehr bekannt als über seinen späteren Mithäftling im Arbeitslager Workuta Wolfgang Veith. Böttchers steile Parteikarriere bis zum Chefredakteur der KPD-Zeitung „Rote Fahne“ in Berlin, zum Vorsitzenden der KPD-Landtagsfraktion in Dresden und zum Finanzminister unter Erich Zeigner (SPD) wurde 1929 jäh unterbrochen, als er aus der KPD ausgeschlossen wurde. Er trat zur „Kommunistischen Partei-Opposition“ (KPO) über, emigrierte in die Schweiz und lebte 1934/44 illegal in Genf. Im September 1945 nach Berlin zurückgekehrt, flog er „zur Klärung seiner Arbeit in der Schweiz“ am 23. Februar 1946 nach Moskau, wurde dort verhaftet und am 12. Februar 1947 zu zehn Jahren Arbeitslager verurteilt, am 18. März 1956 wurde er, inzwischen 65 Jahre alt, schwerkrank entlassen.

Am Eismeer im „Schacht 34“  hatte er den „feindlichen Journalisten“ Wolfgang Veith vom West-Berliner „Tagesspiegel“ getroffen, ein junges Bürschchen noch, 1948 von den Russen in Leipzig, als er seine Mutter besuchte, verhaftet und nach Workuta verschleppt. Auch er wurde 1956 entlassen, noch vor Paul Böttcher, schrieb wieder, nun 27 Jahre alt, für den „Tagesspiegel“, genoss das wilde Leben in Freiheit, reiste durch die Welt und schrieb seinem ehemaligen Leidensgefährten hämische Ansichtskarten, unterzeichnet mit „Peter Brugsch“. Denn der war, trotz des gestohlenen Lebens, Kommunist geblieben und bekam die Höchstrente als NS-Verfolgter.

Erzählt werden diese beiden zerstörten Biografien von Bernhard Kielmann, der aber nach einem Schlaganfall aufgibt und Manuskript wie Materialsammlung der „Rosa-Luxemburg-Stiftung“ überlassen möchte. Jörg Bernhard Bilke

Erich Loest: „Wäschekorb“, Steidl-Verlag, Göttingen 2009, kartoniert, 112 Seiten, 10 Euro


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